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Scheinfasten: Halbe Ration, voller Erfolg?

Fasten und essen zugleich? Was paradox klingt, ist genau das Prinzip des Scheinfastens. Kein quälend langer Verzicht, dafür etliche gesunde Effekte. Wie das „Fasten Light“ funktioniert.

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Ein lautes Grummeln durchbricht die Stille. Kurz zuckt ein Kopf hinter einem Bildschirm hervor. Jetzt bloß nicht auffallen. Doch dein Magen verrät allen im Büro, was du vertuschen willst: Du hast Hunger.

Ein nervöser Blick auf deine Smartwatch verrät dir: Bis zur nächsten Mahlzeit ist es noch verdammt lang. Dabei schleppst du dich schon jetzt durch den Tag.

Du steckst in der Fastenkrise. Eine natürliche Reaktion deines Körpers auf einen Nahrungsverzicht. Kopfschmerzen, Müdigkeit und Unwohlsein sind häufige Symptome. Für viele ein Grund zum Fastenbrechen. Wie schön wäre eine Alternative ohne Qual? Und ja: Genau die soll es geben.

Bei der Ernährungsmethode heißt es „Halbieren statt Hungern“. Unser Autor testete es – und serviert dir seine Erfahrungen.

Frau sitzt im Bett und hält sich den Bauch
© LaylaBird / E+ / Getty Images

Was ist Scheinfasten?

Scheinfasten ist eine besondere Ernährungsform. Denn sie widerspricht allem, was du bisher über das Fasten weißt. Quälend langer Verzicht auf Nahrung? Den gibt es beim Scheinfasten nicht. Bis zu dreimal am Tag darfst du etwas essen. Natürlich keine opulenten Mahlzeiten, aber kleine Speisen sind erlaubt.

Scheinfasten gaukelt deinem Körper den Verzicht nur vor. Daher stammt auch der englische Name „Fasting Mimicking Diet“ oder auf Deutsch: Fasten imitierende Diät. Bei der fünftägigen Kur reduzierst du lediglich deine Kalorienzufuhr. Pro Tag sind zwischen 650 und 800 Kilokalorien erlaubt. Damit das gelingt, verzichtest du möglichst auf Kohlenhydrate und tierische Produkte. Stattdessen konsumierst du viel Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte.

Aber was soll das bringen? Laut dem Begründer, dem italo-amerikanischen Altersforscher Professor Valter Longo, soll dich das starke Kaloriendefizit trotz Nahrungsaufnahme in den Fastenzustand versetzen. Nicht vorrangig zum Abnehmen, sondern vor allem wegen der positiven gesundheitlichen Prozesse. Dazu zählen Zellverjüngung, Stoffwechselanpassungen und Regeneration.

Mit dem Scheinfasten erreicht man etwa 80 bis 90 Prozent der Effekte des Heilfastens. Dabei ist es in der praktischen Umsetzung im Alltag für die meisten deutlich angenehmer.

Professor Dr. Andreas Michalsen, Chefarzt der Abteilung Naturheilkunde im Immanuel Krankenhaus Berlin

Wie wirkt Scheinfasten?

Anders als beispielsweise das Intervallfasten zielt Longos Ernährungskur nicht auf den Gewichtsverlust ab. Zwar verringerten Studienteilnehmende ihr Körpergewicht und ihre Fettmasse, doch das ist nicht das Hauptziel. Stattdessen erreichst du unter anderem Folgendes:

Regeneration der Stammzellen

Studienergebnisse der Medizinischen Universität im chinesischen Heilongjiang deuten an, dass Scheinfasten die Regeneration von Stammzellen fördert. Denn während des punktuellen Kalorienverzichts kann der Körper in den essenziellen Zustand der Autophagie geraten – dem „Selbstverdauungsprozess“. Klingt bedrohlich, ist aber vollkommen normal und sogar gesund. Die Autophagie ist ein Reinigungsprozess deiner Zellen, bei dem sie sich von beschädigten Bestandteilen befreien. Erst dadurch wird Regeneration möglich.

