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Freitauchen: Wo Menschen ihren Körper kontrollieren lernen

Jennifer Wendland ist eine Weltmeisterin. Sie taucht im offenen Meer in Tiefen, in die kein Licht gelangt – ohne zusätzlichen Sauerstoff. Ein Interview über Hingabe im Training, kognitive Stärken, Angst und Selbstbeherrschung.

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Eine Sache ist zu Beginn wichtig. Jennifer Wendland spricht lieber vom Freitauchen als vom Apnoetauchen. Warum? Weil Freitauchen für das steht, was der Sport für Jennifer ausmacht. Die totale Freiheit – nur, dass sie diese 100 Meter unter der Wasseroberfläche spürt.

Im Interview spricht Jennifer über einen Sport, der mental alles von den Athletinnen und Athleten verlangt. Und der zeigt, was Menschen abseits des Profisports mit Hingabe bewerkstelligen können. Freizeitsportlerinnen und -sportler wie Jennifer Wendland beweisen, dass man auch ohne große finanzielle Möglichkeiten, dafür mit viel Leidenschaft die Grenzen der menschlichen Leistungsfähigkeit verschieben kann.

jennifer Wendland
© Carina Wendland

Über Jennifer Wendland

Jennifer Wendland ist eine der besten Freitaucherinnen der Welt. Freitauchen heißt: Ohne zusätzlichen Sauerstoff und nur mit Unterstützung der Muskelkraft tauchen. Jennifer tut das bis zu 102 Meter tief. Dafür hält sie bis zu drei Minuten die Luft an. Dreimal wurde Jennifer bereits Weltmeisterin. Neben ihrer sportlichen Laufbahn arbeitet sie im Ruhrgebiet in der Energiebranche.

Kai Tutschke: Jennifer, warum machst du das, was du machst?

Jennifer Wendland: Weil Freitauchen für mich der schönste Sport der Welt ist. Die Freiheit unter Wasser ist grandios, ich kann mich dreidimensional bewegen. Und in der Regel ist es da unten relativ ruhig. Ich finde in der Tiefe zu mir selbst.

Kai: „Zu sich selbst finden“ ist spannend. Es bedeutet auch: zur inneren Ruhe finden. Aus Gesprächen mit Sportprofis weiß ich, wie schwer das vor einem wichtigen Wettkampf ist. Das Adrenalin rast durch den Körper. Bei dir wäre es fatal. Du würdest mehr Energie, mehr Sauerstoff verbrauchen. Wie bekommst du es hin, dass du nicht aufgeregt bist?

Jennifer: Es ist absurd: Der Moment vor dem Weltrekordversuch oder vor dem WM-Gold muss der entspannteste in meinem Leben sein. Das gelingt nur mit jahrelangem mentalen Training. Auch eine lange sportliche Vorbereitung ist wichtig. Sie gibt mir das Gefühl, dass ich bereit bin, dass ich gut in dem bin, was ich tue. Und zuallerletzt arbeite ich mit Visualisierungen. Ich gehe jede Phase meines Tauchgangs durch und stelle mir alles, was mich ablenken könnte, vorher vor. Die Judges, die Menschen, die sich um meine Sicherheit kümmern. Ich versuche, diese Bilder positiv aufzuladen, nur das Gute in ihnen zu sehen.

Kai: Warum ist dieser Prozess wichtig?

Jennifer: Weil ich durch ihn in eine Art meditativen Flow komme. Sobald ich an der Tauchleine hänge, blende ich alles andere als den Tauchgang aus. Ich konzentriere mich auf die Atmung, dann aufs Luftanhalten. Während dieses Prozesses bleibt keine Zeit für Ablenkung. Daher visualisiere ich sie mir im Vorfeld. Sie ist dann abgehakt.

Kai: Wie können sich die Leserinnen und Leser diesen meditativen Flow vorstellen? Schließt du deine Augen und sitzt dann Minuten lang still da?

Jennifer: Meditation bedeutet, dass man sich auf genau eine Sache fokussiert. Meditation ist deshalb Teil meines Trainings. Denn nur an ein Thema zu denken, ist gar nicht so einfach. Vor allem nicht in einer Zeit, in der viele Reize auf einen einprasseln. Meditation muss man deshalb lernen. Im Wettkampf beginnt diese wesentliche Fokusphase ein bis zwei Minuten vor dem Tauchgang. Ein Countdown läuft runter, und ich bin dann nur noch mit den Gedanken beim Tauchen. Bin ich entspannt? Fühle ich das, was ich fühlen möchte? Hyperventiliere ich nicht, sondern atme ruhig und tief? All diese Fragen – bezogen auf den Tauchgang – gehe ich konzentriert durch. Während des Tauchgangs arbeite ich am Druckausgleich in den Ohren, damit ich überhaupt so tief komme. Das wird sehr schwierig mit der steigenden Tiefe. Auf dem Weg nach oben bin ich mit meiner Flossentechnik beschäftigt. Jeder Schlag muss sauber sein, weil jede nicht perfekte Bewegung zu viel Energie kostet.

