Es ist Wahnsinn. 3,8 Kilometer Schwimmstrecke. 180 Kilometer Radfahren. 42,2 Kilometer Laufen. Hunderttausende Zuschauende an der Strecke. Der Challenge Roth ist mehr als nur ein Wettkampf. Er gilt als der bestbesuchte Langdistanz-Triathlon der Welt. Selbst Profis verzweifeln angesichts der Härte der Strecke.
Wer in Roth startet, muss perfekt vorbereitet sein – auch mental. So wie Kerstin. Die Mitarbeiterin von Garmin, die sonst unter anderem Events plant und begleitet, ist dieses Jahr selbst Teil dieses Veranstaltung, die als Wiege des europäischen Triathlonsports gilt.
Was Kerstin aus dramatischen gesundheitlichen Rückschlägen gelernt und wie sie sich auf Roth vorbereitet hat, erzählt sie im Beat Yesterday-Interview.
© Christoph Raithel
Beat Yesterday: Kerstin, du bist Hobby-Triathletin. Warst du schon immer sportlich?
Kerstin Schmidt: Das ist eigentlich eine lustige Geschichte (lacht). Als Jugendliche war ich sportlich unterwegs – vor allem im Handball. Danach habe ich rund 13 Jahre gar keinen Sport mehr getrieben. Ich war wohl der unsportlichste Mensch der Welt, habe geraucht und ziemlich ungesund gelebt.
Beat Yesterday: Wie bist du dann zum Triathlon gekommen?
Kerstin: Im Jahr 2018 begleitete ich eine Bekannte zu ihrer ersten Mitteldistanz – dem Ironman 70.3 in Kraichgau. Bis dahin wusste ich nicht einmal, was ein Triathlon ist.
Aber als ich dort stand, dachte ich: Boah, ist das geil. Ich glaube, das will ich auch machen. Das habe ich natürlich niemandem erzählt. Immerhin konnte ich zu dem Zeitpunkt nicht mal fünf Kilometer am Stück joggen.
Beat Yesterday: Wie ging es weiter?
Kerstin: Das Erlebnis hat mich nicht mehr losgelassen. Ich meldete mich für meinen ersten Halbmarathon an. Einfach, um mir selbst zu beweisen, dass ich das schaffe. Wegen einer Verletzung konnte ich einige Wochen nicht mehr laufen. So bin ich dann in den Fahrradsattel gestolpert. Das Radfahren hat sich schließlich als meine große Leidenschaft entpuppt.
Beat Yesterday: Fehlt nur noch das Schwimmen.
Kerstin: Auch da dachte ich mir: Ich probier’s einfach mal. Also bin ich mit einer befreundeten Sportlehrerin ins Becken. Kraulen als Erwachsene zu lernen, ist übrigens kein Zuckerschlecken. Aber ich bin drangeblieben. Und 2021 kam dann der Moment: Ich meldete mich für meinen ersten Triathlon an.

Beat Yesterday: Du hast im Mai am „Triathlon.de Cup“ in München teilgenommen. Am Ende musstest du das Rennen abbrechen. Was genau ist passiert?
Kerstin: Eigentlich sollte der Triathlon nur ein Vorbereitungsrennen für Roth sein. Aber es lief anders als geplant. Im vergangenen Jahr musste ich wegen einer Tumor-Entfernung an der Schilddrüse komplett mit dem Sport pausieren. Meine letzte Mitteldistanz lag schon 1,5 Jahre zurück.
Kurz vor dem Rennen bekam ich erneut Probleme mit meinem Rücken. Das ist eine alte Baustelle, die mich schon 2018 geplagt hatte. Eine Woche vorher war ich beim Orthopäden. Diagnose: Blockade im ISG-Gelenk (zwischen Darm- und Kreuzbein im Beckenbereich, d.Red.) und ein gereizter Nerv. Es ging einigermaßen – also bin ich trotzdem gestartet.
Dann kam beim „Triathlon.de Cup” die Kälte: 10 Grad Außentemperatur, 16 Grad im Wasser. Direkt nach dem Schwimmen wusste ich: Das wird heftig. Ich bin aufs Rad gestiegen – und sofort hat der Rücken blockiert.
Beat Yesterday: Hast du sofort aufgegeben?
Kerstin: Nein. Ich habe wirklich gehofft, dass es besser wird, wenn ich erst mal warm werde. Aber so war es nicht. Stattdessen bin ich 40 Kilometer lang mit mir selbst im Clinch gefahren. Runde für Runde, immer dieselbe Frage im Kopf: Breche ich ab oder beiße ich mich durch?
Es war ein innerer Kampf. Ich wusste, dass ich durchkommen könnte – irgendwie. Aber zu welchem Preis? Bis zu diesem Zeitpunkt war ich noch nie aus einem Rennen ausgestiegen. Der Gedanke daran hat mir fast den Magen umgedreht. Aber dann war da diese Stimme in mir, die flüsterte: Du riskierst Roth. Und ich wusste: Ich muss loslassen, obwohl es wehtut.
