#BeatYesterday: Jenny, wie bist du im Eishockeytor gelandet?
Jenny Harß: Mit vier stand ich das erste Mal mit Kufen auf dem Eis. Meine Familie hat mich dazu gebracht. Ich komme aus Füssen und im Winter läuft dort fast jeder auf dem See Schlittschuh. Doch nur im Kreis zu fahren, war mir zu langweilig. Daher habe ich Eishockey ausprobiert. Jeder Eishockeyanfänger ist immer zuerst Feldspieler. Bei uns durfte dann jeder mal Torwart probieren. Das hat mir so gut gefallen, dass ich mit acht nur noch Torwart sein wollte. Es hat mich einfach fasziniert, den Puck zu halten.
#BeatYesterday: Dein Papa war Eishockeytrainer und dein Bruder hat selbst gespielt.
Jenny: Meine Familie ist tatsächlich sehr sportlich. Ich selber habe auch viel Tennis und Fußball gespielt. Aber Eishockey hat mir schon immer am meisten Spaß gemacht. Mein Bruder spielt zwar heute kein Eishockey mehr, ist aber sportlich immer noch sehr aktiv. Deswegen trainiere ich auch öfter mal mit ihm. Ob es Krafttraining, Schwimmen oder auch Fahrradfahren ist. Und mein Papa schaut oft bei meinen Spielen zu. Er gibt mir wertvolle Tipps.
#BeatYesterday: Wie kam es dazu, dass du bei den Männern mitspielst?
Jenny: Im Nachwuchsbereich spielen Mädels eigentlich immer bei den Jungs mit. Es gibt keine reinen Mädchenmannschaften. Aber irgendwann wird der Körperunterschied zu groß. Deswegen spielen die meisten Feldspielerinnen nicht bei Männern mit. Als Torhüterin habe ich aber keinen direkten Körperkontakt zu den Feldspielern, daher macht es für mich keinen Unterschied, ob ich gegen Frauen oder Männer spiele. Schnelligkeit, Reaktionsschnelligkeit und Beweglichkeit sind wichtiger – da können Frauen eher bei den Männern mithalten.
#BeatYesterday: Du spielst im Verein (EHC Königsbrunnen) mit Männern, aber in der Nationalmannschaft mit Frauen.
Jenny: Genau, ich kann sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern spielen. Ich habe auch mal nur mit Frauen gespielt. Aber die Gegebenheiten in der Bayern-Herrenliga sind oft professioneller als die in der Frauen-Bundesliga. Deswegen spiele ich in der Liga mit Männern.
#BeatYesterday: Inwiefern kann man das Spiel zwischen den Männern und Frauen vergleichen?
Jenny: Bei den Männern geht es körperbetonter zur Sache, weil der Bodycheck erlaubt ist. Männer schießen härter und das Spiel ist schneller, sodass ich als Torwart bei den Frauen oft geduldiger sein muss.
#BeatYesterday: Stärkt es dein Selbstbewusstsein, bei den Männern zu spielen?
Jenny: Man darf nicht zimperlich sein, wenn man bei den Männern mithalten möchte. Es wird einem nichts geschenkt, Durchkämpfen ist definitiv angesagt. Ich bin extrem ehrgeizig und versuche immer alles so perfekt wie möglich zu machen.
#BeatYesterday: Im April hast du bei der Frauen-WM in Finnland das Viertelfinale erreicht. Inwiefern hilft dir das Männertraining bei der WM-Vorbereitung und wie leicht fällt es dir, von Männer- auf Fraueneishockey umzustellen?
Jenny: Klar, es braucht schon eine kurze Umstellung. Die Frauen sind nicht so schnell wie die Männer und schießen auch nicht so hart. Es ist einfach ein bisschen anders, aber trotzdem eine große Herausforderung für mich. Das Training bei den Männern hilft mir super als Vorbereitung. Vor allem, wenn wir dann so Spiele wie gegen Kanada haben, wo wir 65 Schüsse aufs Tor kriegen.
#BeatYesterday: Der Puck, eine Hartgummischeibe, rast bei Schlagschüssen mit 100 km/h auf dich zu. Ist es sehr schmerzhaft, Eishockeytorwart zu sein?