Kai: Aus welchen Phasen besteht so ein Tauchgang – und vielleicht am interessantesten: Wie ist es 102 Meter unter der Oberfläche?

Jennifer: Die erste Phase ist sehr anstrengend. Ich atme viel Luft ein, bin dann aufgeblasen wie ein Luftballon. Den muss ich mit kräftigen Schüben erst mal unter Wasser bekommen. Ab spätestens 40 Metern kann ich in den freien Fall übergehen, weil meine Lunge so sehr geschrumpft ist, dass sie keinen Auftrieb mehr erzeugen kann. Wie ein Stein sinke ich dann zum Meeresgrund in die Dunkelheit. Wir Sportlerinnen und Sportler nennen es „Freifall”. Diesen Moment genieße ich sehr. Das Wasser fließt durch mein Gesicht, es wird kälter und kälter, ich bin komplett entspannt. Unten am Wendepunkt muss ich einen Tag, eine Art Zettel, einsammeln, der beweist, dass ich das Ziel erreicht habe. Trotz des Drucks fühle ich mich nicht zerquetscht, sondern eher friedvoll umarmt. Es ist ein Zustand, der sich sehr frei anfühlt, weil ich nur bei mir bin. Weil nichts anderes wichtig ist.

Kai: Man könnte denken, dass du diesen Moment auskosten willst. Die Realität sieht anders aus. Du bist 100 Meter tief im Wasser. Dir geht die Luft aus. Die Sauerstoffsättigung in deinem Blut sinkt. Wie schnell geht’s wieder aufwärts?

Jennifer: Der Weg nach oben ist körperlich wieder sehr beschwerlich. Ich muss jetzt gegen die Schwerkraft, die mich nach unten saugt, ankämpfen. Es kostet Kraft, aus der Tiefe rauszukommen. Mit sinkender Energie wird die Technik immer komplizierter, es braucht viel Konzentration. Ab 20 Meter vor dem Auftauchen bereite ich diesen Prozess vor. Sobald ich oben bin, muss ich ein Protokoll ausführen. Meine Nasenklammer entfernen, allen Kampfrichtern mitteilen, dass alles okay bei mir ist. So simpel das klingt – es ist schwierig. Das Gehirn hat in dem Moment nur noch wenig Sauerstoff zur Verfügung. Die Sättigung im Blut liegt bei etwa 50 Prozent. Für untrainierte Menschen wäre das bereits sehr gefährlich.

Kai: Für uns als Unternehmen, das Menschen bei ihren sportlichen Bestleistungen begleiten will: Wie unterstützt dich unsere Garmin-Technik bei diesem Abenteuer?

Jennifer: Besonders beim Abtauchen ist sie sehr wertvoll für mich. Ich stelle mir diverse Alarme, die mir mitteilen, wann welches Manöver notwendig ist. Zum Beispiel, wann ich welchen Druckausgleich vornehmen muss. Wann ich in den Freifall übergehen kann. Oder auch, wann die Wende unten ansteht. Nicht, dass ich in meiner Konzentration gegen die Markierung mit den Zetteln donnere. Auch beim Auftauchen alarmiert mich die Smartwatch rechtzeitig, damit ich das Protokoll an der Oberfläche gedanklich vorbereiten kann.

Jennifer Wendland schaut auf ihre Garmin-Uhr mit Tauchmotiv als Hintergrundbild
© Garmin

Kai: Was du so bildhaft und inspirierend beschreibst, baut sehr viel auf das Thema kognitive Kraft. Wann beginnt das mentale Training vor dem Wettkampf?

Jennifer: Das sollte immer Teil des Trainings sein. Wenn ich im Winter die Atem-Tabellen durchgehe, ich meinen Körper auf CO2– und Sauerstofftoleranz trainiere, nutze ich die Zeit parallel für meine Visualisierungen. Ich graviere meine Emotionen, die ich während des Wettkampfs erleben will, in mein Gehirn ein. Dann kann ich sie besser abrufen.

Kai: Hast du dir für den mentalen Bereich professionelle Hilfe geholt?

