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Rollstuhlbasketball: Auf Augenhöhe

Beim Rollstuhlbasketball spielen kerngesunde und gehandicapte Frauen und Männer zusammen in einem Team. Das ist ein Musterbeispiel für Inklusion – und hilft Betroffenen, Struktur und Normalität zu finden.

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Svenjas Mutter hat gekocht. Wie immer. Die Mittagspause verbringen Mutter und Tochter stets gemeinsam. An diesem schneereichen ersten Februartag im Jahr 2011 wird das Essen unberührt bleiben. Svenja verunglückt auf dem Weg zu ihrer Mutter lebensgefährlich. Die falsche Zeit, der falsche Ort, ein unachtsamer Berufskraftfahrer. Alles in allem ein Zufall.

Die Überlebenschancen von Svenja Mayer scheinen gering. Ein 40-Tonner überrollte ihre Hüfte und ihr Becken. Sie verliert Blut, die inneren Verletzungen sind dramatisch. Die Ärzte kämpfen im Krankenhaus um ihr junges Leben. Zunächst mit Erfolg. Svenja übersteht die erste Nacht und die zweite auch. Aber wird das reichen?

Wochenlang liegt die Frau nach ihrem Unglück im Koma, ihr Zustand bleibt kritisch. Insgesamt 54 Operationen muss die damals 19-Jährige in den kommenden Wochen, Monaten und Jahren überstehen.

Als Svenja aus dem Koma aufwacht, ist sie querschnittsgelähmt, ihre Füße und Beine spürt sie nicht mehr. Sie kann kaum sprechen. Ihre Feinmotorik in den Händen hat sie beinahe komplett verloren. Dabei ist Svenja gelernte Friseurin. Die Lichtstreife am Horizont scheinen weit weg.

Doch knapp zehn Jahre nach ihrem Unfall ist Svenja Mayer deutsche Rollstuhlbasketball-Nationalspielerin. Bei den Rhine River Rhinos in Wiesbaden spielt sie auf professionellem Niveau auf der Guard-Position, sie ist bekannt für ihre Übersicht. Vor ihrem Unfall machte sie nur in ihrer Freizeit Sport, jetzt träumt sie von den Paralympics. Wobei: Es ist kein Traum. Ihre Chancen auf den Kader für Tokio stehen gut. Die Spiele müssen nur stattfinden.

Der Rollstuhlbasketball hat Svenja Mayer einst Kraft und neue Ziele geschenkt – heute gibt er ihrem Alltag Struktur und Normalität. Ein #BeatYesterday.org-Interview über eine tolle Sportart – und eine starke Frau.

Immer nach vorn: Svenja Mayer hat sich nach ihrem Unfall ein neues Leben erkämpft. © Stephanie Wunderl

#BeatYesterday.org: Svenja, du bist querschnittsgelähmt, sitzt im Rollstuhl und gehörst du zu den besten Rollstuhlbasketballerinnen Deutschlands. Warst du schon immer sehr ehrgeizig, oder ist der Wille erst nach deinem Unglück entstanden?

Svenja Mayer: Ich war vor meinem Unfall recht fit. Ich bin daheim in Amberg ins Fitnessstudio gegangen, hatte zwei Pferde, die bewegt werden wollten. Zur Arbeit bin ich mit dem Rad gefahren. Jeden Tag, sogar im Winter, wenn es schneite. An Leistungssport war ich aber nicht interessiert.

#BeatYesterday.org: Du hattest vor über neun Jahren einen dramatischen Unfall. Magst du darüber reden?

Svenja: Ja, ich wollte mit dem Fahrrad in der Mittagspause nach Hause fahren. Meine Mama hat für mich gekocht, das gemeinsame Mittagessen war unser Ritual. An der Ampel, an der es passierte, hatte ich grün, ich befand mich auf der Spur für Radfahrer und durfte die Straße fahrend überqueren. Dabei hat mich das Führerhaus eines abbiegenden Lkws erwischt und vom Rad gestoßen. Mit dem Auflieger ist der Lastwagen danach über meine Hüfte gerollt. 40 Tonnen. Da hatten meine Knochen keine Chance.

#BeatYesterday.org: Warst du danach ansprechbar?

Svenja: Mein Ersthelfer sagte mir später, dass ich ansprechbar gewesen sei. Ich hätte ihm mitgeteilt, dass ich meine Beine nicht spüren könne. Und ich hätte ihm gesagt, dass ich zu meiner Mama müsse. Die warte ja. An den Unfall und die Zeit im Koma habe ich keine Erinnerungen.

#BeatYesterday.org: Du hast nach deinem Unfall viele Monate im Krankenhaus gelegen, 54 Operationen musstest du überstehen. Menschen, die Ähnliches erlitten haben, sagen, es braucht seine Zeit, bis der Mut wieder zurückkehrt, der Blick nach vorne schweifen kann. Ab welchem Moment kam dein Wille damals zurück?