Jenny: Die Eishockeyausrüstung ist inzwischen super, wir sind sehr gut geschützt. Ab und zu habe ich einen blauen Fleck, aber im Großen und Ganzen würde ich Eishockeytorwart sein nicht als schmerzhaft beschreiben.
#BeatYesterday: Du bezeichnest dich selbst als „Butterfly-Goalie“. Was genau kann man sich darunter vorstellen?
Jenny: „Butterfly“ ist die Abwehrbewegung, bei der wir Torhüter mit den Knien das Eis berühren. Wir machen uns so breit wie möglich. Früher sind Torhüter viel stehengeblieben. Auch die Abwehrbewegungen wurden im Stehen gemacht. Inzwischen sind aber eigentlich alle Torhüter „Butterfly-Goalies“.
#BeatYesterday: Der Torwart wird von Gegenspielern oft hart angegangen. Leichtes anrempeln oder besonders beliebt: Der Stürmer bremst so, dass er dem Torhüter das abgeriebene Eis ins Gesicht schleudert. Andere stellen sich direkt vor den Torwart und provozieren. Machen die Männer das bei dir genauso?
Jenny: Inzwischen sind die Männer gewohnt, dass da eine Frau im Tor steht. Deswegen verhalten die sich schon ziemlich ähnlich. Sie wollen ja letztendlich ein Tor schießen, deswegen müssen sie es versuchen und machen da auch keinen Unterschied, ob ein Mann oder eine Frau im Tor steht.
#BeatYesterday: Wirst du manchmal von deinen männlichen Gegenspielern unterschätzt?
Jenny: Viele kennen mich schon. Aber manchmal ist es schon noch so, dass jemand Neues auch mal komisch guckt. Aber die merken dann doch schnell, dass sie sich trotzdem anstrengen müssen.
#BeatYesterday: Hat sich schon mal ein Mann geweigert, gegen dich zu spielen?
Jenny: Nein. Es kam zwar schon mal der Kommentar „Was machst du denn hier?“, vor allem im ersten Jahr bei den Männern. Aber den Respekt habe ich mir dann doch recht schnell erarbeitet. Spätestens, nachdem ich gegen sie gespielt habe. Aber am Anfang hat es schon etwas gedauert, mich in der Liga zu beweisen.
#BeatYesterday: Torhüter genießen beim Eishockey ohnehin besonderen Schutz. Wenn er angegangen wird, fliegen schon mal die Fäuste. Haben deine Teamkollegen einen besonderen Beschützerinstinkt und vor allem: Willst du den überhaupt?
Jenny: Meine Teamkollegen schützen sowohl mich als auch meine männlichen Kollegen. Genauso ist es richtig und ich möchte auch keine Sonderbehandlung.
#BeatYesterday: Wie sieht dein Trainingspensum aus?
Jenny: Das unterscheidet sich zwischen Sommer und Winter. Im Winter habe ich immer einen trainingsfreien Tag und dann drei- bis viermal Mannschaftstraining sowie zwei Spiele pro Woche. Dazu kommt dann noch zweimal die Woche Krafttraining, auch mal Yoga. Im Sommer haben wir keine Spiele. Dafür trainiere ich sechsmal die Woche, zweimal am Tag. Es wird also nicht langweilig (lacht).
#BeatYesterday: Musst du härter trainieren als alle anderen?
Jenny: Eishockey ist sehr vielseitig. Ich muss sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern fit sein. Deswegen unterscheidet sich das Training nicht. Ich mache Ausdauertraining, also gehe joggen oder schwimmen und fahre Fahrrad. Krafttraining und Schnelligkeitstraining, mit Sprints oder schnellem Richtungswechsel, stehen auch auf dem Programm. Als Torwart mache ich auch noch Reaktionstraining mit Bällen und Beweglichkeitstraining. Ich mache sehr gerne Yoga, was mir ziemlich gut dabei hilft.
#BeatYesterday: Du bist auch Yoga-Lehrerin.
