Jasmin erreicht mit ihrem Künstlernamen ein Millionenpublikum auf Streaming-Plattformen. Eine bunte, schrille Welt, aber auch eine, die mit Missgunst gespickt ist. Wie sich die Creatorin mental behauptet – und bisher an jeder Krise wachsen konnte? Das verrät Jasmin im Guide-Interview mit #BeatYesterday.org.
von Jasmin (Gnu) und Hannes Hilbrecht
Jasmin kennen die wenigsten unter ihrem richtigen Namen. Im Internet ist die Baden-Württembergerin als Gnu bekannt. Mehr als eine Million Menschen folgen ihr auf YouTube, Twitch und Instagram.
Doch der Weg zu Gnus Erfolg war mit Schwierigkeiten gesäumt. Jasmin musste Abstürze überstehen, sich in einem Geschäft etablieren, in dem es nicht alle gut miteinander meinen. Besonders nicht mit jungen Frauen. Dazu der permanente Druck der Öffentlichkeit. Auch Hass.
Wie Jasmin mit Tiefen umgegangen ist und ihren Selbstwert lieben gelernt hat? Das verrät die Bestseller-Autorin in unserem Guide-Interview. Wichtig: Jasmins Geschichte ist keine, die sich direkt abpausen lässt. Du erfährst jedoch in diesem Gespräch, welche Schlüsselerkenntnisse auf ihrem Weg zu mehr Selbstbewusstsein entscheidend waren.
Über Jasmin (Gnu)
Als erste deutschsprachige Gamerin mit über einer Million Abonnentinnen und Abonnenten auf YouTube hat sich Jasmin als „Gnu“ einen Namen gemacht. In ihrem autobiografischen Buch „Du schaffst das nicht“ schildert sie ihre langen Weg zu Erfolg und mentaler Stärker.
#BeatYesterday.org: Jasmin, wieso Gnu?
Jasmin: Ich war etwa elf Jahre und habe mich unter meinem richtigen Namen bei den ersten Online-Spielen angemeldet. Das war keine schlaue Idee. Mädchen waren damals wenig willkommen in der Community. Wir wurden immer als Erste weggeballert. Also brauchte ich einen anderen, einen geschlechtsneutralen Namen.
#BeatYesterday.org: Gnus sind – bei allem Respekt gegenüber der Antilopen-Art – keine ästhetischen Tiere. Zumindest im Vergleich zu Pinguinen.
Jasmin: Meine Geschwister und ich haben uns damals über ulkige Tiernamen unterhalten. Da kamen wir schnell auf Emu und Gnu. Ich fand die Namen total dämlich, das aber auf eine witzige Art. Also habe ich das Gnu genommen. Weil das „saftig” davor noch bescheuerter klang, entschied ich mich für diese Variante. Später meldete ich mich als „Saftiges Gnu“ auf YouTube an.
#BeatYesterday.org: Gnus haben es im Leben selten leicht.
Jasmin: In Naturdokus sind sie die größten Opfer. Gnus werden meist zuerst gefressen.
#BeatYesterday.org: Was viele kaum ahnen: Gnus sind außergewöhnlich widerstandsfähige Tiere. Sie kommen tagelang ohne Wasser aus. Auch tapern sie in der größten Mittagshitze durch die Savannen. Sie streifen durch die Natur, wenn die Löwen im Schatten dösen. Würdest du dich als resilienten Menschen beschreiben?
Jasmin: Es gibt zwei, drei Punkte, bei denen ich vielleicht noch nicht „widerstandsfähig“ bin. Aber in den meisten anderen fühle ich mich selbstbewusst.
#BeatYesterday.org: In deinem Buch schreibst du darüber, dass das nicht immer der Fall war.
Jasmin: Ich habe mich vor ein paar Jahren gefragt, ob ich so sein will, wie es andere von mir erwarten. Oder ob ich mein Leben leben möchte. Da habe ich mich für letzte Alternative entschlossen. Es ist mir inzwischen egal, was andere von mir halten. Ich will nicht mehr allen gefallen. Wer mich nicht mag, wer ein Problem mit mir hat, kann gehen.
#BeatYesterday.org: Das liest sich leicht. Der Weg zu dieser Erkenntnis dürfte schwierig gewesen sein.
