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Fußballschulen: Märchen oder Marketing?

Fußballschulen machen Tausende Kinder in den Ferien glücklich. Sie sind aber auch ein Marketingwerkzeug großer Vereine. Sollte man den Nachwuchs wirklich in die Fußballcamps schicken? Ein Pro und Contra.

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Es ist ein Märchen.

Stefan Kohfahl ist ein Fußballtrainer aus Hamburg. Der Sportwissenschaftler trainiert seit Jahren erfolgreiche Herren- und Jugendmannschaften. Unter ihm reifte unter anderen der ehemalige Nationalspieler Patrick Owomoyela zum Profi. Und für den Hamburger Sportverein (HSV) leitete Kohfahl viele Jahre freiberuflich die HSV-Fußballschule. Wer es nicht weiß: Fußballschulen sind Sommercamps für den kickenden Nachwuchs in den Ferien.

Genau hier begann Kohfahls Erfolgsstory: Als Schulleiter ist der Hamburger mit dem Ablauf der Trainings zusehends unzufrieden. Kohfahl erkennt viel Potenzial für den Kinderfußball, analysiert und kreiert neue Ideen. Doch das Konzept, wie man die Fußballschule für die Schüler viel besser gestalten könnte, stößt bei seinem Heimatverein auf die berühmten tauben Ohren.

Volles Risiko

Kohfahl schickt sein Konzept daraufhin an die schillerndsten Vereine der Welt. Nach Barcelona, Valencia, Mailand, Lissabon und Madrid. Ambitioniert. Doch die Überraschung folgt prompt: Die meisten Angeschriebenen antworten. Kohfahl jettet durch Europa, investiert schnell 30.000 Euro aus eigenen Ersparnissen in Flüge, Mietwagen und Hotelzimmer. Als sich die Kosten für die Entwicklung seines Konzepts, für die Reisen und die Übersetzerhonorare weiter türmen, belastet er sein Haus mit einem Kredit. Volles Risiko. Manchmal hagelt es kleinere Blamagen. Zum Beispiel, als er mit großen Vereinsmanagern zusammensitzt und er nicht einmal eine Visitenkarte vorzeigen kann.

Die Familie zieht trotz einiger Rückschläge mit, sie glaubt an den Ehemann und Vater. Und dieses Vertrauen zahlt sich aus. Sein Konzept wird von Real Madrid übernommen, einem Klub, der die Beinamen „Die Galaktischen” und „Die Königlichen” trägt. Aus dem Konzept eines Hamburger Amateurtrainers werden die Real Madrid Clinics. Kohfahl übernimmt für den schillerndsten Verein der Fußballwelt den Job des europäischen Projektkoordinators. Er ist auf dem Mount Everest des Fußballs angekommen.

Wie die großen Fußballer von Real spielen die Kids in weißen Trikots.
Wie die großen Fußballer von Real spielen die Kids in weißen Trikots. © Real Madrid Footballclinics

Als Karawane durchs Land

Die Menschen verehren Real Madrid nicht nur in Spanien, sondern in ganz Europa. Die populärsten Spieler der Welt laufen für die Madrilenen auf. Die blütenweißen Trikots sind ihr Markenzeichen. Nun spielen Schulkinder in Bottrop und Norderstedt in diesen Hemden. Die Real Madrid Fußballschule ist ein Millionenprojekt. 600 Trainer und 25 Angestellte kümmerten sich schon um über 15.000 Fußballschüler.

Doch auch andere Fußballschulen sprießen mit ihren Angeboten überall aus dem Boden. Manche ziehen mittlerweile wie Karawanen durch die Kleinstädte, andere locken Kinder aus der Provinz in die Großstädte. Der Spaß ist teuer. Die Markentrikots, die Verpflegung, die Trainer – das alles lassen sich einige Anbieter sehr gut bezahlen.

Doch helfen Fußballschulen tatsächlich Schülern, besser Fußball zu spielen? Erfüllen sie Träume oder sind sie nur ein Marketinginstrument, mit dem wohlhabende Vereine noch viel reicher werden, als sie es ohnehin schon sind? Im Pro und Contra argumentieren der Fußballschulgründer Stefan Kohfahl und der Sportjournalist und Amateurfußballkenner Hannes Hilbrecht ihre Perspektiven.

Contra: Marketing-Projekte auf Kosten kleiner Vereine

von Hannes Hilbrecht

Meine kleine Schwester hat vor ein paar Wochen Geburtstag gefeiert. Sie ist neun geworden. Wir machten das, was Kinder in dem Alter gerne machen: Wir tobten im Indoor-Spielpark, aßen Torte mit Schoko-Streuseln und kurz bevor die elterlichen Abholkommandos mit ihren Passats und Scharans anrückten, wagten die Kids einen Schluck Cola.

