Body & Soul

Psychische Erkrankungen: Stress senken, das Risiko reduzieren

Millionen Menschen kämpfen jedes Jahr mit psychischen Krankheiten. Häufig ist Stress der Auslöser. Ein sensibleres Bewusstsein für den eigenen Stresslevel hilft, richtig vorzubeugen.

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Fritjof fährt sich nervös durchs Haar. Er schwitzt, obwohl er sich kaum bewegen kann. Manchmal hört er sein Herz pochen, so laut und unruhig schlägt es, wenn alles um ihn herum still ist. Denn nachts findet er keinen Schlaf mehr. Egal, wie er sich windet, er bleibt wach. Morgens ist er müde und kommt zu nichts. Dasselbe Spiel beginnt wieder von vorn. Jeden Tag.

In Mitteleuropa gibt es unzählige Frauen und Männer, denen es so ergeht wie Fritjof, der fiktiven Figur zu Beginn des Artikels. Laut einem Dossier der deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychologie sind jährlich 17,8 Millionen Erwachsene allein in Deutschland von einer psychischen Erkrankung betroffen. Auch wenn es vielen Menschen an nichts fehlt – die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass sie jemanden kennen, dem es schlecht geht. Freund*innen. Familienangehörige. Kolleg*innen. Der verstorbene Schauspieler Robin Williams sagte vor seinem Tod:

„Jeder Mensch, den Sie kennen, kämpft in einer Schlacht, von der Sie nichts wissen. Sei nett. Immer.”

Robin Williams

Wissenschaftler*innen wie der Psychologe Professor Dr. Wolfgang Lutz und sein Team von der Universität Trier wollen Betroffenen rascher und besser helfen. Sie suchen nach effizienteren Behandlungsmethoden. So analysiert das Forschungsteam gemeinsam mit Garmin Health, ob Gesundheitsdaten, die Smartwatches aufzeichnen, dabei helfen können, Patient*innen besser zu betreuen. Erste Ergebnisse sind vielversprechend.

Im Interview berichtet Professor Dr. Wolfgang Lutz von seiner Studie. Er erklärt, ab wann er einen Stresslevel kritisch bewertet. Und er verrät, wie jede*r die Wahrscheinlichkeit einer psychischen Erkrankung verringern kann.

Prof. Dr. Wolfgang Lutz
Prof. Dr. Wolfgang Lutz will mithilfe von Stressdaten die Behandlungsmöglichkeiten in der Psychologie verbessern. © Prof. Wolfgang Lutz

#BeatYesterday.org: Ihr Institut möchte zusammen mit Garmin Health die Behandlungsqualität in der Psychotherapie verbessern. Warum kooperieren Sie mit einem Hersteller von Smartwatches?

Prof. Dr. Wolfgang Lutz: Smartwatches zeichnen sehr viele spannende Werte auf. Die können für Psychotherapeut*innen von Interesse sein. Mithilfe der Daten treffen sie – was wir als Forschungsteam in der Studie überprüfen – womöglich präzisere Prognosen bezüglich des zu erwartenden Behandlungsverlaufs. Anhand dieser Vorhersagen lässt sich ableiten, welche Therapien sich für die jeweiligen Patient*innen eignen. Zudem können behandelnde Psychotherapeut*innen ihre Behandlungsansätze besser überprüfen.

#BeatYesterday.org: Sie arbeiten mit persönlichen Daten. Wie läuft so eine Studie zu Beginn ab?

Prof. Dr. Wolfgang Lutz: Es gibt zu Beginn ein Aufklärungsgespräch mit den Erkrankten. Dabei informieren die Forschenden aus unserem Team über die Methode und erklären, was wir uns davon versprechen. Alles Weitere beruht auf dem Einverständnis der Betroffenen. Diejenigen, die mitmachen wollen, erhalten für zwei Wochen eine Smartwatch von Garmin. Die erfasst alle Daten, die für unsere Forschung relevant sind. Ergänzend nutzen wir eine Smartphone-App. Diese führt die Patient*innen bis zu viermal am Tag durch Umfragen. Dabei werden die Gemütsstimmung und das aktuelle Stressempfinden abgefragt.

#BeatYesterday.org: Für welche Daten interessieren Sie sich besonders?

