Elf Zahlen auf einer Metalltafel können ziemlich frustrierend sein. Und zwar dann, wenn der Magnet mit der eigenen Rückennummer mal wieder nur am Spielfeldrand haftet.
Wer mit Übergewicht in einer Mannschaftssportart wie Fußball aktiv ist, dem droht oft die Ersatzbank. Spielminuten gibt es höchstens in belanglosen Partien am Saisonende – oder wenn die anderen am Vorabend zu hart anderweitig trainiert haben.
Mit seinen „Heavy Kickers“ möchte Mike Kraus das ändern. Aus der 2019 gegründeten Mannschaft für Übergewichtige ist mittlerweile eine Liga entstanden. Sie soll den Beteiligten wieder Spaß am gemeinsamen Sport vermitteln und beim Abnehmen helfen. Im Interview erklärt der Gründer, was er sich für die Zukunft wünscht.
#BeatYesterday.org: Mike, 2019 hast du die Heavy Kickers gegründet. Das erste deutsche Fußballteam für Übergewichtige. Wie kam es zu dieser Idee?
Mike Kraus: Früher spielte ich aktiv im Verein, riss mir aber leider das Kreuzband. Bei der Operation kam es zu Komplikationen. Danach musste ich mit dem Fußball aufhören. Das Risiko für Folgeschäden war zu groß für mich. Anschließend probierte ich mich in anderen Sportarten aus, verlor aber die Motivation und saß oft auf der Couch.
#BeatYesterday.org: Und dann?
Mike: Hat mich die Lust noch mal gepackt. In den Ü-40-Mannschaften (über 40 Jahre) oder Freizeit-Ligen hätte ich aber nicht mithalten können – dafür war ich zu wenig fit. Stattdessen kontaktierte ich mehrere Vereine wegen einer Mannschaft für Übergewichtige. Der PSV Bork, ein Klub aus dem östlichen Ruhrgebiet, war begeistert und stellte uns Platz und Trainingszeiten zur Verfügung.
#BeatYesterday.org: Das war der Beginn der Heavy Kickers. Wie ging es danach weiter?
Mike: Im Juni 2019 fand unser erstes Training mit 14 Personen statt. Und es wurden stetig mehr. Ein paar Wochen später hatten wir bereits unsere Kapazitätsgrenze von 25 Teilnehmenden erreicht. Heute sind wir 29 Spieler, können daher leider niemanden mehr aufnehmen. Dabei gibt es regelmäßig Anfragen, die ich auf die Warteliste setzen muss.
#BeatYesterday.org: Ein Team macht noch keine Liga. Wie entstanden die weiteren Vereine?
Mike: Nachdem einige Corona-Maßnahmen aufgehoben wurden, wuchs das Interesse an den Heavy Kickers weiter. Bei uns absolvierten Spieler ein Probetraining, die über eine Stunde anreisen mussten. Diese motivierten wir zur Gründung eines eigenen Vereins in ihrem Ort. Daraus entstanden fünf weitere Mannschaften – und damit unsere Liga.
1. Übergewichtigen Fußball Liga NRW: Wer darf spielen?
Den fairen Ablauf der 1. Übergewichtigen Fußball Liga NRW garantieren klar definierte Regeln. Als übergewichtig gilt, wer mindestens einen BMI von 31 hat. Unterbietet ein Spieler durch die sportliche Aktivität irgendwann diesen Wert, darf er trotzdem in der Mannschaft bleiben. An Spieltagen dürfen aber nur zwei Spieler mit einem niedrigeren BMI gleichzeitig auf dem Feld stehen.
#BeatYesterday.org: Im Jahr 2023 läuft eure erste Saison. Wie sind die Reaktionen darauf?
Mike: Alle sind begeistert. Durch die Liga können wir regelmäßig gegeneinander antreten. Früher verloren wir gegen die normalen Teams meist chancenlos. Nun spielen wir zehnmal im Jahr gegen gleichwertige Gegner und das in einem offiziellen Rahmen. So bleibt die Motivation für unsere Ziele bestehen.
#BeatYesterday.org: Welche Ziele sind das?
Mike: Wir wollen gemeinsam und vor allem mit Spaß abnehmen. Das ist das Hauptziel der Vereine und der Liga. Wer gern Fußball spielt, aber nur auf der Bank sitzt, verliert durch die Ausgrenzung die Lust am Sport und an Bewegung. Wir achten darauf, dass alle spielen. Die Meisterschaft ist gar nicht unser Anspruch. Klar, alle wollen gewinnen. Aber die gemeinsame Aktivität ist wichtiger.
#BeatYesterday.org: Was ist der große Vorteil für die Aktiven in der Mannschaft?
Mike: Niemand muss sich vor schiefen Blicken oder Lachern fürchten. Wenn eine Bewegung langsam und ungelenk ist, dann passiert das eben. Wir verfolgen alle das gleiche Ziel und das in einer Mannschaft, in der wir Spaß haben. Wie viel das allen bedeutet, sahen wir bei unserem Pokalwettbewerb, dem Heavy Cup. Einer unserer Spieler, der verletzt pausieren musste, durfte den Pokal entgegennehmen und musste vor Rührung weinen. Ein gutes Beispiel für die Teilhabe in unserer Liga. Niemand meckert oder ist überehrgeizig. Bei den Spielen spüren wir immer eine tolle Atmosphäre. Auf und neben dem Platz.
#BeatYesterday.org: Welche Erfolge konntet ihr als Team verzeichnen?
Mike: Bei vielen zeigen sich krasse Ergebnisse auf der Waage. Manche haben mehr als 60 Kilogramm abgenommen. Denen ist das Trikot mittlerweile zu groß. Solche Erfolge feiern wir lautstark. Sie spornen alle an. Auch entstanden durch die Teams viele Freundschaften, die es sonst niemals gegeben hätte.
#BeatYesterday.org: Fernab des Gewichts: Was hat sich noch verbessert?
Mike: Die Kondition. Früher hielt kaum jemand beide Halbzeiten durch. Heute gelingt das vielen Spielern.
#BeatYesterday.org: Mit sechs Teams steht ihr noch am Anfang. Was habt ihr mit eurer Liga vor?
Mike: Wir wollen wachsen und mehr Menschen diese tolle Möglichkeit bieten. In Ländern wie Schottland existiert seit 2020 eine Liga, in der 20 Teams antreten. Der Bedarf und das Interesse sind da. Das merken wir durch die vielen Anfragen, aber auch durch die vielen Zuschauenden. Ohne Hilfe – zum Beispiel Reichweite – lassen sich diese Projekte nur beschwerlich ankurbeln. Die Unterstützung könnte vom DFB kommen. Inklusion und Gesundheit werden dort als wichtige Themen genannt, aber viele konkrete Angebote für Übergewichtige gibt es bislang nicht. Das sollten wir ändern.
#BeatYesterday.org: Wir haben jetzt viel über Männer gesprochen. Was ist mit der Diversität?
Mike: Die ist wichtig. So ein Liga-Konzept ließe sich genauso auf Frauen und Kinder ausweiten. Auch andere Sportarten sind interessant. Dafür braucht es aber mehr Vereine, die bereit sind, diesen Weg zu gehen. Interessierte können uns immer kontaktieren. Wir helfen gern bei der Organisation.
Unterstützung: Du möchtest in deinem Verein oder deiner Region ein ähnliches Angebot wie die Heavy Kickers schaffen? Über diese Seite kannst du die Expertinnen und Experten zu diesem Thema kontaktieren.
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