Ein dutzend Ritter in der S-Bahn. Sie tragen Schwerter und mit Löwen verzierte Schilder. Einige Kettenhemden baumeln über Lederröcken. Ein verrücktes Bild? So verrückt ist es gar nicht.
In Europa gibt es Millionen Fantasy-Fans. Sie lieben Zombiefilme, vergöttern „Herr der Ringe” und „Star Wars”. Spätestens seit „Game of Thrones” hat sich jeder Anhänger des Genres in so eine Welt gedacht. Und es gibt Menschen, denen reicht dieses Hineindenken nicht mehr. Sie wollen für ein paar Tage solche Welten erschaffen und mit Gleichgesinnten teilen. Als „Larp” bezeichnet man das Live Action Role Playing. Diese Live-Rollenspiele ziehen Tausende Besucher an. Die Larper kommen aus allen Berufs- und Gesellschaftsbereichen, sind mehr oder weniger erfolgreich im Job, befinden sich in einer Ausbildung oder mitten im Studium.
Die Teilnehmer entwickeln eigene Charaktere, kostümieren sich oder lassen Rüstungen schmieden. Manche kosten mehr als 10.000 Euro und sind mehr als 40 Kilo schwer. Alle Larper verbindet ihre Leidenschaft. Viele von ihnen leben den Spirit #BeatYesterday.
Wir haben mit drei Protagonisten über ihre Leidenschaft gesprochen. Sie erklären, was Larping über das Spiel hinaus bedeutet und wie körperlich fordernd so ein Leben als Troll, Ork oder Keltin sein kann. Und wir haben gefragt, wie viele Kalorien eigentlich so ein umtriebiger Ork verbrennt.
Die wichtigsten Larp-Begriffe
Larp: Kurzform von Live Action Role Playing oder Live-Rollenspiel.
Con: Kurzform von Convention. Großes Zusammentreffen von Fans eines bestimmten Genres, Films oder einer Serie.
Larping: Die aktive Teilnahme an einem Larp.
Gewandung: Das Kostüm der Larper samt Accessoires.
Punzierung: Eine Prägung im Metall oder Leder.
In-Time-Gegenstand: Gegenstände, die in die Zeit des Larp Events passen.
Out-Time-Gegenstand: Zum Beispiel eine Dose Cola im Mittelalter.
#BeatYesterday: Wen spielt ihr am liebsten?
Moritz: Mittlerweile den Fotografen. Ich begleite deutschlandweit Larp-Events mit meinen Kameras. So konnte ich mein Hobby zum Beruf machen. Davor habe ich über viele Jahre drei unterschiedliche Charaktere gespielt. Zunächst einen Troll, dann einen Dieb und später einen Koch. Mein Lieblingscharakter war Mok-tarr, ein furchterregend aussehender Troll-Schamane. Ich habe mir für ihn eine 15-seitige Geschichte ausgedacht. Also beschrieben, woher er kommt und wie sich sein Charakter definiert. Auch eine Zeichensprache habe ich für ihn entwickelt, sie ähnelte der Höhlenmalerei. So konnte ich seine Rüstung mit eigenen Runen beschlagen. Als Vertriebsmitarbeiter im Außendienst hatte ich im Auto früher viel Zeit zum Nachdenken. Ich wollte meinen Charakteren eine greifbare Tiefe verpassen und nutzte dazu fast jede freie Zeit.
Sonja: Bei mir ist es Skaun, eine kriegerische, wilde, stolze Keltin und Teil des Klans der Bracar Keltoi. Ich spiele sie seit acht Jahren. Man könnte sagen, sie ist eine extreme Version von mir selbst. Sie geht keinem Kampf aus dem Weg, schlachtet ihre Feinde zu Ehren des Hirschgottes und übergießt sich mit ihrem Blut. Natürlich ist das im Larp nicht echt, sondern täuschend realistisches Kunstblut. Das wird auch in Kinofilmen verwendet. Genau darum geht es bei unseren Events: Es soll möglichst authentisch aussehen, damit wir wirklich in diese Welt eintauchen können.