Jasmin: Ich habe schnell festgestellt, dass Offenheit sehr guttut. Denn das Verbergen von vermeintlichen Schwächen ist anstrengend. Es raubt einem Energie. Die Kraft spare ich lieber für andere Projekte.
© iStock / Getty Images Plus / gorodenkoff
#BeatYesterday.org: Oft sind Rückschläge entscheidend für eine positive Selbstreflexion. Welche Situationen haben dich geprägt?
Jasmin: Es gab in meiner Laufbahn als Creatorin auf YouTube zwei besonders einschneidende Momente. Der Erste hatte mit männlichen Persönlichkeiten auf der Plattform zu tun. Sie wollten mir in meiner Anfangsphase beim Aufbau einer Reichweite helfen. Das klingt gut. Doch eigentlich ging es ihnen um ein Abhängigkeitsverhältnis. Sie stellten irgendwann sexuelle Bedingungen. Es waren schmutzige Deals, die mich anwiderten, die ich ablehnte. Sie drohten mir, dass sie mich fertigmachen würden, wenn ich gewisse Nachrichten veröffentlichen würde. Das war ein extremer Druck.
#BeatYesterday.org: Wie hast du diesen ausgehalten?
Jasmin: Die Sicherheit durch Ausbildung und Studiums half. Als die Anmachen kamen, konnte ich sagen: „Okay, dann bekomme ich eben kaum Reichweite und gehe zurück in meinen ehemaligen Job.“
#BeatYesterday.org: Du sprachst von zwei Momenten. Was ist danach passiert?
Jasmin: YouTube ist plötzlich und vehement gegen sexuelle oder sexualisierte Inhalte vorgegangen. Die Maßnahmen haben besonders weibliche Creatorinnen getroffen. Auch jene, die keine solchen Videos veröffentlichten. Als Unbeteiligte litt ich lange unter diesem Vorgehen. Meine Kanäle wurden demonetarisiert, meine Reichweiten brachen ein. Wir konnten kein Geld mehr mit Werbung verdienen. Mich traf das wirtschaftlich, aber vor allem emotional. Eben weil ich fast drei Jahre für meine Abonnentinnen und Abonnenten geschuftet hatte. Genau diese Arbeit schien nun wertlos.
#BeatYesterday.org: Wie hast du diese Phase überstanden?
Jasmin: Ich konnte den Nachweis erbringen, dass meine Inhalte nicht in das Raster des sexualisierten Contents fielen. Es hat aber gedauert, bis sich überhaupt ein richtiger Mensch mit dem Thema auseinandersetzte. Mir half, dass ich in der Zwischenzeit ein Jahr nach Australien gehen konnte. Reisen und arbeiten. Das hat mich geerdet. Außerdem spürte ich auch in dieser Lage die Sicherheit, die ich durch Ausbildung und Studium aufgebaut hatte. Der Job als Creatorin war nur eine Option.
#BeatYesterday.org: Du nennst dich betont Creatorin. Influencerin würde doch auch gut klingen?
Jasmin: Ich lehne den Begriff ab. Vieles, was gewisse Menschen machen, die sich Influencerin oder Influencer nennen, empfinde ich als abstoßend. Sie zocken ihre Community ab, inszenieren unnütze Produkte als extrem hilfreich. Sie leben vermeintliche Ideale und Körperbilder vor, die alles andere als gut sind. Darunter leiden vor allem junge Mädchen.
#BeatYesterday.org: Was unterscheidet eine Creatorin davon?
Jasmin: Ich mache Unterhaltung. Nicht vordergründig Werbung.
#BeatYesterday.org: Unterschätzen die Menschen deine Arbeit?
Jasmin: Es gibt Situationen, in denen das passiert. Letztens haben mich zwei Männer im Biergarten erkannt. Sie sagten mir, dass ich etwas Vernünftiges machen soll. Also einer vermeintlich richtigen Arbeit nachgehen.
#BeatYesterday.org: Erzähl von deiner Tätigkeit. Wie aufwändig ist dein Job?