Beat Yesterday: Wie schwer war die Entscheidung gegen den eigenen Ehrgeiz?
Kerstin: Wäre es Roth gewesen, hätte ich den Schmerz wahrscheinlich ignoriert und mich durchgebissen. Und danach notfalls eine Laufpause hingenommen. Aber diesmal war klar: Das Rennen ist nicht das Ziel, es ist nur ein Zwischenschritt.
Beat Yesterday: Klingt logisch. Und nach einer einfachen Entscheidung.
Kerstin: Man weiß rational, was richtig wäre. Aber trotzdem habe ich kleine Monster in mir, die sagen: Jetzt stell dich nicht so an. Sei nicht so ein Schwächling. Am Ende habe ich auf meine Gesundheit gehört.
Beat Yesterday: DNF (Did Not Finish) – das sind drei Buchstaben, die besonders schmerzen. Was hast du aus dieser Erfahrung in München mitgenommen?
Kerstin: Es zahlt sich aus, auf den Körper zu hören. Natürlich hat mich der Abbruch zuerst belastet. Zwei, drei Tage lang war ich ziemlich down. Aber durch die richtige Reaktion – Physio, eine Woche Ruhe – konnte ich schnell wieder ins Training einsteigen. Und das hat mir bestätigt: Es war genau die richtige Entscheidung.
Das zeigt auch, wie wichtig das Körpergefühl in diesem Sport ist. Ich merke heute sehr schnell, wenn etwas nicht stimmt. Die eigentliche Kunst ist schnelles Handeln, bevor es zum Problem wird. 2018 habe ich ähnliche Schmerzen ignoriert und war danach sechs Wochen komplett raus. Das passiert mir nicht nochmal.
Beat Yesterday: Wie sieht deine Vorbereitung für den Challenge Roth aus? Es ist deine erste Langstrecke. Und der weltweit größte Triathlon auf der Langdistanz.
Kerstin: Eigentlich hatte ich nicht vor, eine Langdistanz durchzuziehen. Ich wollte nie Marathon laufen, die Mitteldistanz war genau mein Ding. Aber vor zwei Jahren war ich Teil einer Staffel beim Challenge Roth. Ich bin damals die Radstrecke gefahren.
Als ich dann im Zielkanal stand und sah, wie alle ins Stadion einlaufen, war es klar: Das will ich auch. Nach Absprache mit meinem Trainer wollte ich zwei Jahre auf Roth hinarbeiten. Vergangenes Jahr kam dann die OP dazwischen. Deshalb ist die Vorbereitung jetzt etwas kompakter.
Seit September bin ich wieder im Training. Der Ablauf war im Grunde wie bei der Mitteldistanz – nur mit mehr Umfang. Mehr Stunden, mehr Kilometer.
Beat Yesterday: Dein Training hat sich also nur in den Details verändert. Was ist mit deinem Charakter?
Kerstin: Der Unterschied war vor allem mein eigenes Commitment. Ich war und bin fokussierter denn je.

Beat Yesterday: Wie sieht eine typische Trainingswoche bei dir aus?
Kerstin: Montags ist mein Ruhetag im Sinne des Ausdauertrainings. Den verbringe ich mit Krafttraining, um meinen Körper zu stabilisieren. Dienstags stehen eine Schwimmeinheit und Intervalllaufen auf dem Programm. Mittwochs geht es für zwei bis drei Stunden aufs Rad.
Donnerstags folgt ein Longrun und freitags eine Schwimmeinheit. Samstags mache ich dann eine lange Radausfahrt mit Intervallen. Und mein Sonntag besteht aus einer Koppeleinheit. Also erst Radfahren, dann laufen. Natürlich variiert mein Trainingsplan je nach Phase.
Beat Yesterday: Mit welchem technischen Set-up trainierst du?
Kerstin: Die Garmin fēnix 8 habe ich immer am Handgelenk. Beim Radfahren benutze ich den Edge 840 Solar. Außerdem habe ich als Radar das Varia RCT716 am Start, das mich vor Autos warnt und gleichzeitig als Rücklicht funktioniert.
Um meine Herzfrequenz zu messen, benutze ich noch den HRM-Fit. Das ist ein Brustgurt speziell für Frauen, deswegen lässt er sich direkt am Sport-BH befestigen.
Beat Yesterday: Du steckst im Moment zwischen deinem Job, dem Kilometerschrubben auf dem Rad und der Laufbahn. Wie jonglierst du das alles?
Kerstin: Manchmal frage ich mich das selbst. Ich arbeite bei Garmin im Brand Marketing, bin viel auf Events unterwegs. Dieses Jahr hatte ich schon zehn Geschäftsreisen, oft über mehrere Tage. Trotzdem ziehe ich mein Training irgendwie durch.
Beat Yesterday: Wie motivierst du dich, wenn es schwierig wird?
Kerstin: Am Ende hilft nur eins: ein Warum. Nach stundenlangen Meetings schnüre ich in der Mittagspause die Laufschuhe. Intervalltraining. Und ja, manchmal frage ich mich: Warum mache ich das? Die Antwort ist: Weil ich es will. Und weil ich weiß, wofür ich es tue.
