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Abenteuer Offroad: Der Mythos Dakar

Mit 58 Jahren fuhr Christian Ruppert mit seiner Frau die härteste Rallye der Welt, 7.200 Kilometer durch die Wüste. Das hat nicht nur viel Geld gekostet. War es das wert? Ein Gastbeitrag.

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Vorletzter Tag. Der Schweiß lief uns literweise in die Schuhe. 30 Grad Celsius im Schatten, den es in der Wüste fast nirgendwo gibt. Ein trockener, glühender und trotzdem verhältnismäßig gnädiger Januartag unter der gleißenden Sonne Saudi-Arabiens. Im Sommer flirrt die Luft noch deutlich heißer.

Meine Frau Ursula und ich schraubten verzweifelt an unserem Fahrzeug. Die Stoßdämpferaufnahme hatte es erwischt. Wir mussten uns mit dem Reparatur beeilen. Alle anderen Teams waren schon an uns vorbeigezogen. Sogar die Lumpensammler*innen waren durch. Die lesen am Ende der Kolonne die Liegengebliebenen auf und leisten schnelle Hilfe. Uns konnte niemand einsammeln. Wir mussten unsere mehr als 40 Jahre alte Mercedes G-Klasse wieder fahrtüchtig bekommen.

Das Schrauben an einem so großen Wagen ist sportlich. Das bei diesen Temperaturen in feuerfester Unterwäsche und Rennoveralls zu tun, grenzte an Wahnsinn. Doch unser richtiges Abenteuer sollte erst nach der notdürftigen Reparatur beginnen.

Etwa 17 Kilometer mussten wir noch fahren. Nicht in die geplante Richtung zum Ziel, den anderen hinterher. Sondern zurück zum Startpunkt, dem wir noch viel näher waren. Von dort könnten wir über die weitgehend befestigten Umgehungsstraßen wieder zum Tross aufschließen. Im Camp würde unser Service-Team den Wagen reparieren. Das war das eine Szenario.

Das andere? Dass auf den 17 Kilometern noch etwas passiert. Es geht über steile und sehr steile Dünen. Der Geländewagen und die Insassen – wir – werden durchgerüttelt wie ein Flugzeug in Turbulenzen. Die Bodenbeschaffenheit ändert sich andauernd. Auf manchen Abschnitten ist die Strecke fest wie Asphalt. Dann wird der Sand so weich, dass die Reifen einsinken. Besonders die Wadis, ausgetrocknete Flussläufe, sind aufgrund ihrer Unberechenbarkeit tückisch. Mehr offroad geht nicht.

Mitten im Nirgendwo. Auf einem fremden Kontinent. Mit dem Wissen, dass bereits ein zu rabiates Anfahren oder eine falsche Lenkbewegung uns zu Aufgeschmissenen machen könnte. Das war ein beklemmendes und zugleich unglaublich belebendes Gefühl.

Rally Dakar Auto in Wüste
In der rubinroten G-Klasse wühlten sich die Rupperts durch die Wüste Saudi-Arabiens. © Dakar Classic

1. Der Mythos

Mein Name ist Christian Ruppert. Ich bin 58 Jahre alt, lebe in der Oberpfalz und berate als Betriebswirt Unternehmen im kaufmännischen Bereich. Das ist das eine Leben. Ein anderes habe ich im Januar gemeinsam mit meiner Frau gelebt: die Rallye Dakar Classic.

Das Rennen, das früher Rallye Paris–Dakar hieß und von Frankreich in den westafrikanischen Senegal führte, gilt als eines der härtesten Motorsport-Abenteuer der Welt. Mittlerweile wird die Dakar nicht mehr in Afrika beendet, der Name ist geblieben. Ein Mythos.

Eine Weile wurde die Dakar in Südamerikas Atacama-Wüste veranstaltet. Mittlerweile fräst sich die Karawane durch Saudi-Arabien. Normalerweise ist es für Freizeitsportler*innen utopisch und unmöglich, an so einem Ritt teilzunehmen. Allein die Fahrzeuge für Profis, die Hersteller für die Wüste hochrüsten, kosten einen mittleren sechsstelligen Betrag. Bis vor einem Jahr hätte ich nicht gewagt, von so einem Abenteuer zu träumen. Dann habe ich von der Dakar Classic erfahren.

Die Classic ist eine junge Rennserie, im Januar 2022 wurde sie erst das zweite Mal veranstaltet. Sie ermöglicht Rookies ein Dakar-Erlebnis. Diese fahren unter professioneller Begleitung auf 12 Etappen mehr als 7.000 Kilometer durch die arabischen Wüstenlandschaften. Das Biwak ist dasselbe wie bei den Profis, das Drumherum auch. Was für dieses Erlebnis notwendig ist? Zunächst ein vernünftiges Fahrzeug.

