Fitness

Fitness-Sucht: Wenn Sport zur Droge wird

Sie vernachlässigen alles, außer ihrem Training und steuern Schritt für Schritt auf den Abgrund zu. Wenn Sport zur Sucht wird, bleibt die Gesundheit auf der Strecke.

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„Eigentlich wollte ich nur etwas für mich tun“, erinnert sich Sandra, „ich wollte etwas schlanker werden, insgesamt gesünder leben, mich fitter fühlen.“ Die 39-Jährige schüttelt ungläubig den Kopf: „Ich kann immer noch nicht fassen, wie das alles so aus dem Ruder gelaufen ist. Niemals hätte ich gedacht, dass mein Lauftraining so ein Problem werden könnte. Sport als Sucht? Ich habe das schlicht nicht für möglich gehalten.“

Etwa ein- bis drei Prozent der Sporttreibenden hierzulande, so schätzen es Experten und Expertinnen, betreiben ihr Fitnessprogramm so exzessiv, dass von einer Sucht gesprochen werden kann. Vor allem betroffen sind Frauen, die häufig auch noch eine Essstörung entwickeln. Ein gefährlicher Strudel, in den auch Sandra geriet. Obwohl die Hamburgerin seit zwei Jahren mit einer Sportpsychologin ihr exzessives Fitnessverhalten aufarbeitet, ist es ihr immer noch unangenehm, darüber zu sprechen. Auch deshalb möchte sie nicht ihren richtigen Namen nennen.

Auslöser war ein Karriereknick

Alles fing vor zehn Jahren an: Aus Jobgründen musste Sandras Mann Alex mehrfach die Stadt wechseln, von Hamburg ging es nach München, von München nach Köln, schließlich wieder zurück nach Hamburg. „Zuerst führten wir eine Fernbeziehung und pendelten, doch das war auf Dauer keine Lösung, die Distanzen waren zu groß“, erzählt sie, „ich stand vor der Entscheidung: Entweder ich ziehe mit oder ich verliere meine große Liebe.“

In München fand die ehemalige PR-Beraterin noch einen Job, aber als Alex schon nach einem Jahr als Projektmanager nach Köln wechselte, gelang ihr das nicht mehr: „Alex machte Karriere und meine blieb auf der Strecke.“ Sie sagt das ohne Bitterkeit: „Ich habe diese Entscheidung selbst getroffen, ich bereue sie nicht. Aber von einem Tag auf den anderen fehlte mir eine Aufgabe. Ich war es nicht gewohnt, nur zu Hause herumzusitzen, das bekam mir nicht.“

Am Anfang war das Bedürfnis, wieder fitter zu sein

„Rückblickend erscheint es mir so offensichtlich, dass ich unglücklich war“, sagt sie. „Doch damals sah ich das nicht so klar. Ich war unzufrieden und ließ mich immer mehr gehen.“ Als dann ein wichtiger Geschäftstermin anstand, bei dem sie Alex begleiten sollte, war sie geschockt:

Ohne es groß zu merken, hatte ich fast zehn Kilo zugenommen. Ich hatte nichts Schickes mehr anzuziehen, fühlte mich schrecklich in meiner Haut.

Sandra

Sie beschloss, ihr Leben zu ändern, wieder in Form zu kommen: „Schon am nächsten Tag ging ich in den Park zum Joggen. Dabei musste ich mehr Pausen machen als ich gelaufen bin. Es kostete mich große Überwindung.“

Erste Erfolge beflügeln

Doch schon bald merkte sie erste Erfolge. „Ich kann mich noch an das Glücksgefühl erinnern, als ich es einmal ganz um den Park schaffte. Endlich hatte ich mal wieder etwas geleistet.“ Sport wurde ein fester Bestandteil ihres Lebens: „Wenn Alex zur Arbeit ging, schnürte ich meine Laufschuhe“, sagt sie, „im Park fühlte ich mich frei.“ Monat für Monat steigerte Sandra ihr Pensum, angetrieben auch durch die Komplimente, die Freundinnen und ihr Mann ihr machten. Doch obwohl sie so fit und trainiert wie nie zuvor in ihrem Leben war, störten sie nun plötzlich Kleinigkeiten an ihrem Körper – das Röllchen an ihrem Bauch, die Orangenhaut an ihrem Oberschenkel. „Also trainierte ich mehr und wurde dabei immer dünner.“

Sandra lief vor ihrem Frust davon und wurde immer dünner. © iStock.com/KatarzynaBialasiewicz

