Die beste Zeit des Jahres. Sommerferien. Bei den Großeltern. Warmer Toast mit Omas Erdbeermarmelade vor der Glotze. Und im Fernsehen so manch komische Sendung vormittags um zehn.
Eine davon war Astro TV mit Antonia Langsdorf. Ich gebe zu: Ein paarmal bin ich beim Zappen hängen geblieben. Die Frau, die aus den Sternen die Zukunft der Anrufenden lesen wollte, fasziniert eben. Ja, ein bisschen ulkig, aber auch mysteriös, schmerzhaft, man konnte nicht wirklich wegschauen. Dasselbe Phänomen wie bei meiner Lieblingsfußballmannschaft. Ach ja: Zum Glück besaß ich kein Handy. Eventuell hätte ich selbst angerufen.
Mittlerweile sehe ich das ganze Thema um Horoskope und den anderen Esoterikkrams kritisch. Das Spirituelle ist nicht so meins. Im Gegenteil: Manchmal ist es erschreckend, wie armen Leuten, die irdische Probleme haben, das Geld mit kosmischen Versprechen aus den Taschen geleiert wird. Und ja, zahlreiche journalistische Recherchen zeigen, dass das böse Wort „Abzocke“ nicht nur manchmal zutrifft. Trotzdem hier der Hinweis: Es gibt genauso ausreichend anständige Angebote. Vorsicht sollte jedoch immer geboten sein.
Das Wort „Abzocke“ hatte ich auch im Hinterkopf, als ich das erste Mal vom Konzept „Human Design“ las. Was, bitte, soll das sein? Meine ersten geistigen Verknüpfungen, Assoziationen, wie Schlaumeiernde sagen, waren keine guten. Dann habe ich es ausprobiert – und wurde doch etwas überrascht. Sogar mein #BeatYesterday-Mindset wurde von den Ergebnissen beeinflusst. Dazu aber später mehr. Erst mal die Basics:
Was steckt hinter dem Konzept Human Design?
Das Human Design ist ein System, mit dem man angeblich die Persönlichkeit von Personen profilieren kann. Das Schema berücksichtigt Aspekte aus der Astrologie, des I Gings, der Kabbala und der Hindu-Brahmin-Chakra-Lehre. Sogar die Quantenphysik wird erwähnt.
Ich gebe zu, bis auf Astrologie und Quantenphysik (darin war ich immer eine Nulpe) habe ich noch nie etwas von den Begriffen gehört. Daher hier kurz die Erklärungen:
Astrologie: Der Glaube, dass die Sterne und Planeten das Leben beeinflussen und Menschen Eigenschaften geben können. Auch Ratschläge sollen sich aus kosmischen Konstellationen ergeben.
Quantenphysik: Eine Wissenschaft der Physik. Stark vereinfacht: Sie behandelt, wie vielseitig und kurios sich Teilchen verhalten. Damit sind Atome und Subatome gemeint.
I Ging: Ein altes chinesisches Buch, das sagt, was man tun sollte, basierend auf Münzwürfen oder Stäbchenwerfen.
Kabbala: Ein mystisches System, das versucht zu erklären, wie Gott, die Welt und der Mensch zusammenhängen, mit Symbolen und Zahlen.
Hindu-Brahmin-Chakra-Lehre: Eine Idee aus Indien, die davon ausgeht, dass der Körper Energiezentren hat. Diese soll man durch Yoga und Meditation beeinflussen können. Das Ziel ist ein besseres Körpergefühl.
Entwickelt wurde das Human Design in den 1980er-Jahren vom kanadischen Lehrer Robert Allan Krakower. Dieser benannte sich später in „Ra Uru Hu“ um (wohl seriöser in der Szene) und verbrachte seinen Lebensabend mit esoterischen Handlungen auf der spanischen Insel Ibiza.
Sein Lebenswerk hat – glaubt man einschlägiger Literatur – ausschließlich positive Ziele. Menschen sollen mit dem Human Design ein tieferes Verständnis für sich selbst entwickeln. Das schließt die Betrachtung ihrer Talente, Schwächen und ihres Lebenssinns ein. Es geht um Erfüllung und darum, dass Menschen authentisch leben. So weit, so gut, könnte jetzt Bryan Adams aus den Boxen blöken.
© iStock / Getty Images Plus / keanu2
Worauf basiert Human Design?
Die gute Nachricht: Der erste Schritt zum persönlichen Human Design kostet noch kein Geld. Man bezahlt ihn mit Daten, die man angibt, und die Kontonummer zählt bei den meisten Anbietern nicht dazu.
Stattdessen braucht es den Vornamen und den möglichst genauen Zeitpunkt der Geburt. In diesem Fall nicht nur das Datum, sondern auch die Uhrzeit und den Geburtsort.