Ein ähnlicher Effekt kann auch im Gehirn auftreten: Scheinfasten soll die Neurogenese, also die Bildung neuer Nervenzellen, fördern. Besonders im Hippocampus, einem Hirnareal, das für dein Gedächtnis und das Lernen verantwortlich ist. Beides soll sich dadurch verbessern.

Spannend: Die Selbstreinigung deiner Zellen kann auch dein Immunsystem verjüngen. Dadurch reagiert es schneller auf Schadstoffe.

Verbesserte Biomarker

Weitere Effekte beobachteten Forschende der Universität in Los Angeles. In ihrer Untersuchung konnte periodisches Scheinfasten den Blutdruck und die Cholesterinwerte senken. Auch sank die Insulinresistenz. Ein Vorteil, der besonders für Menschen mit Typ-2-Diabetes relevant sein kann.

Gleichzeitig konnte die Kalorienrestriktion Entzündungsmarker im Körper reduzieren. Das soll altersbedingten Krankheiten vorbeugen und dein biologisches Alter um bis zu zweieinhalb Jahre senken können.

Krebsrisiko und Krebstherapie

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Los Angeles forschten intensiv weiter. In einer gemeinsamen Studie mit Begründer Professor Longo zeigten sie das gewaltige Potenzial in der Krebsforschung auf. 

Verwehrst du deinem Körper die gewohnte Kalorienmenge, schalten gesunde Zellen in den Schutzmodus – die sogenannte „differential stress resistance“ (DSR). Dabei reduzieren sie ihre Aktivität, reparieren Schäden und sollen resistenter gegenüber den belastenden Effekten einer Chemotherapie sein. Das kann Nebenwirkungen abmildern.

Ein ähnlich essenzieller Effekt betrifft erkrankte Zellen. Diese verfügen nicht mehr über die Schutzmechanismen gesunder Zellen. Sie bleiben während des Fastens aktiv. Das soll eine gezielte Chemotherapie ermöglichen. 

Außerdem deuten die Untersuchungen auf ein verlangsamtes Tumorwachstum hin. Grund dafür könnte der verringerte Spiegel des Hormons „Insulin-like Growth Factor 1“ (IGF-1) sein. Dieser regt normalerweise die Zellteilung an. Fehlt er, können sich Krebszellen langsamer vermehren.

Einschränkung der Studien

Die Vorteile des Scheinfastens klingen vielversprechend. Dennoch solltest du sie mit Vorsicht betrachten. Bislang fehlt es noch an langfristigen Studien. Viele der beobachteten Effekte wurden bisher nur an kleinen Gruppen von Menschen, an Tieren oder in Zellkulturen festgestellt. Daraus lassen sich keine eindeutigen wissenschaftlichen Aussagen ableiten.

Trotzdem gilt: Das Scheinfasten zeigt großes Potenzial. Neben den genannten Effekten soll es beispielsweise lebensverlängernd wirken und den Alterungsprozess des Körpers verlangsamen. Noch kann die Wissenschaft das aber nicht zweifelsfrei belegen.

Der Selbsttest – Schaffe ich fünf Tage Scheinfasten?

Lockerer Start, grummelnder Morgen

Ich begann das Experiment mit einem empfohlenen Übergangstag. 1.100 Kalorien durfte ich mir genehmigen. Klang gar nicht so wenig. Ein Blick auf die Einkäufe ließ mich jedoch schnell zweifeln. Ich ertappte mich bei dem Gedanken, dass nichts davon mich wirklich satt machen würde: Nüsse, Gemüse und Obst, Joghurt, salzarme Brühe und grüner Tee. Sättigend sieht anders aus.

Dennoch überstand ich den ersten Tag problemlos. Durch meinen sitzenden Berufsalltag brauche ich ohnehin nicht viel Energie. 1.100 Kalorien reichten aus. Auch weil ich auf eine lange Ausfahrt mit dem Rad verzichtete. Und selbst der befürchtete Hunger am Abend blieb aus.

Zumindest bis zum nächsten Morgen. Schon kurz nach dem Aufstehen meldete sich mein Magen. Knurrte nach Nahrung. Eine winzige Portion Soja-Joghurt mit Kirschen aus Omas Garten ließ ihn zumindest kurzzeitig verstummen. Das leicht flaue Gefühl blieb aber.