Ich begann mit den Kumpels meiner Schwester ein finales Gespräch. Ich fragte, ob sie Fußball spielen. Sie bejahten. Ich fragte, ob sie Fans eines richtigen Vereins sind. Sie bejahten. Und dann stellte ich die verhängnisvolle Frage nach ihren Lieblingsmannschaften. Sie antworteten: Real Madrid, Manchester City, Juventus Turin, Paris Saint Germain und am Ende: Bayern München.

Man muss wissen: Ich komme aus einem kleinen Dorf bei Rostock. Ich bin in der Hansestadt geboren und dort aufgewachsen. Für mich gab es als kleiner Steppke nur den FC Hansa Rostock. Und alle meine Schulfreunde dachten ähnlich. Wir waren mit unserem kleinen und verrückten Profi-Verein leidenschaftlich verbandelt. Doch diese lokale Verwurzelung lässt nach, wie auf dem Geburtstag klar wurde.

Die Entwurzelung des Fußballs

Die Fußballschulen von den Top-Vereinen sind natürlich nur ein kleiner Grund dafür, warum schon die kleinsten Fußballfans nur noch die Superstars anhimmeln und nicht die einheimischen Vereine. Trotzdem behagen mir diese Sommercamps nicht. Sie führen die Kinder auf die falsche Spur. Und diese Camps sind oft nur ein Marketinginstrument. Die Teilnehmer sollen eben nicht nur das Dribbeln lernen, sondern als Fan, also als Kunde, langfristig gebunden werden. Mit acht Jahren. Sie sollen zu Jugendlichen heranwachsen, die ihr Taschengeld nicht nur für eine Stehplatzkarte raushauen, sondern auch für Sammelkarten, Trikots, Pullis und Pay-TV.

Um mir meine Meinung zu bilden, habe ich mit Eltern gesprochen. Sie sind teilweise begeistert von den Fußballschulen. Für die Kids ist es das Größte, einmal das Trikot ihrer Lieblingsmannschaft zu tragen. Sie wollen es gar nicht mehr ausziehen. Es ist in den Sommerferien die Tobeklamotte, die Sonntagsgarderobe und der Schlafanzug. Die Kinder sind ein paar Tage draußen an der Luft und hängen nicht vor ihren Tablets und Computern. Auch gut.

Auf Kosten der Vereine?

Ein Problem für die Eltern, die nicht so begeistert sind: Das Geld, was Fußballschulen einnehmen (gerade bei den Angeboten großer Vereine ist das nicht wenig), könnten eigentlich auch die lokalen Vereine gebrauchen. Die bilden den Nachwuchs aus, sind in den Provinzen oft der Kitt der Gemeinden. Ich kann mich noch gut an unsere Trainingslager erinnern. Schlafen in der Turnhalle, Training auf dem Rasenplatz daneben, Schwimmen im See, abends wurde gegrillt. Von dem Geld, das übrig blieb, kaufte sich der Verein Bälle oder neue Trikots. Die Angebote der renommierten Fußballschulen konkurrieren nun mit denen von Lokomotive Zuffenhausen.

Doch anders als bei so manchem Sommercamp konnte sich jeder von uns das Trainingslager beim Dorfverein leisten. Ob die Eltern wohlhabend waren oder hart kämpfen mussten: Für jeden war dieses Fußballabenteuer drin.

Den Eltern, die ihre Sprösslinge in die Fußballschule eines Profivereins schicken möchten (wofür es sicher manch gutes Argument gibt), mag ich daher eines mitgeben: Denkt trotzdem an die kleinen Vereine vor eurer Haustür. Denn die ermöglichen den Fußballsport nicht nur in den Sommerferien, sondern das ganze Jahr. Für wirklich jedes Kind, das spielen möchte.

Pro: Als Fußballschule vermitteln wir Werte

von Stefan Kohfahl

Fußballschulen wirken nicht nur positiv. Ich mache mir da gar keine Illusionen.

Es ist sogar dramatisch, dass die meisten dieser Projekte nicht den Nachwuchsabteilungen der Clubs unterstehen, sondern vordergründig dem Marketing dienen. Die Fußballschulen sollen in vielen Fällen tatsächlich nur die Markenbindung stärken und für kurzfristige Einnahmen sorgen. Das beste Beispiel: Die Trikots, die die Kinder in vielen Fußballschulen bekommen, ähneln dem Trikot ihrer Lieblingsmannschaft nur marginal. Schließlich sollen die Kleinen, besser gesagt die Eltern, dieses originale Vereinstrikot noch zusätzlich erwerben.