Hintergrund: Aus diesen Variablen wird die planetarische Konstellation für den Geburtsmoment festgelegt. Diese ist beim Human Design äußerst wichtig. Nach dem Eintragen der Daten erhält man bei diversen Anbietern ein sogenanntes Human Design Chart. Esoterik-Fans bezeichnen das sogar mutig als „Bedienungsanleitung“ für das Leben.
Was ist ein Human Design Chart?
Das Human Design Chart ist eine visuelle Darstellung der – und jetzt kommt es – energetischen Konfiguration einer Person. Nicht wundern: Mancherorts ist auch die Bezeichnung Bodygraph geläufig.
Je nach gewähltem Angebot können sich die Charts stark unterscheiden. Alle eint jedoch, dass sie die Konfiguration einer Person in Rubriken unterteilen. Zum Beispiel in Grundtypen, Autoritäten, Zentren, Kanäle und Tore. Diese Werte ergeben zusammen das Profil einer Person.
Und jetzt wird es spannend. Ich, der Anti-Esoteriker, der seriöse Autor, der sogar mit Star Wars lange Realitätskonflikte austrug, bin von meinem Chart überrascht. Ich habe sogar X-Faktor-Moderator Jonathan Frakes im Ohr. „Ist das nun wahr oder doch frei erfunden?“
Meine Auswertung des Human Design Charts
Die Basics
Nur anhand meiner genannten Daten wurde ich als Energietyp Manifestor eingeordnet. Ich zitiere: „Kraftvoller Initiator, Visionär. Du gehst voran, machst Dinge anders, ergebnisorientiert und schnell.“
Es soll jetzt nicht arrogant klingen, aber ja, das stimmt. Beim Wort „Prozess“ läuft mir ein kalter Schauer über den Rücken. Gänsehaut überzieht meine Arme. Das Wort „Methodik“ zählte lange nicht zu meinem Vokabular. Ich bin die fleischgewordene Definition des „Andersmachens“. Das ist für meine Arbeit gut, wie es für andere anstrengend ist. Generell klingt Initiator und Visionär hochtrabend. Aber es gibt Menschen, die mir genau das wohlwollend bescheinigen. Und manchmal bin ich stolz darauf.
Auch ansonsten skizziert mich der Basic-Bereich erstaunlich präzise. Ich würde inneren Frieden und Zufriedenheit suchen – check. Und dass ich in strategischen Fragen mittlerweile ein Informationseichhörnchen bin, das sammelt, und sammelt, und sammelt trifft auch zu. Doch: Wer ist beides nicht? Ich meine: Wer will nicht den inneren Frieden finden?
Ohnehin ist bekannt, dass Horoskope so geschrieben sind, dass man sich sehr leicht wiedererkennen kann. Eine gewisse Vorsicht ist also geboten. Und: Mein Not-Self, was auch immer das heißt, ich vermute mein „Nicht-Ich“, sei Wut. Das stimmt nicht ganz, denn leider bin ich als Mensch zur vulkanischen Eruption fähig.
Der Deep Dive
Auch der nächste Auswertungspunkt irritiert mich aufgrund der Formulierungen. Ich muss aber zugeben, dass mindestens vier von fünf Beschreibungen passen – eine hingegen gar nicht. Aber auch hier eine erstaunlich hohe Quote. Ich frage mich: Kreative Masche oder doch etwas, das über meiner irdischen Vorstellungskraft liegt?
So interessant diese Eindrücke auch waren – jetzt wird’s komplex. Auf diversen Darstellungen– siehe nachfolgendes Bild – sehe ich nur noch ein Gewirr. Zahlen, Linien, komische Zeichen. Die Chance, in einer Pyramide den Notausgang mithilfe von Hieroglyphen zu finden, erscheint mir realistischer als die Übersetzung dieses wirren Codes. Aber das ist eben der betriebswirtschaftliche Kniff der Abhandlung.
Was kostet das Auslesen eines Reading Charts?
Angezuckert von den ersten, überraschend treffenden Beschreibungen will ich mehr wissen. Aber das „mehr“ kann ich nicht decodieren. Ich brauche eine Expertise, die das tut, und die möchte, verständlich, für ihre Arbeit angemessen vergütet werden. Es ist so, als ob man einen Löffel vom Eisbecher nehmen darf, dieser nun aber hinter einem Preisschild zurückgezogen wird.
Ach herrjemine, seufze ich. Ich will mehr, aber eben auch keine 90 bis 150 Euro berappen. Denn so viel kostet die Analyse eines Human Design Charts im Durchschnitt. Und ganz ehrlich: Bei all der Neugier, die das Konzept in mir weckt, bleibt das esoterische Vertrauensproblem.