Prof. Dr. Wolfgang Lutz: Alle drei Minuten übermittelt die Smartwatch die Daten zum aktuellen Stresslevel, alle 15 Sekunden die Herzrate. Dazu misst die Uhr die körperliche Aktivität der Patient*innen. Wir erhalten Informationen zur Schrittanzahl und zurückgelegten Distanz. Sehr wichtig sind die Schlafdaten. Nicht nur die bloße Dauer, sondern auch in welche Phasen sich die Schlafzeit gliedert. So erfahren wir, wie gut sich die Behandelten nachts erholen konnten.

Wie der Stresslevel gemessen wird

Garmin-Geräte messen die Herzfrequenzvariabilität (HRV), um das Stresslevel zu ermittelt. Die HRV gibt an, wie die Abstände zwischen zwei Herzschlägen variieren. Bei einem gesunden und entspannten Menschen schwanken die Zeiten. Mal ist der Abstand zwischen zwei Kontraktionen größer, dann wieder geringer. Das Herz passt sich den Umständen an. Die zackigen Ausschläge auf dem EKG unterscheiden sich sichtbar.

Unter Stress dagegen gibt es diese Schwankungen nicht. Das Herz schlägt beständig im selben Takt. Auf dem EKG sind Unterschiede kaum wahrnehmbar.

Sport, Arbeit, Schlaf, Nahrung und der Stress des täglichen Lebens beeinflussen den Stresslevel. Dieser wird auf einer Skala von 0 bis 100 angegeben.

0 bis 25: Ruhezustand
26 bis 50: niedriger Stress
51 bis 75: mittlerer Stress
76 bis 100: hoher Stress

#BeatYesterday.org: Inwieweit unterscheiden sich die Stresslevel-Kurven von gesunden Menschen im Vergleich zu Personen, die unter psychischen Erkrankungen leiden?

Prof. Dr. Wolfgang Lutz: Bereits im frühen Stadium der Studie zeigte sich, dass Menschen, die sich in einer kritischen mentalen Lage befinden, eine besondere Stresskurve aufweisen.

#BeatYesterday.org: Wie sieht diese aus?

Prof. Dr. Wolfgang Lutz: Normalerweise fluktuiert der Stresslevel von uns Menschen stark. Es gibt hohe Spitzen, also Situationen, in denen wir viel Stress empfinden. Und kurz darauf folgen längere Täler, in denen wir runterkommen, in denen eine innere Anspannung kaum messbar ist. Bei Menschen mit einer aktuellen oder sich anbahnenden Erkrankung erkennen wir Wissenschaftler*innen dagegen eine gewisse Trägheit. Der Stresslevel verändert sich nicht mehr. Es pegelt sich auf einem leicht oder stärker erhöhten Wert ein. In diesem Punkt bemerken wir eine Korrelation, eine Verbindung zwischen der Trägheit des Stresslevels und einem wachsenden Risiko für psychische Erkrankungen.

#BeatYesterday.org: In der Medizin lassen sich aus Daten – beispielsweise Tumormarkern – Risiken oder Wahrscheinlichkeiten für eine Erkrankung ablesen. Funktioniert das auch mit den Stresswerten, die Smartwatches messen?

Prof. Dr. Wolfgang Lutz: Wir sind in der Forschung noch nicht so weit, dass wir etwaige Cut-off-Werte definieren können. Also Grenzpunkte, an denen aus “Unaufälligkeiten” kritische Auffälligkeiten werden. Aber der Stresslevel hilft, die Gesamtsituation besser zu verstehen.

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#BeatYesterday.org: Was sollten Menschen, die eine Smartwatch tragen, mit „ihrem” Stresslevel anstellen?

Prof. Dr. Wolfgang Lutz: Sie können sich mithilfe der Werte sensibilisieren. Stagnieren die Stresswerte häufiger in einem erhöhten Bereich, ohne dass es zu einer Entspannung im Alltag kommt, sollten Betroffene achtsamer sein. Sich bewusster entschleunigen. Möglicherweise auch psychologische Trainings anwenden. Und wenn das nicht hilft, sich nicht scheuen, Hilfe zu suchen.

#BeatYesterday.org: Was genau meinen Sie mit psychologischen Trainings?

