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Apnoetauchen: 100 Meter unter dem Meer

Jennifer Wendland taucht mit einem Atemzug minutenlang in die Tiefe. Ein atemberaubendes und entspannendes Wagnis. Wie die Weltmeisterin trainiert – und in welcher Lage niemand die Luft anhalten sollte.

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Jennifer Wendland besitzt einen langen Atem. Vor Zypern schraubte sie sich 2021 mit ihren Bifins, den Langflossen, 93 Meter in die Tiefe. Etwas mehr als drei Minuten blieb sie dafür unter Wasser – mit einem Atemzug. Der Weltrekord für die 36-Jährige.

jennifer Wendland
© Carina Wendland

Im Interview spricht Jennifer über ihr monatelanges Training – und warum sie die Bezeichnung Extremsport für das Apnoetauchen unpassend findet. Zudem erklärt sie, in welcher Lage niemand die Luft anhalten sollte.

Was ist Apnoetauchen?

Bei dieser Sportart dürfen die Aktiven nur einen Atemzug benutzen. Atemgeräte sind auf den Tauchgängen strengstens verboten. Der griechische Begriff „Apnoe“ bezeichnet übrigens den Zeitraum des Luftanhaltens.

#BeatYesterday.org: Jennifer, die meisten werden es schon mal probiert haben: die Luft anhalten. Wie lange hältst du durch?

Jennifer Wendland: Sieben Minuten schaffe ich schon.

#BeatYesterday.org: Wie bitte?!

Jennifer: In der sogenannten Statik – eine Ruheposition – ist das für trainierte Freitauchende sehr gut möglich. Sobald sich der Körper bewegt, halbiert sich jedoch die Zeit, in der man ohne frische Luft klarkommt auf drei bis dreieinhalb Minuten. Die Muskeln verbrauchen zu viel Sauerstoff.

#BeatYesterday.org: Wie wichtig ist es beim Luftanhalten, dass sich der Körper unter Wasser befindet?

Jennifer: Auch im Trockenen kann man die Luft lange anhalten. Im Wasser fällt das jedoch leichter. Das liegt am sogenannten Tauchreflex. Der Körper stellt dank ihm unter Wasser automatisch die Atmung ein. Zudem sinkt der Puls rascher ab. Das hilft beim Energiesparen.

Jennifer Wendland kurz vor dem Abtauchen
Jennifer Wendland ist vor dem Tauchgang tiefenentspannt. © Kalindi Wijsmuller

#BeatYesterday.org: Du bist Apnoetaucherin. Mit nur einem Atemzug erreichst du unglaubliche Tiefen. Wie bist du zu diesem Sport gekommen?

Jennifer: Ich habe das Wasser immer geliebt und bin als Kind viel geschwommen. Im Studium kam ich über Umwege zum Unterwasserrugby. Einen anstrengenderen Sport muss man erst mal finden. Am Beckengrund im Vollsprint einer anderen Spielerin den Ball rauben – da braucht es Durchhaltevermögen unter Wasser. Beim Unterwasserrugby merkte ich, dass ich das schon halbwegs habe.

#BeatYesterday.org: Du bist Weltmeisterin und Weltrekordhalterin im Apnoetauchen. Wie lange hast du für diese Erfolge trainiert?

Jennifer: Zunächst war ich kaum ambitioniert. Ich habe fünf, sechs Jahre vor mich hin getaucht. Ich fühlte mich im tiefen Wasser und inmitten der Strömungen lange sehr unwohl. Erst als ich diese Selbstauseinandersetzung meistern konnte, entfaltete ich mein Potenzial im Tiefentraining. Und dann war der Weg zur WM-Medaille gar nicht mehr so weit. 2017 gewann ich WM-Bronze im Tieftauchen ohne Flossen.

#BeatYesterday.org: Mehr als 400 Sekunden die Luft anhalten – das klingt trotzdem absurd. Ärztinnen und Ärzte warnen bereits bei drei bis vier Minuten vor langwierigen Schäden, weil das Gehirn unzureichend mit Sauerstoff versorgt wird.

Jennifer: Es gibt einen entscheidenden Unterschied. Während wir Freitauchenden die Luft anhalten, bleibt der Herz-Kreislauf intakt. Der Sauerstoff, der noch im Blut gelöst ist, gelangt weiter zum Hirn. So bleiben wir unter Wasser funktionsfähig. Richtig gefährlich wird es, wenn der Sauerstoffgehalt im Blut zu stark sinkt. Das kann zur Bewusstlosigkeit führen.

