Running

Gegner Schmerz: Laufen im Backofen

Dörte Schreinert ist durch Namibia gelaufen. Bei brütender Hitze. Trotz der vorzeitigen Aufgabe war es einer ihrer größten Erfolge. Ihre Reise – und was sie uns lehrt – in sechs Kapiteln.

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1. Der Backofen

78 Kilometer Sand. 48 Grad im Schatten. Dazu der Wind, der mit 50 Kilometer pro Stunde durch die Wüste faucht. Wie sich das anfühlt? Dreht den Backofen auf, schaltet auf Umluft, öffnet die Klappe und geht ganz nah ran. Meine Haut, dick eingecremt mit Sonnenmilch, brannte in der Wüstenglut. Jeder Atemzug tat weh.

An diesem Tag trank ich so viel Wasser wie noch nie zuvor in meinem Leben. Über zehn Liter. Doch ich musste über viele Stunden nicht ein einziges Mal pinkeln. Ich schwitzte alles aus, aber meine Kleidung war am Ende des Tages staubtrocken. Der Schweiß verdunstete in der Hitze. Übrig blieben die Schlieren des Salzes auf meiner Kleidung.

Laufen am Limit. Nicht nur die Hitze fordert, sondern auch die wechselnden Bodenverhältnisse. © Onni Cao
Laufen am Limit. Nicht nur die Hitze fordert, sondern auch die wechselnden Bodenverhältnisse. © Onni Cao

2. Nicht schnell, aber ausdauernd

Ich bin 53 Jahre alt und laufe am liebsten lange Strecken. Ich renne nicht besonders schnell, aber ausdauernd. Der Grund, warum ich überhaupt angefangen habe so viel und so weit zu laufen, hat mit einem Radiologen zu tun. Ich hatte Kniebeschwerden und der Doktor machte ein Röntgenbild. Dann sagte er mir: „Das sieht nicht gut aus. Wären sie ein Rennpferd, würde man sie erschießen.”

Das machte mich unfassbar wütend. Wie kann ein Arzt so etwas zu seiner Patientin sagen? Ich bin zu anderen Ärzten und die stellten fest: Der Meniskus, der angeblich dahin war, brauchte eigentlich gar keine Operation. Alles halb so schlimm. Seit der damaligen Behandlung bei einer Heilpraktiker-Kollegin hatte ich nie wieder langwierige Kniebeschwerden.

Diese unsägliche Episode motivierte mich zum Laufen. Jetzt erst recht, sagte ich mir. Ich lief erst Halbmarathons, später meinen ersten Marathon. Im Ziel war ich davon überrascht, dass ich mich nicht ausgelaugt fühlte. Meine Familie und meine Freunde sagten, dass ich überhaupt nicht fertig aussehe. Und ja: Ich hätte noch ewig weiterlaufen können.

Laufoase Strand. Die kühle Luft vom Ozean sorgt für Erfrischung. © Onni Cao
Laufoase Strand. Die kühle Luft vom Ozean sorgt für Erfrischung. © Onni Cao

3. Abenteuer, die festhalten

Doch wie kommt man aus dem deutschen Großstadtdschungel nach Namibia? Das liegt zum einen am Land an sich, schon mit 17 Jahren wollte ich unbedingt nach Namibia reisen. Zum anderen gab es vor ein paar Jahren den entscheidenden Anstoß. Ich hatte meinen Lebensmittelpunkt mittlerweile von Berlin nach Mülheim an der Ruhr verlegt. Der Liebe halber. Es ist schön hier, nur das kulturelle Programm reicht natürlich nicht an Berlin heran. Man nimmt hier, was man bekommt. An einem Abend im Jahr 2016 besuchte ich einen Vortrag des Wüstenläufers Rafael Fuchsgruber. Ich war sofort fasziniert. Seine Geschichten, die Bilder – seine Abenteuer hielten mich fest.

Als Rafael dann eine Reise für Rookies organisierte, für Neulinge des Wüstenlaufes, wollte ich mich sofort anmelden. Doch ich sträubte mich. Bin ich fit genug? Kann ich mit einem großen Rucksack, etwa 12 Kilo schwer, überhaupt Marathonstrecken laufen? Wie vertrage ich die Hitze? Ich mailte viel mit Rafael, befragte auch eine erfahrene Ultra-Läuferin aus Berlin. Sie sagte mir, dass die größte Herausforderung nicht das Körperliche sei, sondern die Mentalität. Bei einem Desert Run läuft jeder Teilnehmer allein durch die Wüste. Sie hören nichts, sehen keine anderen Menschen und haben nur den Sand und den Himmel vor Augen. Das halten manche Sportler nicht aus.