Jasmin: Ein Rückblick ins Studium verdeutlicht ganz gut, wie anstrengend und aufwendig es ist, bis man bei YouTube oder Twitch Geld verdient. Allein 15.000 bis 20.000 Euro habe ich über die Jahre durch Nebenjobs für mein Equipment aufgebracht. Mein Arbeitstag begann damals um 5 Uhr. Zunächst zwei Stunden Videos schneiden. Danach in die Uni. Nachmittags zum Nebenjob. Abends wieder an den PC. Das hat geschlaucht. 15 bis 17 Stunden Arbeit am Tag waren normal.
#BeatYesterday.org: Das klingt nach einem hohen Burnout-Risiko.
Jasmin: Ich hatte glücklicherweise keinen. Auch weil ich trotz des ganzen Stresses immer Spaß bei meiner Arbeit hatte. Es ist meine Leidenschaft.
#BeatYesterday.org: Heute beschäftigst du Mitarbeitende. Wie hat sich dein Job mit dem Erfolg verändert?
Jasmin: Es ist noch mehr Arbeit da. Zu den fünf, sechs wöchentlichen Videoproduktionen kommen Events, Livestreams, diverse Social-Media-Kanäle. Dazu Produktion und Verkauf von Fanartikeln. Ich habe aber ein gutes Team, auf das ich mich verlassen darf. Das nimmt einiges an Extra-Arbeit wieder ab.
#BeatYesterday.org: Du produzierst Videos. Wie bei jeder Kunst gibt es unterschiedliche Geschmäcker. Wie gehst du mit schlechten Feedbacks um?
Jasmin: Negative Kommentare sind relativ unproblematisch. Hass ist schlimmer. Genauso sexuelle Belästigungen.
© iStock / Getty Images Plus /
© iStock / Getty Images Plus / vlada_maestro
#BeatYesterday.org: Was tut man, wenn man von Hass überschwemmt wird?
Jasmin: Mir hat – wie anderen Creatorinnen und Creatoren – Offenheit geholfen. Ich habe ein Video gemacht und darüber gesprochen, wie verletzend diese Welle der Wut ist. Dadurch, dass ich den Moment mit meiner Community teilte, konnte ich ihn besser handhaben. Die richtig fiesen Nachrichten – Morddrohungen und konkrete sexuelle Belästigungen – habe ich zur Anzeige gebracht. Das ist eine weitere Form der Bewältigung. Manche dieser Menschen waren zum Glück blöd. Denn ihre YouTube-Konten waren mit echten Facebook-Profilen verbunden. Mit Fotos, Klarnamen, dem Arbeitgeber.
#BeatYesterday.org: Bei diesen Konfrontationen entstanden bestimmt interessante Begegnungen.
Jasmin: Eltern entschuldigten sich für ihre Kinder. Die wüssten schließlich nicht, was sie anrichten würden. Männer bettelten, dass ich auf die Anzeige verzichte. Ihre Frauen und Kinder sollten von den anzüglichen Texten nichts erfahren. Wenn die Anonymität weg ist, verhalten sich viele wieder wie normale Menschen.
#BeatYesterday.org: Kommen diese toxischen Kommentare ausschließlich von Männern?
Jasmin: Man unterschätzt, wie fies Frauen sein können. Eine fragte mich, ob ich mal ein Mann gewesen sei. Ich hätte so dicke Unterarme und auch andere Merkmale sprächen dafür. Das war verletzend. Noch dazu ist die Äußerung respektlos gegenüber Transpersonen. Die wollen solche Fragen niemals hören.
#BeatYesterday.org: Grundsätzlich: Wie hast du es geschafft, diese Beleidigungen auszublenden?
Jasmin: Mit Offenheit. Wie eingangs erwähnt: Ich stehe zu mir. Meine eine Augenbraue hängt etwas tiefer, weil ich eine marginale, einseitige Gesichtslähmung habe – die kaschiere ich nicht mehr. Das mit den aufgespritzten Lippen habe ich rasch rückgängig gemacht. Ich sitze manchmal ungeschminkt im Livestream. All das waren wichtige Schritte, mit denen ich zu mir selbst gefunden habe. Dieses Selbstbewusstsein macht mich heute sehr glücklich.
#BeatYesterday.org: Wie die Zuschauenden einen beäugen, ist das eine. Doch wie lange hast du gebraucht, bist du dich in deinen Videos selbst anschauen mochtest?
Jasmin: Das hat ein, zwei Jahre gedauert. Es ist eine Frage der Gewöhnung und des sich Verbessernwollens. Ich habe meine Videos immer analysiert und hinterfragt, was ich komisch an mir finde. An den wenig authentischen Sachen habe ich gearbeitet.