Meine Gewandung hat sich im Laufe der Jahre sehr verändert. Das ist wie bei einem Videospiel. Da starten alle ja auch mit einem Basispaket bei Level 1. Und dann steckt man eben viel Liebe, Zeit und Geld hinein, um „aufzuleveln”. Für uns sind es die Details, die ein Kostüm besonders machen. Eine zusätzliche Kette aus Knochen und Tierzähnen oder eine Prägung auf der Lederrüstung. Mittlerweile besteht meine Ausrüstung aus vielen verschiedenen Schichten. Je nach Anlass kann ich sie anpassen. Das mache ich mit Schwertern, Dolchen, Schilden und anderen Accessoires.
An so einem Larp-Wochenende verbrennen wir ordentlich Kalorien und verlieren bestimmt zwei, drei Kilo Gewicht.
Sonja
#BeatYesterday: Wie fordert ein Larp den Körper?
Moritz: Besonders im Sommer kann es sehr anstrengend sein. 35 Grad, pralle Sonne, freies Feld, dazu eine schwere Rüstung. Mein Trollkostüm wog schätzungsweise 15 Kilo und über dem Gesicht trug ich eine Silikonmaske. Da staut sich die Hitze. Ich kenne auch Larper, die haben sich Rüstungen professionell schmieden lassen, aus echtem Eisen. Die sind noch sehr viel schwerer.
Dazu kommt das große Schrittpensum. Bei einem Larp-Wochenende habe ich einmal mehr als 40 Kilometer als Fotograf zurückgelegt und bestimmt 50.000 Schritte gezählt. Auch der Aufbau auf dem Gelände, das Aufstellen der Zelte und Herumtragen des Proviants ist manchmal anstrengend. Da ich Rückenprobleme hatte und das Trollkostüm zu schwer wurde, wechselte ich den Charakter. Als Koch oder Dieb war ich nun viel geschmeidiger mit Leder gekleidet. So konnte ich auch mit den Beschwerden beim Larp mitmischen und mich agil bewegen.
Sonja: So wie mein Klan das Larpen definiert, sehr extrem. Bei so einem Larp laufen wir den ganzen Tag durch die Gegend, lösen Rätsel, veranstalten große Rituale, suchen den Kampf oder tanzen bis spät in die Nacht am Lagerfeuer. Manchmal stehen wir dann, wenn uns eine im Spiel verfeindete Gruppe früh am Morgen angreift, auch schon direkt nach dem Aufstehen auf dem Schlachtfeld – trotz Hangover und noch im Schlafanzug.
Es gibt Larp Events, bei denen wir die körperlichen Grenzen bis ans Limit austesten. Vor ein paar Monaten habe ich bei einem Post-Apokalypse-Larp in einer alten Bunkeranlage mit Airsoft-Waffen gegen die Invasion von Aliens gekämpft. Ich habe eine Schutzbrille, eine dicke Mütze und eine etwa vier Kilo schwere Waffe im Arm getragen. Wir sind nachts stundenlang durch das Dickicht und die verfallenen Gebäude gekrochen, gerannt und geklettert. Mein Körper heizte sich so auf, dass meine Schutzbrille komplett beschlug und ich kaum noch die Hand vor meinen eigenen Augen erkannte.
An so einem Larp-Wochenende verliert man bestimmt zwei, drei Kilo Gewicht. Und man kehrt oft ohne Stimme zurück ins Büro. Wir brüllen ja, um über weite Entfernungen auf dem Schlachtfeld gehört zu werden oder singen nachts Lieder in der Taverne bis in die Morgenstunden.

#BeatYesterday: Was ist am anstrengendsten?
Moritz: Die Schlacht-Sequenzen sind sehr fordernd. Auch wenn wir mit Kunststoffwaffen kämpfen, muss es echt aussehen. Es soll nicht nur einem selbst, sondern auch den anderen Mitspielern Spaß machen. Theatralik, also die Kinoreife, ist sehr wichtig. Ein riesiger Hammer mit einem ein Meter langen Griff muss authentisch rüberkommen und mit zwei Händen geschwungen werden.
Dazu geht es viel hin und her. Manchmal, wenn ich nicht „sterben” will und der Gegner viel stärker erscheint, umlaufe ich auch kilometerweit einen Kampf. Die gespielten Schlachten, bei denen wir uns viel bewegen, sind deshalb körperlich und mental anstrengend. Und wenn ich von einer Streitaxt an der Schulter getroffen werde, muss ich eben auch den Kampf mit den Schmerzen möglichst echt spielen. Nur so können wir für alle das schönste Erlebnis erzeugen.