Ihr Umfeld konfrontierte sie mit ihrem Suchtverhalten

Mit der Zeit merkten immer mehr Menschen in ihrem engeren Umfeld, wie übermächtig der Sport für Sandra geworden war. „Übertreibst du es nicht langsam?“, fragte ihre Schwester. Doch Sandra ignorierte sie: „Ich sagte mir, dass sie nur neidisch war.“ Auch mit ihrem Mann kam es zusehends zu Konflikten: „Abends beim Essen nahm ich nur Miniportionen und auch das Glas Wein, das ich früher gerne getrunken hatte, lehnte ich ab. Ich war nur auf meine Figur konzentriert. Darunter litt unser Leben. Auch am Wochenende, wenn Alex ausschlafen wollte, lief ich morgens los. Das nervte ihn.“ Außerdem fiel ihm auch langsam auf, wie lange Sandras Trainingseinheiten dauerten. Zwei bis drei Stunden lief Sandra inzwischen – jeden Tag.

Ich genoss es, immer wieder den Schmerz und meinen Schweinehund zu überwinden. Ich fühlte mich stark.

Sandra

Heute ist ihr klar: „Ich lief nur vor meinem Frust davon.“

Betroffene ordnen der Sportsucht alles andere unter

Experten und Expertinnen wissen: Die Grenzen zwischen leidenschaftlichem Freizeitsport und einem ausgeprägten Suchtverhalten sind fließend. Klar ist, dass nicht alle, die morgens um 5 Uhr aufstehen, um joggen zu gehen, sportsüchtig sind. Gefährdet sind aber diejenigen, die dem Training alles andere unterordnen ­– die Familie, die Partnerschaft, den Job, ihre eigene Gesundheit. Um die häuslichen Diskussionen zu umgehen, überredete Sandra ihren Mann, einen Hund anzuschaffen. So konnte sie zwei Mal am Tag trainieren – „ich sagte Alex abends: Der Hund braucht Auslauf.“

Ab jetzt gab es für Sandra kein Regulativ mehr. Sie lief bei jedem Wetter – sogar, wenn sie krank war. „Immer öfter hatte ich Schmerzen in den Gelenken, ständig lief ich mir Blasen oder hatte wunde Stellen. Doch nichts konnte mich stoppen.“

Statt fit hatte sich Sandra längst fix und fertig trainiert: Sie wog nur noch 48 Kilogramm – bei einer Größe von 1,74 Metern. „Gucke ich mir heute Bilder aus der Zeit an, bin ich geschockt. So mager war ich – wieso fühlte ich mich immer noch zu dick? Wieso machte ich nicht eine Pause? Aber wenn ich nicht joggen konnte, fühlte ich mich unausgeglichen, war gereizt, stand regelrecht unter Strom.“

Wenn Sandra nicht joggen konnte, fühlte sie sich unausgeglichen und war gereizt. © iStock.com/AdventurePicture

Nach ihrem Kollaps suchte sie sich Hilfe

Dann der Tag vor zwei Jahren: Morgens kollabierte Sandra im Bad. Sie wachte auf den kalten Fliesen auf, wusste nicht, wie lange sie dort gelegen hatte. Im Krankenhaus checkten die Ärzte und Ärztinnen sie durch. Sandra erinnert sich: „Eigentlich hätten Alex und ich immer gerne Kinder gehabt. Doch es hatte nie geklappt. Und wir hatten auch schon lange keinen regelmäßigen Sex mehr. Jetzt sagte man mir im Krankenhaus, dass mein Körper schlicht zu ausgezehrt für eine Schwangerschaft war.“

In diesem Moment begriff Sandra, was sie sich antat. Und auch Alex setzte ihr ein Ultimatum: Entweder suchte sie sich Hilfe – oder er würde gehen. „Ich begriff, dass ich etwas tun musste.“ Sandra wandte sich an eine spezielle Sportpsychologin, es begann ein langer Weg aus der Sucht. Immer wieder hatte sie Rückfälle, rannte Stunden am Stück. Doch hinterher fühlte sie sich nicht gut, sondern hatte ein schlechtes Gewissen: „Ich habe angefangen, die Mechanismen zu durchschauen.“ Nach und nach lernte Sandra, ihren Bewegungsdrang zu kontrollieren. Auch heute macht sie noch viel Sport: Drei bis vier Mal die Woche läuft sie. Aber nicht mehr verbissen und bis zur Erschöpfung. Sie ist nicht mehr süchtig nach dem Kick, den ihr vermeintlich nur die Droge Sport geben kann.

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