Beat Yesterday: Gab es Momente, in denen du dachtest: Ich kann nicht mehr?
Kerstin: Ja, wenn alles auf einmal kommt. Deadlines, Geschäftsreisen, intensive Trainingsphasen – da kann es manchmal eng werden. Dann helfen mir bewusste Pausen. Serien schauen, schlafen und in die Berge fahren. Einfach mal den Kopf leeren.
Beat Yesterday: Was hat sich durch all deine Erfahrungen mittlerweile in deinem Mindset, deinem Umgang mit Druck verändert?
Kerstin: Ich bin dankbarer geworden. Vergangenes Jahr, vor der Schilddrüsen-OP, stand im Raum, ob es bösartiger Krebs ist. Zum Glück war es gutartig, aber das hat viel mit mir gemacht. Heute sehe ich mein Training nicht mehr als Selbstverständlichkeit. Diese Wertschätzung trägt mich durch jeden Trainingstag.
Beat Yesterday: Ist der Respekt vor dem Challenge Roth größer – oder der Hunger?
Kerstin: Der Hunger ist größer. Ich weiß, wie brutal die Langdistanz wird – aber ich freue mich auf diese Herausforderung. Es wird wehtun, keine Frage. Aber ich bin bereit.
Beat Yesterday: Was machst du, wenn dich Zweifel einholen?
Kerstin: Ich versuche, mich daran zu erinnern, was ich alles schon geschafft habe. Mein Trainer glaubt an mich, also kann ich das auch. Aber klar, es gibt Tage, da zweifle ich an allem. Dann lasse ich die Zweifel auch kurz zu. Wichtig ist nur, dass man den Kopf schnell wieder aus dem Sand zieht.
Beat Yesterday: Du sagst auf Social-Media, Rauszoomen ist genauso wichtig wie Training. Was siehst du beim Rauszoomen?
Kerstin: Ich sehe, was ich leiste. Im Alltag denkt man oft: Ich mache zu wenig, ich bin nicht gut genug.
Erst vor einem Monat dachte ich mir: Kerstin, du kriegst einfach nichts hin. Du trainierst nicht hart genug. Es fällt zu viel Training aus. Raff’ dich mal.
Wenn ich aber mit Abstand draufblicke, sehe ich, was ich alles schaffe. Das hilft. Man selbst ist oft zu hart zu sich.
Beat Yesterday: In Roth sind viele Top-Athletinnen und Athleten im Einsatz. Hast du Vorbilder, die dich inspirieren?
Kerstin: Definitiv. Meine größten Vorbilder im Triathlon sind Kat Matthews und Lucy Charles-Barclay.
Beat Yesterday: Hast du eine Taktik für Roth?
Kerstin: Meine größte Baustelle ist das Mentale. Ich neige dazu, im Rennen zu früh an den nächsten Abschnitt zu denken. Beim Schwimmen denke ich ans Rad, auf dem Rad ans Laufen.
Ich will diesmal ganz bewusst im Moment bleiben. Zählen hilft mir dabei: Schritte, Pedalumdrehungen. Und Visualisieren. Ich stelle mir vor, wie ich den Kanal entlang laufe oder ins Ziel komme.

Beat Yesterday: Was trägt dich durch das Training?
Kerstin: Das Wissen, dass Roth die Belohnung ist. Ich habe zehn Monate extrem hart gearbeitet, Roth ist die Kirsche auf der Sahnetorte.
Außerdem habe ich zwei Songs, die mich motivieren: „Erfolg ist kein Glück” von Kontra K und „Guess Who´s Back” von Eminem. Die habe ich auch im Kopf, wenn ich ohne Musik laufe. Und ich denke oft ans Ziel.
Beat Yesterday: Auf welchen Moment in Roth freust du dich am meisten?
Kerstin: Auf die Finishline. Wer einmal in Roth war, weiß warum. Diese Stimmung im Stadion, die Party, das Gefühl, es geschafft zu haben. Darauf freue ich mich am meisten.
Beat Yesterday: Was wird dir für immer bleiben – egal, wie Roth ausgeht?
Kerstin: Dass ich meine Grenzen verschoben habe – Stück für Stück. Ich bin jeden Tag, in jedem Training über mich hinausgewachsen.
So viel Commitment wie in diesen Monaten habe ich mir selbst noch nie abverlangt. Was ich mir erarbeitet habe, nehme ich mit – nicht nur ins Ziel, sondern ins Leben.
Beat Yesterday: Was würdest du anderen mitgeben, die ein DNF erleben?
Kerstin: Hör nicht auf, an dich zu glauben. Ein Rückschlag ist kein Scheitern, sondern manchmal einfach ein kluger Schritt. Du darfst traurig und frustriert sein, klar. Aber dann: Aufstehen und weitermachen.
Und besonders die Frauen im Sport müssen mehr an sich glauben. Ich habe auch erst mit Ende 20 angefangen. Alles ist möglich, wenn man dranbleibt, Selbstvertrauen hat und sich von niemandem etwas einreden lässt.
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