Schlimmer noch: Manchmal übernehmen Sponsoren die Verpflegung. Als ich Fußballschulen betreute, sponserten Fast-Food-Unternehmen die Mittagessen. Am Mittwoch gab es Pizza, freitags zwei Burger und sechs Chicken-Nuggets. In einer Fußballschule. Wir standen fünf Tage die Woche auf dem Platz und wurden dicker!

Stefan Kohlfahl im Stadion Santiago Bernabéu.
Im großen Stadion. Stefan Kohlfahl will den Spirit des Santiago Bernabéu Stadion auf die kleinen Sportplätze übertragen. © Reald Madrid Footballclinics

Keine kurzzeitige Freude, sondern langfristige Prägung

Unser Konzept bei den Real Madrid Clinics schließt diese Fehler aus. Wir wollen die Kinder und vor allem den Sport ernst nehmen. Dazu gehört als erstes, dass wir Trikots verteilen, die tatsächlich so aussehen wie die von Real Madrid. Und wir haben uns einer gesunden Ernährung verschrieben. Das ist doch die Aufgabe von uns als Fußballschule: Den Kindern einen möglichst authentischen Einblick in die alltägliche Profi-Welt zu geben. Ihnen zeigen, dass zu einer Profi-Karriere eben nicht nur Talent gehört, sondern auch die richtige Ernährung.

Als Fußballschule mit einem großen Mutterverein können wir dem Nachwuchs Trainingsmöglichkeiten bieten, die für kleine Clubs nicht zu stemmen sind. Wir trainieren mit elektronischen Leibchen, GPS-Gürteln, digitalen Dribbling-Parcours und dem Smartball von Adidas, der durch einen integrierten Chip allerhand Informationen zur Schusstechnik preisgibt. In unserer Fußballschule üben wir nach den Trainingsplänen und Methoden der Real-Madrid-Jugendakademie, die das UEFA-Ranking als beste Ausbildungsstätte für den Profi-Fußball anführt.

Jede gut geführte Fußballschule kann noch etwas viel Wichtigeres: Werte vermitteln. Wir geben unseren Schülern in verschiedenen Bereichen Noten. Von 1 bis 10. Natürlich wollen wir niemanden traurig machen oder Kinderträume zerstören, mit den Zeugnissen gehen wir also sehr vorsichtig um.

Das Benehmen auf dem Platz zählt

Unsere Benotungen haben einen großen Vorteil. Wir bewerten mit ihnen auch die Einstellung und das Benehmen auf dem Platz. Die Kinder sollen nicht nur das Gewinnen, sondern auch das Verlieren lernen. Unsere Trainer vermitteln, dass nicht der aggressivste, der lauteste oder der beste Spieler ein guter Leader ist. Sondern derjenige, der alle Teammitglieder einbindet. Ein guter junger Fußballer, der einen anderen, womöglich korpulenten Mitspieler beleidigt oder ausgrenzt, bekommt kein gutes Zeugnis. Wir wollen den Respekt untereinander fördern. Schon Santiago Bernabéu, der langjährige Präsident von Real und der Namensgeber des Madrider Stadions, sagte einst: „Ein Sieg mit Schande ist kein richtiger Sieg.” Wir orientieren uns an diesen Werten. Fußballschulen können nicht nur bessere Fußballer formen, sondern auch bei der Charakterbildung positiv wirken.

Das Problem der Bezahlbarkeit bleibt natürlich. Wir zählen zu einem der kostenintensiven Anbieter, auch weil wir unsere Überschüsse über unseren Träger, der Real Madrid Fundación, in soziale Projekte investieren wollen. Doch wir haben Alternativen geschaffen. Wir ermöglichen als einziger Anbieter eine Ratenzahlung, und es gibt spezielle Förderangebote, die Vereine und Vereinssponsoren an Kinder aus einkommensschwachen Familien vergeben können. Generell kooperieren wir mit kleinen und großen Vereinen. Sie bekommen einen Anteil von unseren Einnahmen, einen sogenannten Kick-back.

Bleibt ein Punkt, mit dem wir Fußballfans uns wohl anfreunden müssen. Durch Social Media und immer günstiger werdende Flugtickets sind die Grenzen und Mauern in den Köpfen der Anhänger verschwunden. Junge Mädchen und Jungs sind bei der Wahl ihres Lieblingsvereins viel weniger lokal gebunden als früher. Führende Meinungsforscher glauben sogar, dass die Sympathie der Fans bald nicht mehr vordergründig den Vereinen gehören wird, sondern den einzelnen Spielern. Der Satz, der Verein ist größer als alles andere, verliert seine Gültigkeit. Für diese Entwicklung sind also nicht allein die großen Fußballschulen verantwortlich.

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