#BeatYesterday.org: Also ist das Freitauchen gar nicht „soooo“ bedrohlich.

Jennifer: Es gibt Sicherheitsregeln, die jeder Mensch einhalten muss. Die wichtigste lautet: Niemals alleine die Luft anhalten. Nicht auf dem Sofa, nicht in der Badewanne, auf keinen Fall im offenen Meer. Es sind schon Menschen in einem mit kaltem Wasser gefüllten Topf ertrunken, weil sie einen Blackout erlitten.

#BeatYesterday.org: Was ist ein Blackout?

Jennifer: Das ist der Moment, in dem das Gehirn unter dem Sauerstoffmangel richtig leidet. Der Körper weiß, dass etwas nicht stimmt. Er drückt sozusagen den Resetknopf, wird bewusstlos und spart maximal Sauerstoff. Wenn das im Wasser passiert und niemand hilft, ertrinken die Betroffenen.

#BeatYesterday.org: Was ist zu tun, wenn man jemandem in dieser Lage helfen möchte?

Jennifer: Die Atemwege sollten zunächst stabil über der Wasseroberfläche bleiben. Sobald die Atmung wieder einsetzt, soll der erste Atemzug mit Luft und nicht mit Wasser gefüllt sein. Wir pusten den Betroffenen auch leicht ins Gesicht, um den Atemreiz auszulösen. Wir stimulieren damit die Sinneszellen, die für die Atmung bedeutsam sind. Ansonsten kann es sein, dass der Körper weiterhin „denkt”, dass er sich unter Wasser befindet. Der Tauchreflex unterbindet dann immer noch die Atmung.

#BeatYesterday.org: Ein Blackout korreliert mit der Sauerstoffsättigung. Normalerweise liegt dieser Wert – den Smartwatches von Garmin anzeigen – bei mehr als 95 Prozent.

Jennifer: Untrainierten kann ab einem Wert unter 90 schwummerig werden. Das Risiko für einen Blackout steigt drastisch. Professionelle Freitauchende können dagegen einen Wert von 50 Prozent einigermaßen aushalten.

#BeatYesterday.org: Was bedeutet „einigermaßen aushalten”? Bei dieser Sauerstoffunterversorgung müsste der Geist normalerweise ermatten.

Jennifer: Es können Ausfallerscheinungen auftreten, die ein wichtiges Signal zum Auftauchen sind. Der berühmte Tunnelblick stellt sich ein, manche sehen nur noch schwarz-weiß. Andere spüren ein Kribbeln. Die Sauerstoffunterversorgung kann sich bei jedem anders äußern. Apnoetaucherinnen und -taucher trainieren das Wahrnehmen dieser Warnzeichen. Denn es kann über ihre Gesundheit entscheiden.

#BeatYesterday.org: Wie strukturierst du deine Trainingseinheiten?

Jennifer: Ich unterscheide zwischen der Vorbereitung auf das Tieftauchen und dem Tieftauchen selbst. Bevor es überhaupt ins Meer geht, steht ein sechsmonatiges Grundlagentraining an. Meist takte ich das von Oktober bis April ein. Die Einheiten beinhalten viel Zeit auf dem Rad, regelmäßiges Krafttraining, dazu Schwimmeinheiten. Meditationen genießen bei mir denselben Stellenwert wie die körperliche Arbeit. Auch Atemübungen sind selbstverständlich. Ich nutzte dabei sogenannte Atem-Tabellen. Durch sie simuliere ich eine Sauerstoffschuld oder zu hohe CO2-Werte. Mein Körper muss mit beidem zurechtkommen. Zudem übe ich feinste motorische Abläufe für den Druckausgleich des Mittelohrs.

Jennifer Wendland gleitet dem Meeresboden entgegen. © costas constantinou

#BeatYesterday.org: Warum ist der besonders wichtig?

Jennifer: Wenn mir der Druckausgleich nicht gelingt, reißt mir irgendwann das Trommelfell. An der Oberfläche kann man sich die Nase zuhalten und gegenpusten, in der Tiefe funktioniert der Vorgang nicht mehr. Ich kann weder ausatmen noch pusten. Ich muss so viel Luft wie möglich in meinen Backen speichern – wie ein Hamster – um damit den Druckausgleich im Mittelohr herzustellen. Die Zunge nutze ich wie einen Kolben, mit dem ich die Luft zum Mittelohr presse. Es sind zahlreiche Muskeln involviert und die Abläufe dementsprechend komplex.

