Active

Anne Haug: Wie aus dem Scheitern große Erfolge wachsen

Anne Haug ist eine der besten Triathletinnen der Welt. Vielleicht, weil sie in ihrer Karriere gescheitert ist. Ein inspirierendes Interview mit einer Ausnahmeathletin.

Teilen
0

Zweimal bei Olympia, zahlreiche Weltcupsiege, auf der Langdistanz vielleicht die beste deutsche Triathletin aller Zeiten. Anne Haugs Karriere gleicht einem Erfolgsbilderbuch. Doch das war nicht immer so.

Vor den großen Erfolgen säumten Niederlagen die Wegstrecke der 40-Jährigen. Wie sie diese für ein starkes Mindset nutzte und mit welchem Willen sie der voreiligen Genugtuung im Leben vorbeugt, erklärt sie im Interview mit Kai Tutschke.

Kai Tutschke

Über Kai Tutschke

Kai Tutschke ist als Geschäftsführer für Garmin in Deutschland, Österreich und in der Schweiz verantwortlich. In seiner Freizeit ist der 49-Jährige selbst sportlich aktiv – unter anderem als Läufer, Gravelbiker oder beim Surfen. In seiner #BeatYesterday-Kolumne spricht er regelmäßig mit Menschen, die ihn begeistern.

Kai Tutschke: Anne, du hast mal gesagt: „Es ist erstaunlich zu sehen, was alles möglich ist. Die meisten Menschen haben kein Vertrauen in ihren Körper oder glauben nicht, dass sie so gut sein können. Sie erlauben sich keine Träume. Man sollte keine Angst vor dem Scheitern haben. Denn wenn man sich vor dem Scheitern fürchtet, fängt man gar nicht an. Und das ist der größte Fehler.“ Wann hat sich bei dir der Traum entwickelt, dass du Profisportlerin werden möchtest?

Anne Haug: Ich habe gar nicht diese klassische Leistungssportkarriere hingelegt, bei der früh klar ist, dass es irgendwo hingehen kann. Ich komme aus einer sportlichen Familie. Mein Papa war Sportlehrer und wir durften immer alle Sportarten ausprobieren. Schon mit zwei Jahren habe ich Skifahren gelernt. Ehrlicherweise wurde ich immer relativ schnell in etwas gut. Jedes Mal, wenn das der Fall war, hat mein Papa mir eine andere Sportart nahegelegt. Irgendwann hatte ich einen Freund, der Triathlon gemacht hat. Das fand ich richtig stark, ich wollte das auch– gäbe es da nicht ein existenzielles Problem.

Kai Tutschke: Was genau meinst du?

Anne Haug: Das Schwimmen war gar nicht meins. Ich habe überhaupt keine Lust auf Wasser. Ich war immer die, die am Badesee draußen stand. Das Schwimmen war der erste Sport, an dem ich mir die Zähne ausbeißen musste. Ich wollte mir aber beweisen, dass ich – obwohl ich überhaupt kein Talent besaß – alles mit Willenskraft und Fleiß erreichen kann.

Kai Tutschke: Abseits davon, dass du dich im Wasser durchbeißen wolltest: Was waren deine Ziele in diesem Sport?

Anne Haug: Ich wollte in die zweite Bundesliga kommen. Dann habe ich meinen jetzigen Trainer Dan Lorang im Studium kennengelernt. Mit ihm ging es steil nach oben. Als ich es in den Weltcup geschafft hatte, haben zum ersten Mal die Gedankenspiele begonnen. Wenn ich das mit dem Schwimmen auf der Kurzdistanz gebacken bekomme, dann muss Olympia kein Traum bleiben.

Kai Tutschke: Warum gerade Olympia?

Anne Haug: Ich habe als Kind immer die Olympischen Spiele angeschaut und es geliebt. Dass ich jemals dabei sein könnte? Nie im Leben! Doch dann hörte ich eine kleine Stimme in mir, die gesagt hat: Wenn ich das mit dem Schwimmen packe, dann kann ich das schaffen. Ich habe groß geträumt, alles auf eine Karte gesetzt und bin für das Training mit einem One-Way Ticket nach Australien gegangen.

Kai Tutschke: Träume setzen viel Kraft frei und lassen einen hart arbeiten. Irgendwann stellen sich fast zwangsläufig Erfolge ein. In deinem besonderen Fall 2019 auf Hawaii mit dem Weltmeistertitel auf der Langdistanz. Für viele wäre das das krönende Ende einer erfolgreichen, aber auch harten Karriere gewesen. Nicht für dich. Warum?

Anne Haug: Man meint immer, das mit einem erfüllten Ziel die Genugtuung eintritt. Ich habe früher gedacht, dass sich dieses Gefühl bei mir einstellt, wenn ich es in den Weltcup schaffe. Dort angekommen habe ich gemerkt: Das ist gar nicht so. Diese Zufriedenheit kam einfach nicht – auch nicht nach Hawaii.

Anne Haug läuft durch das Ziel beim Challenge Roth
© Challenge Roth

Kai Tutschke: Was ist die Quelle deiner Motivation?

Anne Haug: Ich will jeden Tag besser werden. Herausfinden, welche Leistungsfähigkeit in mir steckt. Und das völlig unabhängig von Wettkampfplatzierungen. Wenn man sich nur extrinsische Ziele setzt, dann wird man enttäuscht.

Kai Tutschke: Warum sind intrinsische Vorhaben für dich so wichtig?