Und begleitete mich durch den Tag. Ein warmer Tee und etwas Ofengemüse verdrängten es zumindest am Abend, was das Einschlafen erleichterte. Besonders erholsam war die Nacht jedoch nicht, wie mir der Sleep Score von 69 auf meiner Smartwatch bestätigte.

Ofengemüse in einer Schale mit einer Tasse Tee dahinter.
© Privat

Neben den körperlichen Begleiterscheinungen bemerkte ich die reduzierte Kalorienzufuhr dann doch vor allem bei der Arbeit. Immer wieder ließ meine Konzentration nach. Besonders, wenn das Hungergefühl kurz vor der nächsten Mini-Mahlzeit merklich zunahm. War es dann so weit, sättigte mich kein warmes Mittagessen. Ich knabberte an Kohlrabischeiben und Radieschen herum. Sogar an holzigen. Schließlich wollte ich keine Kalorie verschenken. 

Das besänftigte zwar den Magen, nicht aber den Kopf. Besonders an Tag zwei und drei sehnte er sich nach einer vollwertigen Mahlzeit. Vor allem nach hochkalorischen Kohlenhydraten – ganz ohne das Abwiegen der Portionen. Eine Begierde, die sich an Tag vier und fünf beinahe gänzlich einstellte. Auch die körperliche Trägheit ließ nach. Sogar meine Body Battery kletterte über die 70. 

Das nutzte ich für eine lockere Ausfahrt mit dem Rad. Sie führte mich am letzten Tag zum Supermarkt. Ich verließ ihn mit Kartoffeln, Reis und anderen Leckereien im Rucksack. Denn obwohl die Mini-Rationen den Hunger und die mentale Belastung mindern sollten, waren die Tage von geringer Energie und Antriebslosigkeit geprägt. Und neben den körperlichen Vorteilen entstand ein weiterer Effekt: Die erste vollwertige Mahlzeit schmeckte fantastisch.

Für wen lohnt sich Scheinfasten?

Ein großer Vorteil des Scheinfastens: Die abgespeckte Version glänzt mit Alltagstauglichkeit. Körperliche Symptome, Leistungseinbußen oder Unwohlsein – wer das Fasten nur imitiert, hat seltener mit starken Beschwerden zu kämpfen.

Besonders interessant ist Scheinfasten für alle, die sich mit dem Thema Longevity beschäftigen. Ein Buzzword, das seit einigen Jahren den Sprachgebrauch von Gesundheitsbewussten und Sportbegeisterten prägt. Langlebigkeit, so die deutsche Übersetzung, und Scheinfasten – das passt zusammen. Denn gesunde Zellen sind die Grundlage für ein langes Leben. Scheinfasten kann genau das fördern. Die regelmäßigen Regenerationskuren unterstützen das zelluläre Großreinemachen.

Auch können sportlich Aktive vom reduzierten Speiseplan profitieren. Besonders nach intensiven Einheiten. Denn durch hohe Belastungen entstehen kleinste Entzündungen in den Muskeln. Scheinfasten soll diese lindern können und dadurch die Regeneration beschleunigen. Das soll auch bei den Entzündungen durch Stress im Alltag helfen.

Für wen Scheinfasten ungeeignet ist:

  • Schwangere und Stillende
  • Kinder und Jugendliche in Wachstumsphasen
  • Menschen mit Essstörungen oder Untergewicht
  • Diabetes-Typ-1-Erkrankte
  • Personen mit chronischen oder schweren Erkrankungen (ärztliche Abklärung erforderlich)

Wichtig: Auch wenn beim Scheinfasten kleine Portionen erlaubt sind, stellt die Ernährungskur eine Belastung für den Körper dar. Sie sollte daher nicht zu häufig durchgeführt werden. Professor Longo selbst empfiehlt sie zwei- bis viermal pro Jahr. Wer Gewicht verlieren will, kann sie über einen Zeitraum von sechs Monaten monatlich anwenden.