Ich entschied mich für die Anmeldung. Der Zuspruch hatte mich motiviert. Die untersuchende Ärztin sagte, meine Blutwerte seien so gut, dass ich 200 werden könnte. Als ich meinem Mann verriet, dass ich das Rennen machen werde, schenkte er mir eine gerahmte Namibia-Karte. Er sagte, dass er die ganze Zeit gewusst habe, dass ich diese Herausforderung annehmen werde.

Mit dem Sonnenuntergang wird die Wüste zum Gefrierfach. Die Temperaturen sinken in den einstelligen Bereich. © Onni Cao
Mit dem Sonnenuntergang wird die Wüste zum Gefrierfach. Die Temperaturen sinken in den einstelligen Bereich. © Onni Cao

4. Akupressur in den Dünen

Wer einen sogenannten Desert Run unternehmen möchte, muss einige Dinge vorbereiten. Dazu gehört ein ärztliches Attest, genügend Sonnencreme, mindestens Lichtschutzfaktor 50, und das Einkaufen des Proviants. Ganz wichtig auf der Packliste: Salztabletten, damit wir Läufer einer Überwässerung des Körpers vorbeugen. Eine sogenannte Hyperhydrierung kann tödlich sein.

Unsere hochkalorische Trockennahrung transportierten wir während des Rennens in unseren Rucksäcken – von Camp zu Camp. Ich hatte viel Essen dabei, weil ich fürchtete zu verhungern. Ich packte auch warme Kleidung ein. In den Zelten war es abends eisig, der Ofen wurde zum Gefrierfach. Die Wüste fordert den Körper 24 Stunden am Tag.

Die ersten Etappen, fast alle in Marathonlänge, überstand ich schadlos. Wir liefen überwiegend in Küstennähe. Der Benguelastrom, der sich aus dem kalten Wasser der Antarktis speist und Namibias Küste streift, sorgte für erfrischende Brisen vom Meer. Ich kam gut voran, lief von Checkpoint zu Checkpoint. Doch dann erwartete uns die Königsetappe, fernab der Küste. 78 Kilometer Mondlandschaft. 48 Grad.

Ohne Sonnenbrille sowie Kopf- und Nackenbedeckung wäre der Wüstenlauf kaum auszuhalten. © Onni Cao
Ohne Sonnenbrille sowie Kopf- und Nackenbedeckung wäre der Wüstenlauf kaum auszuhalten. © Onni Cao

Alle zehn Kilometer bekamen wir 2,5 Liter Wasser in Kanistern. Das war die Mindestmenge an jedem medizinischen Checkpoint. Doch nach 40 Minuten hatte ich die erste Ration bereits ausgetrunken. Später wurde mir so übel, dass ich nicht mehr konnte. Kein Schluck Wasser ging mehr runter. Es war meine Galle, die streikte. Jede Bewegung schmerzte, und ich versuchte, mich zu akupressieren. Als Heilpraktikerin hatte ich Nadeln dabei. Die wiegen ja nichts. Ich setzte mich auf eine Düne und pressierte die wichtigen Punkte, versuchte so, meine Übelkeit zu lindern. Mein Plan ging nicht auf. Es wurde nicht besser. Ich praktizierte kühlende Yoga-Atmung um meinen Kreislauf zu entlasten, aber der Puls raste auch in Ruhe.

Da ich Patienten kenne, die schwer erkrankten, weil sie ihre Grenzen nicht kannten, und zu früh nach einer Krankheit voll trainierten, gab ich auf. Diese Grenze der Vernunft wollte ich nicht übertreten. Ich ließ mich von einem Begleitfahrzeug einsammeln und ins Ziel bringen. Mein erster Wüstenlauf endete früher als erwartet.

5. Lehren und Fehler

Im Ziel stieß ich auf viele bekannte Gesichter. 16 Teilnehmer, erfahrene und hartgesottene Frauen und Männer, hatten auch aufgeben müssen. Die Enttäuschung saß tief in ihren Gesichtern. Die Bedingungen hatten gewonnen und uns bezwungen.

Doch die Stimmung verbesserte sich, als Mo ins Ziel kam. Zwei Stunden später als erwartet. Mo ist ein Star der Szene, einer der besten Wüstenläufer der Welt. Er stammt aus Saudi-Arabien und weiß, wie er mit der Hitze umgehen muss. Mo hat eigentlich immer gute Laune. Er ist eine Frohnatur. Doch er kam ins Hauptzelt und schimpfte: „Der größte Mist aller Zeiten, das schlimmste Rennen aller Zeiten.” Auch die weltbesten Sportler waren an ihre Grenzen gegangen. Manche mussten zwischendrin gehen, weil sie nicht mehr laufen konnten. Der Backofen hatte auch ihre unglaublichen Kräfte zusammengeschmolzen. Jeder, der aufgeben musste, wusste spätestens in diesem Moment, dass es keinen Grund zur Scham gab.