Sonja: Das ist von Larp zu Larp, von Genre zu Genre und von Charakter zu Charakter unterschiedlich. Für mich persönlich sind das Kämpfen und die langen Wegstrecken am anstrengendsten. Um herauszufinden, wo der Feind gerade ist, haben wir ja keine technischen Hilfsmittel. Unsere Späher müssen im Vollsprint von einer Seite des Geländes zur anderen rennen. Nur so können wir über längere Distanzen kommunizieren und das Areal aufklären.
Eine Situation habe ich da noch besonders in Erinnerung. Das war ein Duell mit einer unglaublich starken Gegnerin, die dank ihrer besonderen Fähigkeiten im Spiel praktisch unbesiegbar war. So wie ein „Endboss” in einem Video Game. An dem Tag hatte ich allerdings eine besondere Waffe erhalten, mit der sie verletzbar wurde. Theoretisch.
Es dauerte nicht lange, bis ich sie im Kampfgetümmel ausfindig machen konnte. Ich selbst bin mit meinen 1,80 m ja schon recht groß, aber diese Frau überragte mich noch um einen guten Kopf. Und sie war unglaublich beeindruckend in ihrer schweren Rüstung und dem riesigen Turmschild.
Sie forderte mich zum Duell. Um uns herum bildete sich ein Kreis aus schreienden und johlenden Menschen, die mich anfeuerten. Es war wie in einem Boxring und ich war eindeutig die Außenseiterin, die versuchte, gegen den Champion anzutreten. Wir kämpften bestimmt zehn Minuten lang und bei jedem Hieb, der mich traf, warf ich mich einige Meter nach hinten auf den Boden. Sie schleuderte mich mehrmals durch die Gegend und ich verlor immer mehr Kraft. Es war unglaublich anstrengend, das Atmen fiel mir schwer. Am Ende meiner Kräfte gelang es mir schließlich, sie mit ins Verderben zu reißen und wir sanken beide tödlich verletzt zu Boden. Nach diesem Larp habe ich übrigens erfahren, dass ich zu dieser Zeit eine Lungenentzündung ausbrütete. Kein Wunder, dass der Kampf so fordernd war.
Niemand interessiert sich für deinen Beruf, für deinen sozialen Status oder deine politische Einstellung. All diese Faktoren, nach denen wir sonst Menschen in Schubladen einordnen, sind im Larp irrelevant.
Sonja
#BeatYesterday: Wie bereitet ihr euch körperlich auf ein Larp vor?
Moritz: Das ist, glaube ich, ein 50-50-Ding. Einige machen es, andere nicht. Zuhause saß ich vor dem Computer oder stand in der Werkstatt. An den Wochenenden wanderte ich Kilometer durch die Gegend. Ich habe also nie für ein Larp trainiert.
Sonja: In unserer Gruppe bereiten sich viele tatsächlich sehr intensiv vor. Manche halten sich das ganze Jahr über für die Larps fit, machen Kampfsport und Konditionstraining. Andere fangen im Frühling mit den ersten Sit-up-Challenges an und fordern sich gegenseitig mit Teilnahmen an Hindernisparcours heraus.
#BeatYesterday: Was bedeutet Larpen für dich?
Moritz: Gemeinschaft, Toleranz und sehr viel Zeit unter freiem Himmel. An den drei bis fünf Tagen eines Events läuft niemand mit dem Smartphone über das Gelände oder sitzt an einem Computer. Wir teilen dort ein besonderes Hobby und für eine kurze Zeit verschmelzen wir, egal wie unterschiedlich wir sind, zu einer sehr harmonischen Gruppe. Jeder interessiert sich für jeden. Wir schätzen die Kostüme und die Arbeit der anderen und es gibt sehr viel ehrliche Begeisterung für die Charaktere. Droht ein Sturm, die Zelte wegzureißen, packen alle an. Larpen ist wie eine große Familie, in der jeder so sein kann, wie er will.
Sonja: Abenteuer und Gemeinschaft. Ich liebe es, neue Erfahrungen zu machen. Ich will meine Zeit auf dieser Welt so verbringen, dass ich mich in zehn, zwanzig Jahren immer noch an die besonderen Erlebnisse erinnere. Und sowas schafft man eben besonders, wenn man immer wieder die eigene Komfortzone verlässt und das Abenteuer sucht.