Jennifer: Ich habe mit meinem Trainer darüber gesprochen, dass das Thema „Mentaltraining” wichtig ist. Die ersten Schritte sind wir gemeinsam gegangen. Nun ist es meine Aufgabe, mich immer wieder darum zu kümmern, dass ich die Techniken richtig und ausreichend anwende.

Ich arbeite mit der Angst. Ich lasse sie zu, ich spüre sie, höre ihr zu und stelle mich.

Jennifer Wendland

Kai: Für das, was du tust, braucht es Mut. Du tauchst bis zu 102 Meter tief. Der Druck liegt in der Tiefe bei etwa 11 bar. Deine Lunge schrumpft auf die Größe einer Faust zusammen. Ich erlebe dich als sehr positiv und lebensbejahend. Das ist sicher eine Einstellung, die man für diesen Sport braucht. Warst du schon immer so optimistisch – oder musstest du das lernen?

Jennifer: Ich bin grundsätzlich ein sehr aktiver und neugieriger Mensch. Das hilft sicher dabei, dass ich in manchen Dingen weitergehen kann als andere. Beim Umgang mit der Angst ist es etwas anders. Da habe ich zwei Strategien:

  1. Gutes Risikomanagement. Das fängt damit an, dass ich meine Leistung einschätzen kann. Dass ich weiß, wo meine Grenzen liegen, wie weit ich tauchen darf. Außerdem gehört dazu, dass ich einen sicheren Rahmen schaffe, dass ich auch im Training Sicherheitstaucherinnen und -taucher habe. Wenn ich ans Seil gehe, weiß ich, dass ich nicht in Lebensgefahr bin. Das ist extrem wichtig. Würde ich mich während des Tauchens um mein Leben fürchten, wäre ich nicht entspannt.
  2. Die mentale Vorbereitung. Ich setze mich mit den Ängsten auseinander. Was ist Angst? Am Ende ist sie nur eine Geschichte, die man sich über die eigene Zukunft erzählt. Meist handelt sie vom Worst Case. Es geht nun darum, herauszufinden, was einem Angst macht – und was davon realistisch ist. Ist es der Hai, dem ich in der Tiefe begegnen kann? Wenn ich feststelle, okay, es gibt hier keine Raubfische, zumindest keine großen, dann relativiere ich die Angst.

Kai: Du zerlegst deine Ängste in so kleine Stücke, dass du mit ihr umgehen kannst?

Jennifer: Ja. Ich arbeite mit der Angst. Ich lasse sie zu, ich spüre sie, höre ihr zu und stelle mich.

Kai: Nun ist deine Arbeit mit der Angst sehr auf deinen Sport gemünzt. Nutzt du die Techniken auch in deinem Alltag – und welche Tipps würdest du den Leserinnen und Lesern geben?

Jennifer: Ich glaube, es würde jedem helfen, sich im Detail mit den eigenen Ängsten auseinanderzusetzen. Zum Beispiel über die Frage: Was ist im erdachten Worst Case Szenario der Zukunft wirklich realistisch? Wie schlimm kann es tatsächlich werden? Menschen sollten Ängste nicht einfach hinnehmen, sondern sie hinterfragen.

Kai: Was du schilderst, ist der Bestandteil von jahrelanger harter Arbeit an dir selbst. Nicht nur am Körper, sondern auch an der Persönlichkeit. Nun ist es so, dass die meisten Sportlerinnen und Sportler, die derart hart arbeiten, das immer aus ihrem eigenen Perfektionismus tun. Es ist nicht das Geld, nicht die Medaille, nicht der Ruhm, der entscheidend anspornt. Es ist das Streben nach einer Bestleistung. Was motiviert dich persönlich?

Jennifer: Es gibt auch extrinsische Ziele, die einen antreiben. Weltmeisterin werden, diesen sozialen Status erringen, das ist schon eine Motivation. Am Ende kommt man aber überhaupt nur in die Nähe eines solchen Ziels, wenn man an einer Sache Spaß hat. Würde ich beim Freitauchen nicht so viel intrinsische Freude empfinden, könnte ich nicht so viel investieren.

Kai: Wo wir bei Freude sind: Was ich bei deiner Vita faszinierend finde, ist, dass du vor deiner Karriere im Freitauchen Unterwasserrugby gespielt hast. Rugby kennen sicherlich die meisten. Wie läuft das aber unter der Wasseroberfläche ab?