Rally Dakar Teilnehmer
Noch tragen die Gesichter keine Erschöpfung: Die Rupperts beim offiziellen Foto-Termin © Dakar Classic

2. Das Auto

Die Sache mit dem Auto ist eine verquere Angelegenheit. Bei der Dakar Classic müssen die Fahrzeuge mindestens 22 Jahre alt sein. Dazu gelten zahlreiche Sicherheitsstandards. Ein Käfig im Wageninneren ist vorgeschrieben.

Die alten Autos dienen dem Selbstschutz der Neulinge. Viele sind zuvor noch nie in einem vergleichbaren Terrain gefahren. Moderne Maschinen sind wahre PS-Monster. Wer diese nicht beherrschen kann, bringt sich und andere in Gefahr.

Wir brauchten ein Auto. Der erste Versuch endete im Desaster. Der auserwählte Mitsubishi Pajero schien mit deutlich über 200 PS und seinem kurzen Radstand perfekt geeignet. Allerdings konnten wir dem Pajero nicht vertrauen. Schon während der ersten Testfahrten hatten wir andauernd technische Probleme. Wir ahnten, dass wir mit diesem Gefährt in der Wüste chancenlos wären.

Mithilfe eines Bekannten stießen wir auf eine Mercedes-G-Klasse. Baujahr 1980. Keine Liebe auf den ersten Blick. Nur 156 PS. 500 Kilo schwerer als der Mitsubishi. Deutlich weniger schnittig. Eine andere Wahl hatten wir nicht.

Der Umbau gestaltet sich alles andere als einfach. Über Monate verbrachten wir jedes Wochenende in der Werkstatt. Teilweise haben wir dort übernachtet. Zum Glück hat uns Mercedes sehr gut mit Ersatzteilen versorgt. Bei einem Händler für Motorsportzubehör in Bochum fanden wir perfekte Sitze. Wenn man pro Etappe mehr als zehn Stunden durch die Wildnis holpert, entscheiden sie am meisten über das Wohlbefinden.

In Saudi-Arabien bewies sich dieses Fahrzeug in den ersten Tagen als unglaublich robust. Viele andere Amateurteams erlitten Pannen. Mechanische Ausfälle. Defekte Turbolader. Zerschlissene Stoßdämpfer. Die Dakar Classic ist eben keine Spazierfahrt.

Während die anderen ihre Reifen regelmäßig freischaufeln mussten, sind wir einfach durch. Unsere G-Klasse sträubte sich vor keiner Düne und keinem Schlammloch. Wir fuhren in den Tagen an vielen Verzweifelten vorbei. Vielleicht nicht so schnell, aber rasch genug. Unsere Liebe zum Auto wuchs mit jedem Tag.

Rally Dakar Autp fährt durch Pfütze
Unbeugsam fräste sich der Geländewagen durch Wüsten- und Steppenlandschaften. © Dakar Classic

3. Die Schinderei

Die Technik wand sich tapfer durch den Wüstensand. Wir dagegen haderten vermehrt mit Blessuren. Die vielen Stunden im Sitz schunden unsere Körper. Besonders die Nackenmuskulatur war durch das ständige Anfahren und Rumpeln über die Dünen gefordert. Dazu stressten uns gravierende Temperaturunterschiede.

Morgens war es bitterkalt, fast frostig. Schon wenige Stunden später stand die Hitze im Fahrzeug. Eine Klimaanlage besaß unsere alte G-Klasse nicht. Lediglich ein 20 Jahre alter und batteriebetriebener Ventilator wirbelte die träge Luft auf. Sechs Liter Wasser tranken wir am Tag. Mindestens.

Nachts waren nicht nur die abgekühlten Temperaturen ungemütlich. Reges Treiben erfüllte das Biwak mit Lärm. Es kam nicht selten vor, dass wir in unserem Zelt um jede Minute Schlaf rangen, und neben uns die Mechaniker eines anderen Teams mit Schweißgeräten und Schlagschraubern die ausgemergelten Geländewagen reparierten. Still war es im Camp nie. Das Klirren von Metall hing dauernd in der Luft.

Rally Dakar
Auf der großen Bühne: Die Motorsportfans aus der Oberpfalz fuhren im großen Rallye-Zirkus mit. © Dakar Classic

4. Unser Team

Unser großes Glück war, dass meine Frau nicht nur exzellent navigierte. Hauptberuflich führt sie als Physiotherapeutin eine eigene Praxis. Vor jeder Etappe tapte sie meine besonders strapazierten Muskelgruppen. Nach Ankunft im Tagesziel lockerte sie Verspanntes halbwegs wieder auf.