Prof. Dr. Wolfgang Lutz: Es muss bei einer kurzfristigen Stressüberflutung nicht sofort das Autogene Training sein oder eine psychotherapeutische Behandlung. Es genügen bereits regelmäßige Achtsamkeitsübungen für spürbare Effekte. Einfach ein paar Minuten auf den eigenen Atem hören, so wie es beim Yoga oder beim Meditieren üblich ist. Vielen Stressgeplagten hilft schon ein Spaziergang zwischendurch. Oder einfach mal vom Schreibtisch aufstehen und die Körperbereiche, die sich verspannt anfühlen, mit leichten Übungen lockern. Durch diese Cool Downs verhindern wir, dass unser Stresslevel stagniert, dass die Fluktuation ausbleibt.

#BeatYesterday.org: Neben der Familie ist der Job einer der Hauptbereiche, in denen Menschen Stress empfinden. Ist es nicht schädlich, dass viele Firmen immer noch in Strukturen arbeiten, die viel Arbeit am Stück, aber wenig Flexibilität vorsehen?

Prof. Dr. Wolfgang Lutz: Unternehmen sind für die psychische Gesundheit ihrer Mitarbeitenden mitverantwortlich. Wir sprechen nicht umsonst von Human Resources. Die Menschen sind mit ihrem Know-how das eigentliche Kapital der Organisationen. Und wenn die Unternehmen klug sind, schützen sie es. Mit Strukturen, in denen die Angestellten immer wieder Raum zur Erholung und zum Entstressen finden.

#BeatYesterday.org: Die amerikanische Ärztin Dr. Esther Sternberg bemüht ein gutes Bild. In einem Fachbeitrag erklärt sie, dass wir Menschen uns Stress wie einen Rucksack vorstellen müssen. Wenn wir morgens aufwachen, ist der Tornister idealerweise leer. Jeder Stressor, der uns im Tagesverlauf begegnet, ist ein Stein, den wir uns auf die Schultern laden. Irgendwann ist der Rucksack zu schwer für uns. Wir können ihn nicht mehr tragen. Das Risiko für eine Erkrankung steigt.

Prof. Dr. Wolfgang Lutz: Das ist ein treffendes Bild. Seit Jahren gilt es in unserer Wissenschaft als unbestritten, dass Stress ein großer Risikofaktor für Krankheiten ist. Wir Psycholog*innen arbeiten mit einem Vulnerabilität-Stress-Modell. Jeder Mensch bringt eine individuelle Verletzlichkeit, eine sogenannte Disposition für Erkrankungen mit. Entweder ist diese genetisch bedingt, oder wir haben sie durch unsere Lebensweise „erlernt”. Je nach Disposition ertragen Menschen eine unterschiedliche Menge Stress in Abhängigkeit von der individuellen Resilienz. Durchbrechen sie diese individuelle Schwelle, die zwischen erträglich und überlastend verläuft, steigt das Erkrankungsrisiko erheblich.

Mann hat zu schweren Rucksack beim Wandern auf und ist erschöpft
Stress ist wie ein Rucksack. Morgens ist er idealerweise leer und füllt sich sich über den Tag. © Dusan Ilic / E+ / Getty Images Plus

#BeatYesterday.org: Mentaltrainer*innen und berühmte Sportler*innen wie Reinhold Messner predigen häufiger einen Satz: „Das Selbstbewusstsein lässt sich wie ein Muskel trainieren.” Gilt das auch für unsere Stressresistenz?

Prof. Dr. Wolfgang Lutz: Wir Menschen haben gewisse Ressourcen gegen Stress, die uns vor einer Überreizung schützen. Doch diese Puffer müssen wir mit Erholungsphasen immer wieder auffüllen. Und zusätzlich gibt es beliebte Methoden in der Psychotherapie, mit denen Patient*innen eine höhere Resilienz gegen Stress entwickeln sollen.

#BeatYesterday.org: Wie darf man sich diese Mittel vorstellen?

Prof. Dr. Wolfgang Lutz: Indem Menschen sich zum Beispiel fragen, warum sie in manchen Alltagssituationen negativen Stress empfinden. Manchmal können Betroffene die vermeidbaren Stressoren allerdings erst in einem Gespräch mit Psychotherapeut*innen erkennen oder akzeptieren. Diese Identifizierung ist zwingend nötig, um schädliche Reize zu vermeiden.