Svenja: Das war ein langer Prozess. Ich lag nach dem Unfall zehn Wochen im Koma. Wenn man „aufwacht”, ist man aber nicht sofort präsent, nicht wirklich da. Ich war fünf Minuten bei Bewusstsein, dann dämmerte ich wieder einen halben Tag weg. Es war ein richtiges Delirium, meine Umwelt nahm ich komplett verschwommen wahr. Ich wusste nicht, wo ich war. In diesen Tagen konnte ich nicht klar denken, das kam erst mit der Zeit.

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„Ich sah aus wie tot”

#BeatYesterday.org: Dachtest du in deiner Lage an das Aufgeben, hofftest du auf Erlösung?

Svenja: Ich habe mir nie den Tod gewünscht. Auch wenn alles schmerzte, ich durch das Beatmungsgerät nicht sprechen konnte – ich wollte nicht sterben. Ich wollte leben. Es gab keine einzige Situation, in der ich für mich dachte: Lasst es gut sein, lasst mich gehen. Mein Lebenswille war ungebrochen stark. Wäre der nicht da gewesen, … ich wäre bereits auf der Straße gestorben.

#BeatYesterday.org: Woraus speiste sich diese Motivation, diese Lebenskraft?

Svenja: Es hat, denke ich, viel mit meinem Vater zu tun. Der ist sehr früh verstorben. Ich wollte meiner Mutter und meinem Bruder nicht antun, dass sie auch mich verlieren.

#BeatYesterday.org: Wann hattest du das Gefühl, dass sich dein Zustand verbessert? Der Ski-Springer Lukas Müller hat mir zum Beispiel erzählt, dass es bei ihm eine erste Drehung im Bett gewesen sei, die ihn nach seiner Querschnittlähmung ermutigte. Endlich war da wieder ein kleines bisschen Selbstständigkeit. Wie war das bei dir?

Svenja: An Drehungen war bei mir zunächst nicht zu denken. Ich wurde in ein Sandbett gelegt, weil meine Wunden verheilen mussten. Da musste der Druck so gering wie möglich sein. Ich versank beinahe schwerelos im Sand. Den einen großen Fortschritt gab es zunächst nicht, es ging langsam voran – und manchmal auch zurück. Vieles musste ich neu lernen. Meine Motorik war auf dem Stand eines Grundschulkindes, das Sprechen gelang mir allenfalls mühsam. Als die Sonde, die mich wochenlang ernährt hatte, entfernt wurde, bekam ich nichts runter. Und wenn ich was aß, erbrach ich mich sofort. Deshalb musste die Sonde wieder rein. Zwischendurch war ich auf 37 Kilogramm abgemagert. Ich sah aus wie tot. Der große Fortschritt war das erstmalige Sitzen im Rollstuhl. Fünf Monate hatte ich nur gelegen. Da ging es dann wirklich spürbar vorwärts.

Zurück in die Normalität

#BeatYesterday.org: Wie hat sportliche Aktivität deine Rehabilitierung positiv beeinflusst?

Svenja: Es war eher ein Wunsch auf eine Betätigung. Ich wollte zurück aufs Pferd. Das Reiten war ein großer Teil meines Lebens. Den wollte ich mir zurückholen.

#BeatYesterday.org: Konntest du trotz deiner Querschnittslähmung reiten?

Svenja: Meine Pferde haben es mir leicht gemacht. Aber durch die starke Reibung im Sattel entstand ein Abszess. Ich musste zurück ins Krankenhaus. Danach brauchte ich einen neuen sportlichen Ausgleich.

#BeatYesterday.org: Rollstuhlbasketball.

Svenja: Ich hab es zunächst gehasst. Rollstuhlbasketball ist ein harter Sport, es gibt richtigen Stuhlkontakt, die Rollstühle rauschen förmlich ineinander, es ist laut und wild. Mir tat nach den ersten Erschütterungen alles weh. Mein Körper leidet auch heute noch unter den Folgen des Unfalls, der Schmerz wird für immer bleiben. Beim Rollstuhlbasketball musste ich mich an die Härte aber besonders gewöhnen.

#BeatYesterday.org: Und dann?

Svenja: Kam der Ehrgeiz. Ich merkte den sportlichen Fortschritt, dass mir die Bewegung half, besonders mental. Es hat mir Spaß gemacht. Das erste Mal spielte ich in einem richtigen Team mit allen Vorzügen. Der Rollstuhlbasketball brachte Normalität zurück in mein Leben.

Rollstuhlbasketball kann jeder spielen

Egal, ob du mit einer Einschränkung lebst oder vollkommen gesund bist. Wenn du Interesse hast, melde dich bei einem Rollstuhlbasketball-Verein in deiner näheren Umgebung an. Die Vereine können dir häufig auch ein Spezialstuhl für ein Probetraining zur Verfügung stellen. Menschen ohne Einschränkungen, sogenannte Fußgänger, nehmen im Rollstuhl Platz. Besonders toll: Rollstuhlbasketball ist nicht nur eine aufreibende und anstrengende Sportart, sie wird auch mit viel Respekt und Achtung gespielt. Wie anstrengend die Einheiten sind, erfährst du, wenn du sie beim Probetraining mit deiner Garmin-Uhr und der Connect App nachverfolgst.