Jennifer: Wir spielen sechs gegen sechs in vier Metern Tiefe auf dem Beckenboden. Wir tragen eine Schutzkappe für die Ohren, haben einen Schnorchel, und müssen möglichst lange die Luft anhalten. Das Ziel ist es, einen Ball in den gegnerischen Korb zu werfen. Dafür muss man auch einen Torwart überwinden, der den Korb bewacht, oft darauf liegt. Es ist ein sehr intensives Spiel, die Gegnerinnen wollen einem ständig den Ball entreißen. Will man punkten, muss man den Torwart aus dem Weg drängen. Einen anstrengenderen Sport habe ich noch nicht kennengelernt. Durch das Unterwasserrugby habe ich als junge Sportlerin gelernt, dass ich das Talent habe, lange mit wenig Sauerstoff auszukommen.

Kai: Auf welchem Niveau hast du gespielt?

Jennifer: Es gibt im Damenbereich nur eine richtige Liga, und das ist die Bundesliga. Dort sind wir mit Duisburg auch einmal deutscher Meister geworden.

Kai Tutschke neben Apnoetaucherin Jennifer Wendland
© Garmin

Kai: Toll. Vor allem, weil du deine sportliche Laufbahn neben einer Karriere im Beruf aufgebaut hast. Drei Monate im Jahr für deinen Sport reisen – und trotzdem alles miteinander vereinbaren. Das ringt mir Respekt ab. Mich interessiert, wie du das alles hinbekommst. Denn ich möchte Garmin-Mitarbeitende auch gerne bei Ihrer sportlichen Entwicklung unterstützen. Was ist dabei wichtig?

Jennifer: Zunächst: Ich arbeite in Teilzeit. Das aber nicht auf Tage oder Wochen ausgerichtet, sondern auf das gesamte Jahr. Ich kann im Winter, wenn ich in Deutschland bin, Vollzeit arbeiten. So schaffe ich mir den Freiraum, dass ich im Sommer ins Trainingslager fahren kann. Was hilft: Wir dürfen eine gewisse Anzahl von Tagen aus dem Ausland arbeiten. Das nutze ich immer, wenn es möglich ist, zum Beispiel in Griechenland. In anderen Regionen der Welt ist das Homeoffice keine Option, auch aufgrund der Zeitverschiebung. Mitten in der Nacht aufstehen, um an Meetings teilzunehmen, ist nicht so zielführend. Insgesamt bekomme ich Job und Sport gut vereint. Auch weil ich ein Team und Chefs habe, die wissen, was ich tue, die das respektieren und wertschätzen. Die sich für mich interessieren. Das ist vielleicht das Tollste, was Führungskräfte machen können. Bislang gab es keine Probleme zwischen Job und Sport.

Kai: Du sprichst es an: Du bist viel unterwegs. Verbringst viel Zeit mit dem Training. Worauf verzichtest du im Leben?

Jennifer: Im vergangenen Jahr auf zu viel Privatleben. Zwischen Mai und September habe ich meinen Mann drei Wochen gesehen. Insgesamt stecke ich das soziale Leben sehr zurück. Auch das Wochenende ist – wenn ich in Deutschland bin – nicht zum Feiern, sondern zum Trainieren da. In diesen Phasen erkennt man auch, wer wahre Freunde sind. Das sind diejenigen, die akzeptieren, was man im Leben leidenschaftlich gerne macht. Die Verständnis haben, dass man sich auch längere Zeit mal nicht persönlich treffen kann und trotzdem immer ein offenes Ohr haben, wenn es darauf ankommt.

Kai: Zum Abschluss: Gerade weil dein Sport so viel Raum in deinem Leben einnimmt. Wie lange kannst du das Freitauchen noch professionell betreiben?

Jennifer: Beim Freitauchen braucht es keine Sprintfähigkeiten, die eher jüngere Athletinnen und Athleten haben. Stattdessen ist die mentale Reife entscheidend. Da sehe ich das Alter eher als Vorteil. Die besten Sportlerinnen und Sportler sind beim Apnoetauchen zwischen 35 und 45 Jahre alt. Im Mastersbereich, der ab 50 Jahren beginnt, tauchen manche Siebzigjährige noch bis zu 80 Meter tief. Wer gesund und fit bleibt, immer mental an sich arbeitet, kann den Sport lange ausüben.

Kai: Jennifer, vielen Dank für das Interview.

Kai Tutschke

Über Kai Tutschke

Kai Tutschke ist als Geschäftsführer für Garmin in Deutschland, Österreich und in der Schweiz verantwortlich. In seiner Freizeit ist der 49-Jährige selbst sportlich aktiv – unter anderem als Läufer, Gravelbiker oder beim Surfen. In seiner #BeatYesterday-Kolumne spricht er regelmäßig mit Menschen, die ihn begeistern.

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