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Gegner Krebs: Ich will leben

Markus Daamen überlebt die Diagnose Krebs, weil er die Krankheit wie eine sportliche Herausforderung annimmt. Und weil er schon als Triathlet lernen musste, zu leiden. Ein Gastbeitrag.

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1. Ein Jackpot, der kein Jackpot ist

Wir hatten uns auf Mauritius gefreut. Nur noch zwei Wochen bis zum Urlaub. Das mit der Abgeschlagenheit, den Nackenschmerzen und diesem elenden Juckreiz an den Beinen würde auf dieser Trauminsel schon abklingen. Die Sonne heilt alle Wunden. Dachte ich. Dann saß ich im Krankenhaus. Um mich herum die Schwestern, Pfleger und Ärzte, die über die Flure eilten. Und ich ganz allein. Bis die Radiologin kam, deren hastige Körpersprache sofort Panik in mir schürte. Das, was Routine sein sollte, war keine Routine mehr.

Die Ärzte hatten beim MRT eine sogenannte Raumforderung entdeckt. So groß wie meine Handfläche mit ausgestreckten Fingern. Die Biopsie zeigte später, dass es sich nicht um einen Tumor, sondern um ein Hodgkin-Lymphom handelte. Das Lymphom hatte den Durchmesser einer Coladose und drückte auf die Nerven im Nacken. Vierte Phase. Endstadium. „Sie müssen hierbleiben. Können wir jemanden bei Ihnen zuhause erreichen?”, fragte die Radiologin. Ich stammelte: „Was muss ich?”

Es klingt makaber, aber das Hodgkin-Lymphom gilt als Jackpot des Krebskriegens. Die Krankheit gehört zu den Krebsarten mit den besten Heilungschancen. Endstadium ist trotzdem schlecht. Konkret drohte mir das akute Versagen mehrerer Organe. Das Krankenhaus verließ ich an diesem Abend nicht mehr. Als meine Frau und ich später vorsichtig wegen Mauritius nachfragten, antwortete die Radiologin: „Wenn sie beiden diese Reise antreten, werden Sie das sehr wahrscheinlich nicht überleben.”

2. Krebs ist eine verquere Sache

Alle weinten. Meine Frau. Meine Eltern. Meine Freunde. Wobei, dass alle weinten, ist nicht richtig: Ich weinte nicht. Ich erzählte von der Diagnose und danach tröstete ich die Menschen, die mir am nächsten standen. Wenn ich mich abends in den Schlaf winden wollte, fand ich es schon seltsam, dass der, der Krebs hat, derjenige ist, der Trost spendet. Krebs ist eine verquere Sache.

Nach dem ersten Schock war ich mit dem Krebs überraschend gut klargekommen. Die Ärzte hatten mir sofort Pläne aufgezeigt. Sie erklärten mir ausführlich, was mich in den kommenden Wochen erwarten würde. Es gab nun etwas für mich zu tun. Es war wie bei der Saisonplanung als Triathlet. Die Therapie wurde zu meinem Training und der Kampf gegen die Krankheit zu einem Wettbewerb, den ich nicht gewinnen wollte, sondern gewinnen musste. Innerlich zweifelte ich nie an meinen Heilungschancen. Ich kann mir diese innere Sicherheit nicht erklären, aber sie war da. Ich schwor mir: Ich werde nicht durch diesen Scheißkrebs sterben. Nicht heute. Nicht morgen. Nicht in einem Jahr. Bestätigt wurde dieses positive Gefühl von einem Oberarzt. Als er meine Blutwerte, meine Leistungsdaten sowie die Ergebnisse der Herz- und Lungenfunktion sah, sagte er: „Ich habe fünf Jahre auf so einen Patienten gewartet.” Der Arzt freute sich, weil er eine riskante Behandlungsform bei mir anwenden konnte.

Obwohl Lunge, Milz und fünf Wirbel der Hals- und Brustwirbelsäule vom Lymphom infiltriert waren, war ich topfit. Ich hatte wenige Wochen zuvor noch die Challenge Roth gefinished, einen der härtesten Triathlons in Deutschland. Zwar eine Stunde langsamer als geplant, aber dafür, wie ich heute weiß, mit Krebs im Oberkörper.