Genauso wichtig waren mein Sohn Matias und unser alter Freund Rudi, die uns in Saudi-Arabien unterstützten. In einem zum Pkw-Lazarett umgebauten Transporter folgten sie uns von Biwak zu Biwak. Kamen wir abends im Camp an, mussten wir den Wagen nur zum Service abgeben.

Sie tankten die G-Klasse. Wechselten Öl. Schweißten und schraubten Auseinandergebogenes oder Gebrochenes wieder zusammen. Ohne die beiden hätten wir uns nach den Etappen nicht für ein paar Stunden ausruhen können. Bei einem Rennen wie der Dakar Classic offenbart sich, wie essenziell Teamwork für den Motorsport ist. Dass die Mechanikerinnen und Mechaniker genauso entscheidend sind wie diejenigen, die das Fahrzeug steuern.

Rally Dakar Team am Auto
Das Team hinter dem Team. Ein alter Freund und der Sohn halfen als Service-Crew. © privat

5. Die Not im Nirgendwo

Zurück zum vorletzten Tag. Die G-Klasse ächzte unter ihrem Gewicht und den nicht funktionierenden Stoßdämpfern, aber sie fuhr. Wir schlichen über die Wege, die in Saudi-Arabien als befestigt gelten, in das nächste Camp. Immer die Angst im Hinterkopf, dass eine übersehene Bodenwelle, ein verborgenes Schlagloch dem Fahrzeug final zusetzen könnte. Wir mussten ins nächste Biwak kommen. Ansonsten wäre die Rallye am vorletzten Tag vorbei.

Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass auf einem vermeintlich harmlosen Teilstück etwas Unvorhergesehenes geschieht. Ein paar Tage zuvor mussten wir auf einer Überführungsetappe einen Umweg nehmen. Das ansonsten sehr gut funktionierende elektronische Roadbook hatte diese Route nicht gespeichert. Sie lag nur analog als Karte vor und das in schlechter Qualität. Die Kolonne, mit der wir unterwegs waren, verfuhr sich im kargen Land. Die Steppe bot kaum Orientierungspunkte. Noch dazu gab sich der Horizont langsam dem Abend hin. Unsere Rettung war das Navi von Garmin, das wir – anders als die anderen Verirrten – zusätzlich mitgenommen hatten. Wir konnten die Koordinaten des Ankunftsortes eingeben und uns via GPS zum Ziel leiten lassen.

Rally Dakar Auto durch Pfütze
Befestigte Straßen der anderen Art. Allein die Strommasten im Hintergrund sind Botschafter der Zivilisation. © Dakar Classic

6. Am Ziel?

Glühende Funken schwirrten durch die Wüstennacht. Unser Service hatte sofort nach unserer Ankunft im letzten Biwak mit den Schweißarbeiten begonnen. Es roch die ganze Nacht nach verbranntem Metall. Als ich gegen Mitternacht ins Zelt geschickt wurde, kämpfte der Service weiter um unsere Chance auf die finale Etappe.

Erst am Morgen wussten wir, dass wir in Riad ankommen würden. Das war das einzige sportliche Ziel dieser Reise. Uns ging es nicht um eine Platzierung, um das Ausreizen unserer Limits. Wir wollten nur durch den aufgeblasenen Triumphbogen fahren und die Plakette bekommen. Etwas, das man startet, auch zu Ende bringen. Das ist uns im Leben wichtig. Und wir wollten zeigen, dass man mit Leidenschaft und einer starken Familie Unmögliches erfahren kann.

Die Dakar Classic war das Abenteuer unseres Lebens. Die Suche nach dem Auto. Der Umbau. Der Roadtrip aus der Oberpfalz an den Hafen von Marseille. Die Überquerung des Mittelmeeres. Ein fremder Kontinent, der sich durch die Wüstenlandschaften wie ein neu entdeckter Planet anfühlte.

Die Challenge hat uns einiges gekostet, alleine die Teilnahmegebühren etwa 40.000 Euro. Den Mut zur Überwindung. Die Zeit. Die Nerven. Literweise Schweiß. Und doch war die Reise jeden Preis wert.

Weil sie so besonders war, soll sie einmalig bleiben.

PS: Wir haben ein Auto zu verkaufen.

Rally Dakar medaille
Eine Erinnerung in der Vitrine namens Leben: die Finisher-Medaillen der Dakar Classic.© privat

protokolliert von Hannes Hilbrecht

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