So gelingt dir Scheinfasten – ohne Rückzieher

Bereite dich mental vor

Scheinfasten mag erträglicher sein als andere Fastenmethoden. Ein kulinarischer Spaziergang ist es trotzdem nicht. Das solltest du dir bewusst machen. Hunger wird dich plagen, und so manche Leckerei wird verlockend erscheinen. Aber bleib standhaft: Schon ein einziges Fastenbrechen kann die gewünschten Effekte zunichtemachen.

© eternalcreative / iStock / Getty Images Plus

Fülle deinen Kühlschrank mit den richtigen Lebensmitteln

Kommen wir zur wichtigsten Frage: Was darf auf den Teller? Diese Lebensmittel sind erlaubt:

  • stärkearmes Gemüse wie Spinat, Brokkoli, Paprika oder Tomaten
  • Obst mit wenig Fruchtzucker wie Heidelbeeren, Himbeeren, kleine Mengen Apfel oder Grapefruit
  • Salate
  • gesunde Fette aus pflanzlichen Ölen
  • Nüsse
  • Hülsenfrüchte

Tipp: Räume ungeeignete Lebensmittel aus dem Kühlschrank, damit du erst gar nicht in Versuchung gerätst. Das sogenannte Fridge Clearing. Fülle ihn dann mit Vorräten für fünf Tage. So vermeidest du spontane Impulskäufe.

Tipps gegen Hunger, Müdigkeit und den inneren Schweinehund

  • Trinke viel: Ständiges Grummeln kannst du mit ausreichend Flüssigkeit bändigen. Das hilft natürlich nicht stundenlang, lässt einen lauten Magen aber für einige Zeit verstummen.
  • Lenk dich ab: Ganz ähnliche Effekte haben kurze Spaziergänge, ein gutes Buch oder Meditation. Sie verdrängen den Essenswunsch aus dem Kopf und lenken dich vom Hunger ab. Auch leichte Workouts haben diesen Effekt. Gestalte sie aber nicht zu intensiv. Dafür fehlt dir die Energie.
  • Baue Mini-Rituale ein: Natürlich erwarten dich keine opulenten Mahlzeiten. Zu kleinen Highlights kannst du sie trotzdem machen. Gönne dir am Abend eine warme Suppe oder leckeres Ofengemüse. Mahlzeiten, auf die du dich freuen kannst.
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Quellen
  1. https://www.zukunftsessen.de/studie-zum-scheinfasten-25-jahre-verjuengung-ermittelt/
  2. https://www.pharmazeutische-zeitung.de/so-effektiv-ist-scheinfasten-153632/
  3. https://www.nature.com/articles/s41467-024-45260-9
  4. https://academic.oup.com/nutritionreviews/article-abstract/83/2/e412/7591546?redirectedFrom=fulltext
  5. https://europepmc.org/backend/ptpmcrender.fcgi?accid=PMC6816332&blobtype=pdf
  6. https://www.test.de/Wie-wirksam-ist-Scheinfasten-6214655-0/
  7. https://www.ndr.de/ratgeber/gesundheit/Scheinfasten-Fasteneffekte-ohne-zu-hungern,scheinfasten102.html
  8. https://www.heimat-krankenkasse.de/ratgeber/ernaehrung/scheinfasten-so-funktioniert-die-fuenf-tage-kur/
  9. https://www.swr.de/swr1/rp/programm/scheinfasten-diaet-anti-aging-fitness-gesundheit-bernd-kleine-gunk-was-passiert-im-koerper-100.html
  10. https://www.geo.de/wissen/gesundheit/scheinfasten–mit-halber-ration-gesund-abnehmen–31606224.html
  11. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/38287649/
  12. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/26094889/
  13. https://www.cell.com/cell-reports/fulltext/S2211-1247(16)30576-9
  14. https://www.ndr.de/ratgeber/gesundheit/-Longevity-Welche-Faktoren-sind-wichtig-fuer-ein-langes-Leben,langesleben100.html

Über diesen Artikel

Kevin Berg © Redaktion

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Kevin Berg

Kevin Berg ist seit 2019 #BeatYesterday-Redakteur mit vielen Interessen. Als Journalist wurde Kevin an einer …

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