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Mein bester Freund hieß ab sofort “BEACOPP”. Das ist ein Cocktail aus verschiedenen Chemikalien, die in einer Chemotherapie eingesetzt werden. Gifte, die den Feind in deinem Körper töten sollen, aber gleichzeitig in der Lage sind, dich zu erledigen. Ich bekam aufgrund meiner physischen Ausgangslage nicht den normalen Cocktail, sondern den besonders aggressiven und nur sehr selten verabreichten: BEACOPP eskaliert. All die Jahre auf der Strecke, im Wasser, in der Sommerglut und im Eisregen waren nun wertvoller als Medaillen und Urkunden. Sie waren nun meine Chance zu einer effektiven Therapie.

Diese Chemo sollte mich an meine eigenen Grenzen führen. Mir war den ganzen Tag schlecht. Meine Haare fielen aus. Ich nahm an einem Tag bis zu zehn Kilo zu. Von morgens bis abends saß ich in meinem Patientensessel und sah, wie bis zu acht Liter Flüssigkeiten über meinen Port in meine Adern tropften. Ich fühlte mich unendlich schwer. Meinen Ehering musste ich abnehmen, weil meine Finger durch das Cortison und die ganze Flüssigkeit so stark aufgeschwommen waren.

Drei Wochen dauert so ein Chemozyklus. Sechs davon sollte ich bekommen. Stationäre Infusionen, Kontrolluntersuchungen, Erholung zuhause. Immer wieder von vorn. Am schlimmsten war die Neulasta-Spritze am zehnten Tag des Zyklus’. Das Medikament regt das Knochenmark an, Blut zu bilden. Dies geschieht vor allem in den großen Knochen in den Oberschenkeln, im Becken und im unteren Rücken.

Ein Leben zwischen Chemo und Alltag. Bewegung blieb für Markus ein wichtiger Teil seiner mentalen Therapie. © privat

3. Mit der Eisenstange auf blanke Knochen

Sich selber eine Spritze zu geben, kostet Überwindung, aber das, was die Spritze in mir auslöste, war die Hölle. Besonders in den Beinen tat es so weh, als ob jemand mit einer Eisenstange auf die blanken Knochen hauen würde. Immer wieder. Über Stunden. Ich, der Vollblutsportler, war unfähig, mich im Bett zu drehen.

Der Sport hat mir auch in diesen Lagen geholfen. Triathlon ist nichts anderes als Qual. Fünf Stunden Fahrradtraining? Manchmal total furchtbar. Man hat keine Lust. Will nach Hause. Aber der Wille ist so gestärkt, dass man es trotzdem durchzieht. In der Chemo lernte ich, wie wichtig mentale Stärke ist. Dass man das Leiden als Sportler trainieren kann. Auch die Einsamkeit, als ich mit einer Infektion über eine Woche in Quarantäne lag, kam mir bekannt vor. Bei einem Triathlon gibt es häufig nur dich und die Strecke. Und das über Stunden.

Am wichtigsten waren in dieser Phase neben der eigenen Familie und den Freunden, die Ärzte und Schwestern. Was sie besonders gut machten? Sie waren immer da. Morgens um acht gaben sie dir den Cocktail und abends um zehn kamen die gleichen Ärzte in dein Zimmer und fragten, wie es dir geht. Die Mediziner in Duisburg-Wedau schleusten keine Nummern durchs System. Sie kämpften für Menschen. Wir waren ein Team. Dieser Spirit hat die dunklen Gedanken, die manchmal kamen, wieder dorthin vertrieben, wo sie herkamen.

4. Ein Raum voller Mut

Eine der wenigen angenehmen Nebenwirkungen des Krebskriegens ist das Kennenlernen von inspirierenden Frauen und Männern. Unsere Chemococktails haben wir in Gruppen bekommen. Da saßen wir, Sessel an Sessel, fast immer dieselben Menschen. Am mutigsten waren diejenigen, die der Krebs am härtesten getroffen hatte. Manchmal begannen wir intensive Gespräche, hörten einander zu. Aus Fremden wurden Weggefährten, während die Stillen laut schwiegen. Aufgeben oder auch nur an das Aufgeben denken – das gab es nicht. Das hat mir sehr imponiert. Für den Kampf gegen den Krebs braucht es eben Mut, genau wie für den Start bei einer Langdistanz. Mit einem Unterschied: die eine Qual sucht man sich aus, bei der anderen hat man keine Wahl.