Ich war nur kurz enttäuscht und nahm mich noch in der Wüste einer neuen Rolle an. Ich wurde von der Läuferin zum Volunteer, zum freiwilligen Helfer. Ich akupunktierte noch am Abend das halbe verbliebene Läuferfeld, stand am nächsten Morgen um 5 Uhr auf, um in der Wüste einen Pavillon aufzustellen. Der Wind blies es einfach davon.

In der Wüste lernte ich viel über Zusammenhalt. Die Abende im Zelt, die Gespräche. Die Nähe, die zwischen wildfremden Menschen entstehen kann, hat mich überrascht. Wir haben alle, die schnellen und die langsamen Läufer, versucht die Etappen zu meistern. Jeder für sich, aber doch irgendwie gemeinsam.

Eigentlich habe ich mich nur über meine falsche Kleidung geärgert. Ich hatte viel recherchiert und probiert. Einige Produkte, die mir empfohlen wurden, gab es nicht mehr. Ich lief in einer Hose, die eigentlich für Triathlon gemacht ist. Eine luftigere Kleidung aus besserem Material, das vor der Hitze schützt und sie nicht aufstaut, hätte mir sehr geholfen. Die anderen Läufer waren besser ausgerüstet als ich.

Auf der Königsetappe heizte sich die Mondlandschaft richtig auf. 48 Grad Celsius – im Schatten. © Onni Cao
Auf der Königsetappe heizte sich die Mondlandschaft richtig auf. 48 Grad Celsius – im Schatten. © Onni Cao

6. Und die Läufer-Hitze in Deutschland?

Alles im Leben ist temporär. Wir Menschen neigen dazu, alles linear zu sehen. Heute geht es mir schlecht, es wird mir also immer irgendwie schlecht gehen. Nur ein Beispiel.

Vor ein paar Wochen bin ich einen Halbmarathon in Nordrhein-Westfalen gelaufen. Es war sehr heiß, dreißig Grad, hohe Luftfeuchtigkeit und ich litt Qualen. Nach sieben Kilometern konnte ich nicht mehr. Ich dachte an den Besenwagen und wann er mich von der Straße kehren würde. Für die, die es nicht wissen: Der Besenwagen sammelt bei Lauf-Events die erschöpften und „erledigten“ Teilnehmer ein und bringt sie ins Ziel.

Ich kämpfte mich von Versorgungsstand zu Versorgungsstand. Trank viele Becher Wasser, kühlte meine Haut mit den herumliegenden Mitteln. Ich besorgte mir einen Schwamm, der meinen Nacken und meinen Kopf erfrischte. Und ganz langsam ging es mir besser. Nach 14 Kilometern hatte ich mich eingelaufen, es lief ganz normal und ich fühlte mich gut. Als ich im Ziel war, ärgerte ich mich, dass ich mich nicht für den Marathon gemeldet hatte.

Bei Hitze zu laufen, egal ob in der Stadt oder in der Wüste, verlangt immer den Moment zu behandeln. Es zählt nicht das, was in drei oder fünf Minuten passieren kann, sondern nur, wie sich die Hitzebeschwerden für jetzt lindern lassen. Denn nur weil der Körper in einer schlechten Phase ist, schließt es nicht aus, dass er sich in fünf Minuten erholt haben könnte. Das Gleiche gilt leider auch für die guten Momente. Alles ist vergänglich.

Der Backofen Wüste war eine Erfahrung meines Lebens, die ich nicht missen will. Die ich immer wieder aufleben lassen möchte. Erst vergangenes Jahr lief ich in der Mongolei und forderte mich erneut heraus. Einmal gewitterte es so stark, dass der Sand zu Matsch quoll und unsere Schuhe im Schlamm stecken blieben. Vor Gewittern ängstigte ich mich nie, doch in der Gobi durchfuhr mich die Furcht von Kopf bis Fuß. Die Blitze zuckten nur so am Himmel. Weit und breit kein Schutz. Aber alles ist gut ausgegangen.

Ich freue mich schon auf das nächste Abenteuer. Egal wie heiß es wird.

„Alles ist temporär”, sagt Dörte. Damit meint sie auch die Leiden bei der größten Hitze. © Onni Cao
„Alles ist temporär”, sagt Dörte. Damit meint sie auch die Leiden bei der größten Hitze. © Onni Cao

protokolliert von Hannes Hilbrecht

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