#BeatYesterday.org: Welche Phase ist für einen langen Freitauchgang relevanter: Die über Wasser zum Luftholen oder das Herabsinken in den Fluten?

Jennifer: In der Tiefe braucht es maximale Konzentration. Es gibt sensible Momente, in denen man das Richtige tun muss. An der frischen Luft geht es eher um die maximale Entspannung. Ich beruhige durch Meditation den Puls, greife das Seil, an dem ich später herabtauchen werde. Ich checke die Lanyard, die mich sichert. Das gehört alles zu meiner Routine. Sie entscheidet über den Erfolg meines Vorhabens. Denn die Minuten vor einem Tauchgang bei der Weltmeisterschaft müssen die entspanntesten in meinem Leben sein. Bei Stress schüttet der Körper das Hormon Adrenalin aus. Das beschleunigt den Puls, die Muskeln verspannen. Der Sauerstoffverbrauch steigt. Deshalb ist das Apnoetauchen kein Extremsport im herkömmlichen Sinn. Es ist eher ein Hochleistungsentspannungssport.

#BeatYesterday.org: Wie sieht der letzte Atemzug vor dem Tauchgang aus?

Jennifer: Grundsätzlich atme ich entspannt in den Bauch hinein, so wie unmittelbar vor dem Einschlafen. Nur der letzte Atemzug ist tief, denn ich will möglichst viel Sauerstoff mitnehmen. Wer vor dem Tauchen zu häufig einatmet, der hyperventiliert. Das sollte man beim Freitauchen unbedingt vermeiden.

Mit jedem Meter dringt weniger Licht in die Tiefen des Ozeans vor. © Daan Verhoeven

#BeatYesterday.org: Warum?

Jennifer: Der Körper nimmt nicht mehr Sauerstoff zu sich, weil das Blut gesättigt ist. Er atmet dafür aber viel CO2 aus. Das ist für den Körper ungünstig. Er braucht die Kohlensäure, damit der Sauerstoff besser in die Zellen gelangen kann. Wenn der Körper zu viel CO2 vor dem Tauchgang verliert, ist dieser Prozess gestört. Außerdem setzt der Atemreiz dadurch verzögert ein. Dieser signalisiert jedoch zum Auftauchen. Fällt der Atemreiz weg, steigt die Gefahr, dass man diesen Prozess zu spät einleitet.

#BeatYesterday.org: Du tauchst bis zu 100 Meter tief. Wie ist es da unten?

Jennifer: Oft sehr dunkel, selten überraschend hell, wenn das Wasser klar wie in der Karibik ist. In Gewässern wie dem Mittelmeer kann sich die Temperatur in der Tiefe merklich abkühlen. Meist ist es ganz ruhig. Außer es ist ein Kreuzfahrtschiff in der Nähe. Das verursacht extremen Lärm.

#BeatYesterday.org: In dieser Tiefe lasten unzählige Tonnen Wasser auf deinem Körper. Wie macht sich die unwirtliche Umgebung physisch bemerkbar?

Jennifer: In den Gliedmaßen spürt man den Druck von 11 Bar nicht. Aber in der Lunge. In ihr wird die Luft extrem komprimiert. Bei gut trainierten Freitauchenden schrumpft das Organ auf Faustgröße. Deshalb müssen wir die Atemmuskulatur durch Dehnarbeit flexibel halten. Bei untrainierten Menschen würde es in der Tiefe zu einem Lungenriss kommen, weil ihnen die Flexibilität und Entspannung fehlt. Nicht umsonst waren mehr Astronautinnen und Astronauten im Weltall als Menschen ohne Atemgerät (und aus eigener Kraft) 100 Meter unter der Wasseroberfläche.

#BeatYesterday.org: Was dauert länger: Das Hinab- oder das Auftauchen?

Jennifer: Der Rückweg zur Oberfläche gelingt etwas schneller – ist aber auch anstrengender.

#BeatYesterday.org: Überraschend. Eigentlich könnte man erwarten, dass es andersrum ist. Dass du beim Auftauchen durch den Auftrieb des Wassers hochgezogen wirst.

Jennifer: Der Auftrieb des Wassers genügt ab circa 20 Metern Tiefe nicht mehr, um die Gravitation auszugleichen. Beim Abtauchen hilft mir genau dieser Umstand. Ich gleite ohne Kraftanstrengung sehr langsam dem Meeresgrund entgegen. Nach der Wende bedeutet das jedoch, dass ich mehr Kraft für das Auftauchen benötige. Die Gravitation hält mich gepackt, und ich muss dagegen anschwimmen.