Miteinander auf Augenhöhe

#BeatYesterday.org: Was schätzt du am meisten am Rollstuhlbasketball?

Svenja: Das „Inklusive” in diesem Sport. Fußgänger, so nennen wir Menschen, die keine Einschränkungen haben, spielen mit anderen, die im Rollstuhl sitzen, in einem Team zusammen. Rollstuhlbasketball kann jeder spielen, es ist kein klassischer „Behindertensport”. Zudem sind Männer und Frauen Teil derselben Mannschaft, wir rollen zeitgleich über das Feld. Da ist sehr viel Miteinander und Augenhöhe. Meinen Freund, einen Fußgänger, habe ich durch den Sport kennengelernt. Durch seinen im Rollstuhl sitzenden Vater war er zum Sport gekommen und konnte danach nicht mehr davon lassen. Rollstuhlbasketball macht unfassbar viel Spaß. Egal, ob man laufen kann oder nicht.

#BeatYesterday.org: Blöd gefragt: Nehmen gesunde Sportler dann nicht den anderen die Plätze auf dem Feld weg?

Svenja: Es wird nach einem Punktesystem gespielt. Je nach Grad der körperlichen Einschränkung verkleinert sich der eigene „Wert” – jeder Spieler hat also eine Klassifizierung. Die Spieler, die sich auf dem Spielfeld befinden, werden miteinander addiert. Maximal dürfen 14,5 Punkte gleichzeitig für eine Mannschaft aktiv sein. Ich habe 2,5 Punkte. Das System sorgt dafür, dass besonders fitte Spieler mit stark gehandicapten Teamkollegen harmonieren müssen, das fördert den Zusammenhalt extrem. Jeder ist wichtig, egal wie viele Körbe er wirft.

#BeatYesterday.org: Wie oft trainierst du in der Woche?

Svenja: Zehn Einheiten nehme ich mir in der Woche vor. Individuelles Krafttraining, Konditionseinheiten, Wurfübungen, das normale Spielen mit dem Team. Dazu kommen noch vier Termine bei der Physiotherapie. Auch müssen meine Beine regelmäßig bewegt und aktiviert werden. Sonst verkürzt sich die Muskulatur immer weiter.

#BeatYesterday.org: Menschen ohne Einschränkungen steigen in die Laufschuhe und gehen vor die Tür, um ihre Kondition zu trainieren. Wie trainierst du deine Ausdauer im Rollstuhl?

Svenja: Dank Med4Sports, einem lokalen Fitnessstudio, das auf den Rehabilitationssport spezialisiert ist und demnach viele Geräte besitzt, die es in normalen Fitnessstudios nicht gibt, kann ich an der Handkurbel trainieren. Außerdem nutze ich die Spaziergänge mit meinem Hund für mein Konditionstraining, indem ich mir Wege mit starken Steigungen suche. Das ist gut für die Kraftausdauer in den Armen.

Svenja ist auch international erfolgreich. Ihr nächstes Ziel: Die Paralympics in Tokio © Stephanie Wunderl

Halt und Struktur im Alltag

#BeatYesterday.org: Wie wichtig ist Sport für dich?

Svenja: Er gibt mir Halt und Struktur im Alltag, ein Stück Selbstständigkeit. Ich habe das Glück, dass mir die Rhine River Rhinos in Wiesbaden ideale Trainingsmöglichkeiten bieten. Ausreichende Trainingszeiten in barrierefreien Hallen sowie die Kooperation mit Med4Sports als Rehabilitations- und Fitnesspartner ermöglichen mir, den Sport auf hohem Niveau auszuüben – und mich damit auch perfekt auf Tokio vorzubereiten.

#BeatYesterday.org: Was hast du in all den Jahren über dich selbst und das Leben gelernt?

Svenja: Mir ist bewusst, dass es nicht selbstverständlich ist, dass ich den Unfall und die ganzen Operationen überlebt habe. Die Ärzte aus Amberg, die mich behandelten und immer noch für mich da sind, wenn ich sie brauche, sagen, dass ich ein Wunder sei. Ich hätte das eigentlich gar nicht überleben können. Habe ich aber. Durch den Unfall, die Reha und all das, was danach kam, weiß ich, wie klein die meisten unserer Alltagssorgen sind. Da ist vieles nebensächlich. Und ich weiß vor allem, dass ich fast alles schaffen kann, wenn ich hart genug dafür arbeite. Ich habe sehr viel Selbstvertrauen gewonnen.

#BeatYesterday.org: Was hast du dir sportlich für die nächsten Jahre vorgenommen?

Svenja: Ich möchte es mit der Rollstuhlbasketball-Nationalmannschaft zu den Paralympics nach Tokio schaffen. Ich möchte noch viel an mir arbeiten, mich als Sportlerin weiter verbessern. Mit den Rhine River Rhinos möchte ich mich weiter in der 1. Bundesliga steigern. Langfristig wollen wir zu den besten Teams in Deutschlands gehören.

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