Wirklich außergewöhnlich in unserem Hobby ist die Gemeinschaft. Sie ist super divers, aufgeschlossen und international aktiv. Von Chile bis Singapur, von den USA bis hin nach Australien gibt es Larper. Das Zusammengehörigkeitsgefühl würde ich da fast mit einer Motorradgang vergleichen. Niemand interessiert sich zunächst für deinen Beruf, für deinen sozialen Status oder deine politische Einstellung. All diese Faktoren, nach denen wir sonst Menschen in Schubladen einordnen, sind im LARP irrelevant.
#BeatYesterday: Wie viele Kalorien verbrennt nun ein Ork?
Moritz: Das weiß ich nicht. Ich kenne aber einen Ork, der ist mit dem Kostüm etwa 2,40 Meter groß und trägt eine Rüstung aus geschmiedetem Eisen. Die wiegt sicher bis zu 30 Kilo. Wer sich damit bewegen kann, muss richtig, richtig fit sein.
Sonja: Orks sind oft die verrücktesten und härtesten Larper. Die sind hardcore – und das positiv. Eine Ork-Rüstung ist extrem schwer und die Jungs und Mädels geben darin echt Vollgas. Die springen in jeden Kampf und machen richtig intensives Rollenspiel.
Und wenn ich so bedenke, wie viele Kilometer man so durchschnittlich am Tag auf einem LARP läuft, verbrennt ein Ork sicher mehrere Tausend Kalorien pro Tag. Das wäre doch eigentlich mal ein schicker Sommertrend: Die Ork-Diät.
Also Annika, hilf uns: Wie viel Kalorien verbrennt nun ein Ork?
Annika, eine Krankenschwester, hat es uns verraten. Mit ihrem Mann Ben spielt sie seit zwei Jahren in einer Ork-Gruppe.
Annika: Sehr viele Kalorien. Ich habe auf einem Event mal meine Distanz getrackt: Das waren von Freitag bis Sonntag fast 60 Kilometer Strecke. Und ich bin eine der Orks aus den hinteren Reihen. Ich kämpfe nicht. Ich bin Diplomatin und foltere lieber. Wobei ich als Krankenschwester total darauf achte, niemandem weh zu tun. Das sieht alles schrecklich aus, was es auch soll, ist aber total harmlos. Es gibt bei jedem Event genügend Mitspieler, die sich freiwillig vor uns hinwerfen. Die Ork-Folter ist für sie ein Highlight.
Die kämpfenden Orks, wir nennen sie wegen der Rüstung die Plattenschweine oder die Dosen, schaffen mit bis zu 40 Kilo Extragewicht übrigens die doppelte Wegstrecke auf einer Con. Und das mit einer Silikonmaske über dem Gesicht. Man muss sich das wie mit einem Gummistiefel über den Kopf vorstellen. Kein Stück Haut lugt heraus, alles ist unter Metall und Leder verkleidet. Und das im Sommer. Orks sind im wahren Leben Juristen, Metallbauer und Sozialpädagogen. Und am Wochenende Extremsportler. Ich denke, 8.000 Kalorien am Tag sind nicht unrealistisch.
Beliebte Larping Events
ConQuest. Das Event findet auf dem Rittergut Brokeloh (Niedersachsen) statt. Über 8.000 Rollenspieler verausgaben sich auf 600.000 Quadratmeter Spielgelände. Es ist das größte Larp der Welt.
Drachenfest. In Diemelstadt (Hessen) tauchen über 5.000 Larper in ein mittelalterliches Setting ein. Besonders beliebt: Die Fantasiestadt Aldradach. Tavernen bieten kulinarische Abenteuer und Händler aus ganz Europa verkaufen seltene Waren.
Epic Empires. In Saarbrücken geht es wild zu. Unzählige Larper füllen für einige Tage die fiktive Stadt Neu-Östringen mit viel Trubel und Leben. Besonders beliebt: die individuellen Themenlager. Hier kannst du die Nächte unter Elben oder in der Antike verbringen. Wichtig: Dieses Event richtet sich explizit an Volljährige.
Inspiration für Kostüme und Larp-Bedarf
- Larp-Fotograf Moritz Jendral
- Larp-Basar auf Facebook
- Facebook-Gruppe für Larp-Gewandungen und Tipps