Was mir der Ausflug ins Human Design dennoch gebracht hat
War das alles, also auch dieser Text, nur vergeudete Lebensmühe? Nein, im Gegenteil. Das Experiment war sogar höchst wertvoll.
Ich dachte beim Auswerten meines Charts an einen Menschen, der mich seit Wochen fasziniert. Prof. Dr. Peter Vajkoczy, ein Neurochirurg der Berliner Charité. Er ist sozusagen der deutsche Meister in seiner Disziplin, ein Genie und Künstler am Gehirn. So lobhudeln jedenfalls unzählige Zeitungsberichte und Fernsehdokumentationen. Sein Buch „Kopfarbeit“ wird diesen Versprechungen übrigens mehr als gerecht.
In diesem Werk, es geht um Hirntumore und Aneurysmen, also keine leichte Kost, erzählt Prof. Vajkoczy nicht nur von Erfahrungen, die sich wissenschaftlich schwer fassen lassen. Auch berichtet er von einem Coaching, das ihm als Mensch, Arzt und Wissenschaftler viel gebracht hätte. Konkret ging es dabei um innere Treiber und die Frage, warum tickt man so, wie man tickt. Und: Was will man mit seinem Leben anfangen, wofür ist man auf der Erde? Eine sehr inspirierende Geschichte unter vielen inspirierenden Geschichten in diesem Buch.
Wenn ich mich in „Kopfarbeit“ zurückdenke, ergibt auch das vermeintlich fragwürdige Konzept Human Design einen Sinn, den ich teilen möchte: Es hat mich darüber nachdenken lassen, wer ich bin. Wie ich Dinge verarbeite. Wie ich Entscheidungen treffe. Und natürlich auch: Wie offen ich für Themen bin, die außerhalb meiner Komfortzone liegen.
Allein dafür hat sich das Beschäftigen mit dem Human Design gelohnt. Es dient sogar meinem persönlichen #BeatYesterday, also, dass ich mich entwickle, dass ich Stillstand vermeide. Das Konzept Human Design macht mich nicht direkt besser. Aber mithilfe der Idee habe ich aus einer ungewohnten Perspektive – von oben – über mich und meinen Platz im Leben nachgedacht.
Ich habe gerade erst angefangen, mich in HD einzulesen, aber wenn ich das richtig verstanden habe ist mit „Non-Self“ der eigene Schatten gemeint – also die Muster, in die ich rutsche, wenn ich nicht in meinem authentischen Selbst bin. Das Ziel scheint zu sein, immer mehr bei sich anzukommen (mit den Handlungsempfehlungen aus dem Human Design), und dadurch verringert sich dann das „Non-Self“.
Mir ist es auch ziemlich suspekt, ich muss aber ehrlich sagen, dass ich ziemlich geplättet von meiner Auswertung war. Ich bin herangegangen mit der Vorstellung, dass das wie beim Horoskop ist wo man immer irgendwas findet, was man auf sich beziehen kann, und saß mit Tränen in den Augen da, weil ich mich plötzlich auf einer anderen Ebene verstanden habe.
Ich bin gespannt, ob der Kommentar veröffentlicht wird 😉
Parallel zum Thema HD sollte man sich aber auch mit dem Barnum-Effekt beschäftigen, der hier zum Tragen kommt.
Es gibt bereits eine Studie zu Persönlichkeitsdiagnostiken, wo ebenso auch der Effekt bei Human Design zu erkennen ist.
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Ich habe gerade erst angefangen, mich in HD einzulesen, aber wenn ich das richtig verstanden habe ist mit „Non-Self“ der eigene Schatten gemeint – also die Muster, in die ich rutsche, wenn ich nicht in meinem authentischen Selbst bin. Das Ziel scheint zu sein, immer mehr bei sich anzukommen (mit den Handlungsempfehlungen aus dem Human Design), und dadurch verringert sich dann das „Non-Self“.
Mir ist es auch ziemlich suspekt, ich muss aber ehrlich sagen, dass ich ziemlich geplättet von meiner Auswertung war. Ich bin herangegangen mit der Vorstellung, dass das wie beim Horoskop ist wo man immer irgendwas findet, was man auf sich beziehen kann, und saß mit Tränen in den Augen da, weil ich mich plötzlich auf einer anderen Ebene verstanden habe.
Ich bin gespannt, ob der Kommentar veröffentlicht wird 😉
Parallel zum Thema HD sollte man sich aber auch mit dem Barnum-Effekt beschäftigen, der hier zum Tragen kommt.
Es gibt bereits eine Studie zu Persönlichkeitsdiagnostiken, wo ebenso auch der Effekt bei Human Design zu erkennen ist.