#BeatYesterday.org: Sind beim Auftauchen keine Pausen für die Dekompression erforderlich?

Jennifer: Nein. Anders als beim Gerätetauchen benötigen wir keine Dekompressionsstopps. Dadurch, dass wir unter Wasser nicht atmen, nehmen wir keinen zusätzlichen Stickstoff auf, der die Dekompressionskrankheit auslösen kann.

Jennifer Wendland beim Auftauchen
Auch auf den letzten Metern muss Jennifer Wendland voll konzentriert bleiben. © Daan Verhoeven

#BeatYesterday.org: Trotzdem trägst du immer deinen Tauchcomputer von Garmin, der besonders wegen seiner Dekompressions-Funktionen beliebt ist. Warum?

Jennifer: Die Alarmfunktionen meiner Smartwatches sind für den Erfolg meiner Tauchgänge mitentscheidend. Ich plane jeden Meter auf dem Weg zum Meeresgrund. Und daher muss ich immer wissen, in welcher Phase ich mich befinde. Ich habe einen Alarm, der mir anzeigt, wann ich in den freien Fall übergehen kann. Bei 15, 23 und 30 Metern sind dagegen gewisse Manöver für den Druckausgleich in den Ohren notwendig. Die Uhr teilt mir die genauen Zeitpunkte mit. Ich nutze dafür den Descent MK2 von Garmin und den Descent G1 Solar. Nach den Tauchgängen selbst kann ich dank der gemessenen Daten jede Phase des Tauchgangs analysieren. So kann ich meine Trainings optimieren.

#BeatYesterday.org: Du bist Weltmeisterin. Weltrekordhalterin. Hast die 100-Meter-Marke erreicht. Woraus speist sich heute dein Ehrgeiz?

Jennifer: Wer zu sehr etwas schaffen will, wird das beim Apnoetauchen nie tun. Der Körper erreicht derart gestresst niemals den nötigen Entspannungslevel. Mir geht es mittlerweile eher um Perfektion als um weitere Titel. Ich will sehen, zu was ich fähig bin. Ich möchte auf jedem Meter die richtige Entscheidung treffen. Das tue ich ganz ohne Druck, sondern mit Spaß. Denn das habe ich beim Freitauchen gelernt: Die eigenen Emotionen erkennen, kontrollieren und für mich nutzen.

#BeatYesterday.org: Das klingt wichtig.

Jennifer: Tief im dunklen Ozean werden die dunklen Gedanken, die man oben an der Oberfläche hat, noch finsterer. Das Apnoetauchen zwingt einem zum Ausblenden und Abschalten. Ich bin durch meinen Sport tiefenentspannter geworden. Und das in jeder Lebenslage.

#BeatYesterday.org: Apnoetauchen als Therapie. Kann man das so sagen?

Jennifer: Es wird teilweise im therapeutischen Bereich eingesetzt. Zum Beispiel bei Menschen mit posttraumatischem Stress.

#BeatYesterday.org: Einige Leserinnen und Leser werden nach diesem Interview die Lust auf das – gemeinsame – Luftanhalten spüren. Wie schnell können Interessierte die Basics des Apnoetauchens lernen?

Jennifer: Wer gut schwimmen kann oder Yoga-Erfahrung hat, kann nach einem professionellen Trainingstag zwei bis vier Minuten in der Statik die Atmung pausieren. Interessierte müssen allerdings Ängste überwinden und verstehen, welche Vorgänge währenddessen im Körper ablaufen. Mitunter vergehen einige Jahre bis zum ersten tiefen Freitauchgang.

#BeatYesterday.org: Zum Abschluss: Wir haben die meiste Zeit über das Luftanhalten gesprochen. Wie schmeckt der erste Atemzug nach sieben Minuten?

Jennifer: Wenn ich nahe an meinen Grenzen getaucht bin, dann freue ich mich schon über den ersten Atemzug. Bis der Sauerstoff von der Lunge über das Herz im Hirn ankommt, vergehen jedoch bis zu 15 Sekunden. Meist kommt der Blackout genau in dieser Phase, sodass man auch nach dem ersten Atemzug noch sehr aufmerksam sein sollte. Der Freitauchgang ist für mich deshalb frühestens 30 Sekunden nach dem ersten Luftholen vorbei.

Jennifer Wendland nach ihrem Tauchgang an der Wasseroberfläche
Pure Erleichterung und endlich frische Luft. Jennifer Wendland genießt das Auftauchen. © Costas Constatinou

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23.10.2020

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