Diese Gruppensitzungen besaßen stets einen bittersüßen Beigeschmack. Besonders als eines Morgens ein achtjähriger Junge mit spanischen Wurzeln in unserer Runde saß, wurde es beklemmend in der Magengegend. Die Schwere wich bald einer überraschenden Leichtigkeit. Ein älterer Mann aus unserer Runde, der ebenfalls aus Spanien stammte, nahm sich des Jungen an. Es entwickelte sich eine Opa-Enkel-Beziehung. Dem Jungen ging es immer besser, er bekam von Woche zu Woche mehr Farbe im Gesicht. Der ältere Mann, der sich kümmerte, rappelte sich, obwohl mittlerweile todkrank, noch mal auf. Der Junge verließ uns irgendwann, und das aus guten Gründen. In seinem Leih-Opa zerbrach wohl nach dem Abschied etwas. Irgendwann saß auf seinem Sessel ein neuer Patient.

5. BEACOPP eskaliert

Nach dem dritten Zyklus endete meine Freundschaft zu “BEACOPP eskaliert” so plötzlich, wie sie begonnen hatte. Meine Blutwerte wurden rasch schlechter. „Wir müssen das drosseln”, sagte meine Ärztin. „Sonst bringt das Gegenmittel sie um, nicht der Krebs”. Ich empfand das als Niederlage. Ich wollte nicht aufgeben. „Ich schaffe das schon”, protestierte ich. Aber die Ärzte hatten ihren Plan, und ich vertraute ihnen.

Mit der anderen Dosis erholte sich mein geschundener Körper. Ich traute mich morgens länger spazieren zu gehen. Meter für Meter. Freunde begleiteten mich auf meinen Spaziergängen oder einer lockeren Jogging-Runde. Sehr langsam, aber gut für die Seele. Ich empfand die Zeit in dieser Phase sehr bewusst. Ich schätzte Bewegung und frische Luft mehr als je zuvor. Ich hing mehr in den Momenten.

Vielleicht hat mich die zweite Niederlage deshalb nicht extrem umgehauen. Am Ende der Chemotherapie war das Lymphom zusammengeschmolzen. Aber der Krebs war noch da. Es wucherten noch aktive Krebszellen in meinem Körper. Der Feind war geschwächt, nicht besiegt. Er war aber klein genug, um ihn jetzt zu bestrahlen. Für mich war das die zweite Etappe: einen Monat lang jeden Tag zur Bestrahlung. Ein Schritt zurück, und dafür wieder zwei nach vorn. Den Ärzten vertrauen und mutig bleiben – rückblickend war das für mich wichtiger als mein guter Fitnesszustand.

In den Krankenhäusern lernte ich viele Frauen und Männer kennen, die lange nicht so viel Sport getrieben hatten wie ich, die aber im Kopf unglaublich stark waren. Sie bewahrten sich Humor und stemmten sich gegen jede Form von Opferrolle. Vielleicht wird der Kampf gegen den Krebs manchmal auch im Kopf gewonnen.

Dankbarer für das, was ist: Reisen sind Markus noch wichtiger geworden. Auf diesem Bild weilt er an einem Wasserfall auf der Insel La Reunion. © privat

6. Mauritius

Die Bestrahlung endete erfolgreich. Der Krebs ist heute, bald vier Jahre nach der Diagnose, aus meinem Körper vertrieben. Auch wenn ich erst als geheilt gelte, wenn ich fünf Jahre ohne einen Rückfall lebe, haben wir diesen Sieg ordentlich gefeiert. Mit Familie und Freunden, mit neuen Plänen.

Obwohl es gerade keine Brandherde in meinem Körper gibt, ist der Krebs ein Teil von mir geblieben. Durch Chemo und Bestrahlung ist mein Risiko für neue Erkrankungen stark erhöht. Ich gelte als schwerbehindert, weil das Gift, das mich heilte, Wunden aufriss, die sich nicht schließen lassen. Meine Sehnen und Muskeln wurden stark angegriffen. Mein Nervenwasser, von dessen Existenz ich damals nicht einmal wusste, und mein Immunsystem haben sehr unter der Chemo gelitten und erholen sich nur langsam. Das sind die normalen Nebenwirkungen der Behandlungen, und ich bin dankbar, dass ich sie spüren darf.