Andere bringt es weiter, wenn sie sich mental auf stressige Situationen vorbereiten, eine Taktik entwickeln. Alleine der Fakt, Strategien zu besitzen, hilft der menschlichen Psyche enorm. Wenn Betroffene diese Verhaltensweisen in Notlagen anwenden, absorbieren sie weniger Stress. Manchmal wandeln sie mit den richtigen Taktiken sogar negativen Stress in positiven um.

#BeatYesterday.org: Sie sprechen den Unterschied zwischen dem positiven Eustress und dem negativen Disstress an.

Prof. Dr. Wolfgang Lutz: Stress ist tatsächlich nicht immer negativ. In manchen Situationen wirkt er leistungssteigernd oder positiv. Besonders dann, wenn wir ihn als Anforderung, als Challenge interpretieren können und für uns gegebenenfalls aufregende neue Möglichkeiten in der Situation entstehen können oder aber wir keine besondere Überlastung fürchten müssen.

#BeatYesterday.org: Bei einem Fußballspiel sind die unterschiedlichen Folgen von Stress sehr gut zu erkennen. Die einen Spieler*innen drehen in einer Drucksituation auf, weil sie intuitiver agieren müssen, keine Zeit zum Überlegen haben, einfach machen. Andere knicken weg, geraten in Panik. Ihre Selbstsicherheit löst sich auf wie eine Brausetablette im Wasserglas. Warum sind die Wahrnehmungen von Stress – und die Reaktionen, die aus ihnen folgen – so verschieden?

Prof. Dr. Wolfgang Lutz: Das liegt zumeist an den persönlichen Biografien. Diejenigen, die Stress in dieser Situation als etwas Positives sehen, haben womöglich bereits positive Erfahrungen in vergleichbaren Momenten gesammelt. Oder sie haben einen ganz anderen biografischen Hintergrund. Spieler*innen, die wissen, was sie können, die sich nicht um einen Stand fürchten müssen, die also genügend Selbstsicherheit besitzen, nehmen den Stress anders an als diejenigen, die unsicherer und unerfahrener sind. Das ist ein ganz wichtiger Fakt: Menschen reagieren immer unterschiedlich auf Stress.

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Ausdauersport, Schlaf und Pausen können dir in stressigen Zeiten helfen. © Garmin

#BeatYesterday.org: Bleiben wir beim Thema Sport. Es ist viel zu lesen, dass Ausdauersport hilft, Stress abzubauen und psychischen Erkrankungen vorzubeugen.

Prof. Dr. Wolfgang Lutz: Das ist größtenteils so. Viel Bewegung, ausreichend Schlaf, genügend Pausen in stressigen Phasen – all das hilft, um sich gegen krankmachenden Stress und psychische Erkrankungen zu schützen.

#BeatYesterday.org: Jedoch erkranken erholte, körperlich gesunde und sportliche Menschen ebenfalls an psychischen Leiden.

Prof. Dr. Wolfgang Lutz: Das wird auch immer so sein. Jeder Mensch kann jederzeit eine psychische Erkrankung erleiden. Denn es gibt im Leben Situationen, auf die wir uns schlicht nicht mental vorbereiten können. Plötzliche Tragödien in der Familie. Der unerwartete Verlust des Arbeitsplatzes. Die Flut, die meine Mitmenschen in Rheinland-Pfalz ereilt hat, ist so ein unvorstellbares Ereignis.

#BeatYesterday.org: Warum ist es trotzdem sinnvoll, den eigenen Stress zu beobachten – und etwas gegen ihn zu tun?

Prof. Dr. Wolfgang Lutz: Am Ende reden wir Wissenschaftler*innen immer über Wahrscheinlichkeiten. Menschen, die nie geraucht haben, erkranken an Lungenkrebs. Manch starke Raucher*innen erreichen ein hohes Alter und leiden niemals unter solchen Tumoren.

Das Risiko, Lungenkrebs zu bekommen, steigt aber durch das Rauchen erheblich. Wer nicht raucht, hat bessere Chancen, nicht zu erkranken. So funktioniert es auch beim Stress: Wenn Menschen auf ihren Stresslevel achten, sich Pausen gönnen, ausreichend Sport treiben – dann senken sie die Wahrscheinlichkeit, dass sie im Laufe ihres Lebens eine psychische Erkrankung heimsucht.

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