#BeatYesterday.org: Guckst du dir heute deine Videos gerne an?
Jasmin: Nicht immer. Manchmal sind mir die Clips über. Ich habe das Video zuvor unzählige Male aufgenommen. Dazu verschiedene Schnittversionen gesehen.
#BeatYesterday.org: Wie ist es mit den alten Videos?
Jasmin: Ganz schlimm. Sie tun fast weh, weil sie cringe, so merkwürdig sind.
#BeatYesterday.org: Hättest du rückblickend lieber später mit dem Aufnehmen angefangen?
Jasmin: Jein. Einerseits empfehle ich allen, die etwas mit YouTube oder Twitch machen wollen, zunächst eine Ausbildung oder ein Studium. Die berufliche Sicherheit hilft beim Unverkrampftsein. Sie macht unabhängig. Das ist eine Ausgangslage für gute Inhalte. Andererseits geht es um das Machen, das Anfangen. Wenn wir nur aufschieben, wenig ausprobieren, dann lernen wir nicht dazu. Ohne die Videos, die ich heute total bescheuert finde, wären die aktuellen Sachen, die ich mag, niemals entstanden.
#BeatYesterday.org: Das mentale Mindset ist eine Variable zum Glück. Es gibt einen interessanten Spruch: „Nur einem gesunden Körper wohnt ein gesunder Geist inne“. Wie wichtig ist Bewegung für deine Psychohygiene?
Jasmin: Ich musste irgendwann mit dem Sport beginnen. Der Rücken schmerzte, ich fühlte mich nach dem Aufstehen schlapp. Glücklicherweise habe ich nach 32 Jahren doch noch die Liebe zum Ausdauer- und Kraftsport entdeckt.
#BeatYesterday.org: Du trägst eine Smartwatch von Garmin. Wie hat sie dir beim fitter werden geholfen?
Jasmin: Durch die Venu 2 habe ich das Laufen nach Puls gelernt. Ich lief früher immer zu schnell und war rasch erledigt. Jetzt weiß ich, dass sich mein Puls bei 140 einpegeln muss. Wenn er darüber hinweg rast, mache ich langsamer. So empfinde ich mehr Spaß beim Laufen. Es ist anstrengend und gleichzeitig entspannend.
#BeatYesterday.org: Wie hat sich dein Alltag durch den Sport verändert?
Jasmin: Ich stehe aufrechter im Leben da. Und das wortwörtlich. Ich mag es, wie sich mein Körper verändert, besonders die Haut. Im Bikini fühle ich mich wohl wie nie zuvor. Nicht wegen der Wahrnehmung anderer, sondern wegen meines persönlichen Empfindens. Dieses Selbstvertrauen strahle ich auch aus. Das ist wichtig für meine Arbeit.
#BeatYesterday.org: Ein anderes Thema ist Stress. Seit Jahren ein treuer Begleiter deines Lebens, wie du berichtet hast.
Jasmin: Die Uhr ist manchmal witzig. Letztens erlebte ich im Flugzeug schwerste Turbulenzen. Ich hatte Todesangst. Meine Uhr zeigte an: „Du bist gestresst. Tu etwas für deine Beruhigung.” Da dachte ich: Hallo, ich sterbe gerade! Abgesehen davon hat mich die Venu 2 für Stress sensibilisiert. Wenn mein Level zu hoch ist, mache ich eine Pause. Solange, bis der Wert sinkt. Danach arbeite ich weiter.
#BeatYesterday.org: Apropos Weitermachen. Wie lange willst du noch als Gnu weitermachen?
Jasmin: Es gibt beim Thema Gaming keine Altersbegrenzung. Auch weil Äußerlichkeiten in unserer Szene unbedeutender sind als in anderen. Trotzdem will ich vielleicht irgendwann weniger, aber dafür noch wichtigere Videos machen. Das heißt: Verstärkt andere Themen aufgreifen. Auf einem meiner Kanäle motiviere ich beispielsweise zu mehr Selbstwert. Ich will mit verzerrten Körperbildern aufräumen. Und Menschen auf dem Weg begleiten, den ich schon gegangen bin. Denn der macht glücklich.