Mehr als dreimal die Woche ist lockeres Training nicht möglich. Statt langer Triathlons absolviere ich jetzt Stadtläufe. Fünf Kilometer in unter 25 Minuten, wenn ich gut bin. Danach bin ich fast zwei Wochen erledigt und kann mich kaum rühren.

Ein paar Monate nach der Reha nahm ich trotzdem an einem kleinen Volkstriathlon teil. Das frühe Aufstehen, das Aufbrechen zum Start an der Bevertalsperre, der leichte Nebel über dem See, der still vor einem liegt, da kamen viele Emotionen hoch. Ich bin als einer der Letzten ins Wasser gegangen, weil ich niemanden aufhalten wollte. Jeder Zug strengte meinen Körper an, aber ich habe jede Minute genossen. Ich war in diesem Moment nicht traurig, dass ich nicht mehr so athletisch wie vor dem Krebs war. Es war eher Stolz, der mich durchfloss. Ich schätzte meine alten Leistungen und sah das Erreichte viel klarer. Was ich meinen Körper früher abverlangt hatte, war vor dem Krebs beinahe selbstverständlich geworden. Die Krankheit hat meinen Blick geschärft. Ich bin heute glücklicher über das, was da ist. Und dankbarer. Ich danke meiner Familie, meinen Freunden, meinen Ärzten und den unzähligen Weggefährten, die mich in diesem Wettkampf bis ins Ziel getragen haben.

Und natürlich bin ich mit meiner Frau nach Mauritius geflogen. Das hatte ich uns damals versprochen.

Gewidmet all jenen, die gegen diese Krankheit kämpfen, und den Angehörigen, die immer für die Menschen da sind.

protokolliert von Hannes Hilbrecht

Garmin & movival®

movival® ist eine als Medizinprodukt zertifizierte App. Mit modernen Ansätzen der Bewegungstherapie konnten sowohl in der Krebsvorsorge als auch in der Akuttherapie und Nachsorge wissenschaftlich nachweisbare Erfolge erzielt werden. Durch Algorithmen werden die Nutzer beim täglichen Erreichen des bestmöglichen Bewegungsziels unterstützt. Garmin-Nutzer können ihre Connect-Daten in in die movival®-App problemlos integrieren. Die App des Garmin-Health-Partners ist die ersten zwei Wochen kostenfrei. Danach kostet die App im Jahresabo 12,99 monatlich. Sie ist für Android, iOS und als Web-App verfügbar. Das Widget für Garmin-Uhren können Interessierte im Connect-Store finden.

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Meinungen
James
04.02.2020 | 07:54 Uhr

Hallo Martin, habe ein ähnliches Schicksal erlitten (Hautkrebs & Lungenkrebs) und ich weiß was Du durchgemacht hast, bzw. dass man nie mehr so sein wird wie vorher. Aber sportliche Aktivitäten und Bewegung überhaupt, helfen am Besten wieder zurück ins Leben und in die Gesellschaft. Viel Erfolg weiterhin!!!
Servus, James

(Visit – Facebook: James Matakou / Instagram: jamesmatakou)

Roland
01.02.2020 | 10:00 Uhr

Hi Markus, mein größten RESPEKT. Für mich bist du ein Sieger. Man kann nur erahnen, was du alles durchgemacht hast. Ich denke du lebst dein Leben dadurch so Intensiv wie es andere nie tun werden oder können. Da kommt noch das Beste in deinem Leben auf dich zu! Lg. Roland

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2 Kommentare

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James
04.02.2020 | 07:54 Uhr

Hallo Martin, habe ein ähnliches Schicksal erlitten (Hautkrebs & Lungenkrebs) und ich weiß was Du durchgemacht hast, bzw. dass man nie mehr so sein wird wie vorher. Aber sportliche Aktivitäten und Bewegung überhaupt, helfen am Besten wieder zurück ins Leben und in die Gesellschaft. Viel Erfolg weiterhin!!!
Servus, James

(Visit – Facebook: James Matakou / Instagram: jamesmatakou)

Roland
01.02.2020 | 10:00 Uhr

Hi Markus, mein größten RESPEKT. Für mich bist du ein Sieger. Man kann nur erahnen, was du alles durchgemacht hast. Ich denke du lebst dein Leben dadurch so Intensiv wie es andere nie tun werden oder können. Da kommt noch das Beste in deinem Leben auf dich zu! Lg. Roland