Jenny: Genau. Ich habe vor zwei, drei Jahren meine Yoga-Lehrer Ausbildung gemacht. Ich habe auch schon an Eishockeyschulen unterrichtet. Auch für Torhüter, was natürlich cool ist. Das kann ich mir auch nach meiner Karriere gut vorstellen.
#BeatYesterday: Machen viele Eishockeyspieler Yoga?
Jenny: Es ist immer mehr im Kommen, nicht nur im Eishockey. Sportler nutzen Yoga als Ausgleich oder auch zur Verletzungs-Prophylaxe. Es wird immer beliebter.
#BeatYesterday: Hilft dir Yoga auch mental?
Jenny: In erster Linie hilft mir Yoga körperlich. Atemtechniken und Meditation mache ich aber auch. Das hilft schon. Als Torwart bin ich oft stressigen Situationen ausgesetzt, in denen ich einen kühlen Kopf bewahren muss.
#BeatYesterday: Du hattest auch mit einer langfristigen Verletzung zu kämpfen.
Jenny: Letztes Jahr im Februar habe ich mir das Kreuzband gerissen. Hat bis Dezember gedauert, bis ich wieder spielen konnte.
#BeatYesterday: Wie hast du es geschafft, wieder zurückzukommen?
Jenny: So eine Verletzung wirkt sich sowohl auf den Körper als auch mental aus. Sportler wollen immer so hart wie möglich trainieren. Ich musste ein gesundes Mittelmaß zwischen hart, aber nicht zu viel pushen, finden. Das war schon eine Herausforderung. Aber ich hatte das Ziel vor Augen und war ehrgeizig. Klar, gab es auch mal schlechte Tage, an denen ich aber positiv bleiben musste, wenn ich zurückkommen wollte.
#BeatYesterday: Von Comebacks zu Olympia – du hast schon viel erlebt. Zweimal hast du schon an Olympischen Winterspielen teilgenommen. Wie war das?
Jenny: Olympia ist für jeden Sportler das Größte. Da will man unbedingt dabei sein. Für mich war es zweimal eine super Erfahrung, die ich nicht mehr missen will.
#BeatYesterday: Abgesehen von Olympia, was war dein bester Eishockey-Moment? Du warst auch schon mal im Weißen Haus bei Barack Obama.
Jenny: Ich habe drei Jahre College-Eishockey bei den Frauen in Amerika gespielt. Da die Meisterschaft in dreifacher Verlängerung zu gewinnen, war auf jeden Fall ein Highlight. Wir haben quasi zwei Spiele hintereinander gespielt. Die WM 2017 war auch besonders. Wir sind als Außenseiter Vierter geworden. Zwar knapp an einer Medaille vorbei, aber trotzdem das beste Ergebnis in der deutschen Frauen-Eishockey-Geschichte.
#BeatYesterday: Ist es schon mal vorgekommen, dass jemand neidisch auf dich war?
Jenny: Neidisch jetzt nicht. Manche verstehen es aber nicht immer, dass ich so viel Zeit ins Eishockey investiere. Die haben aber vielleicht auch andere Prioritäten.
#BeatYesterday: Wenn du so viel trainierst und spielst, wie viele Kalorien isst du so am Tag?
Jenny: Das ist natürlich eine gute Frage (lacht). Ich verbrenne schon so über 3.000 Kalorien, je nach Trainingstag. Nach einem intensiven Spiel sind es noch mehr. Daher esse ich schon recht viel – das sagt zumindest mein Freund (lacht). Aber ich versuche, mich gesund zu ernähren.
#BeatYesterday: Du bist jetzt 31 Jahre alt. Jeder Sportler denkt irgendwann auch ans Aufhören. Was sind deine nächsten Ziele? Die Olympischen Winterspiele finden das nächste Mal in 2022 statt.
Jenny: Nach meiner schweren Verletzung war mein Ziel die WM 2019. Nächste Saison werde ich nochmal bei den Männern in Königsbrunn spielen. Mein Ziel ist auch bei der WM 2020 in Kanada dabei zu sein. Ich denke von Jahr zu Jahr. Mal sehen, ob ich 2022 noch spiele.