Anne Haug: Weil ich nicht beeinflussen kann, ob ich gewinne oder noch mal Weltmeisterin werde. Aber ich kann selbstbestimmt meine eigene Performance steigern. Ich bin neugierig, wie weit ich es treiben kann. Solange diese kleine Stimme in mir sagt, dass ich noch höher, schneller und weiter kann, bleibe ich motiviert. Wenn ich merke, dass ich meinen Erwartungen nicht mehr gerecht werde, wäre das für mich ein Grund aufzuhören.

Kai Tutschke: Den Ironman in Hawaii hast du mit 36 gewonnen. Warum so spät?

Anne Haug: Das lag tatsächlich daran, dass ich die ersten acht Jahre meiner Karriere von Olympia träumte. Ich war auf die Kurzdistanz fokussiert. Hätte mir nie vorstellen können, dass ich mal auf die Langdistanz gehe. Das können viele Menschen nicht nachvollziehen. Fragt man in der Bevölkerung nach, verbinden die meisten Triathlon mit dem Ironman auf Hawaii. Aber ich habe dieses Faible für die Kurzdistanz. Da ist die Konkurrenz viel höher, das ist Frau gegen Frau. Mehr Geschwindigkeit. Und eben dieses vermeintlich unerreichbare Ziel der Olympischen Spiele. Das ist das Größte, was man als Athletin oder Athlet erreichen kann. Ich wusste, dass ich auf der Langdistanz erfolgreicher sein könnte. Aber darum ging es mir nicht. Ich hatte dieses Ziel und mir war es egal, auf wie viele andere Titel ich dafür verzichte.

Kai Tutschke: Wenn der Ironman 2019 die Spitze gewesen ist: Was war der Tiefpunkt?

Anne Haug: Das waren die Olympischen Spiele in Rio, 2016. Ich war vier Jahre zuvor schon völlig überraschend in London dabei und bin danach auf der Erfolgswelle geschwommen. Ich bin Zweite und Dritte bei der Weltmeisterschaft geworden. Natürlich erwarten dann viele, dass ich in Rio diese Medaille hole. Wir waren dafür gut vorbereitet, hatten aus den Erfahrungen von London gelernt und einen Plan entwickelt. Dieser ist wenige Wochen vor den Spielen in sich zusammengefallen. Dadurch war der Kopf nicht mehr da, es fehlten die entscheidenden Prozente.

Kai Tutschke: Bei Olympia sagt man, dass das „Dabei sein“ schon alles wäre.

Anne Haug: So romantisch ist es nicht. Es geht schließlich um Gelder. Das ist knallhart. Wenn du keine Medaille geholt hast, wirst du runtergestuft. Du bekommst zum Beispiel keine Trainingslager mehr bezahlt. Ich wurde aus der Nationalmannschaft und der Bundeswehr geschmissen. Das war der Tiefpunkt meiner Karriere.

Kai Tutschke: Das war aber auch der Moment, der dich von der Langdistanz überzeugt hat. Und vieles erst möglich machte. Wie lief der Prozess des Umdenkens?

Anne Haug: Das war ein ganz schlimmer Kampf mit mir selbst. Ich wollte mir das erst nicht erlauben. Das eigentliche Ziel war die olympische Medaille. Andererseits habe ich nicht mehr daran geglaubt. Die Konkurrentinnen schwammen immer schneller. Ich sah keine Möglichkeit mitzuhalten. Das zu akzeptieren, war schwer. Aber man muss auf die innere Stimme hören, sonst läuft man ins Verderben. Auf der Langdistanz konnte ich noch mal bei null beginnen.

Kai Tutschke: Tun die Erfahrungen von damals weh?

Anne Haug: Nach all den Jahren habe ich Frieden damit geschlossen. Alles hat seinen Sinn im Leben. Jetzt bin ich auf der Langdistanz sehr erfolgreich. Ich würde aber alles noch mal genauso machen. Der harte Weg gibt mir die Kraft für die Ironmans. Ich bereue nichts!

Kai Tutschke: Zu einem ganz anderen Thema: Es gibt einen Film, der dich als Triathletin porträtiert. Beyond Human. Der beginnt mit dem Klingeln deines Weckers. Wie früh ist es da?

Anne Haug: 06:04 Uhr. Um sechs ist das Aufstehen schlimm, alles danach geht wieder. Es ist ein mentaler Trick.

Kai Tutschke: Wie wichtig ist das Mentale für dich als Triathletin?

Anne Haug: Auf der Kurzdistanz sag ich immer: 90 % ist die körperliche Fitness und 10 % der Kopf. Auf der Langdistanz ist es 50/50. Nach 180 Kilometern Radfahren noch einen Marathon zu laufen, wird im Kopf entschieden und nicht in den Beinen. In der Weltspitze sind wir auf so einem hohen Niveau, das alle gewinnen könnten. Da spielt der Kopf eine entscheidende Rolle. Darum arbeite ich viel mit Sätzen und Visualisierungen. Mohammed Ali hat mal gesagt: „Wenn dein Verstand es sich vorstellen kann und dein Herz daran glaubt, dann kannst du es auch erreichen.“ Diese Einstellung teile ich. Wenn du dein Ziel täglich visualisierst, dann kannst du es auch erreichen. So habe ich das vor dem Hawaii-Sieg gemacht.

Kai Tutschke: Wie darf man sich das Visualisieren vorstellen?

Anne Haug: Ich war das Jahr davor schon da, bin Dritte geworden und wusste genau, wie die Strecken verlaufen. Jeden Abend, wenn ich ins Bett gegangen bin, habe ich mir vorgestellt, wie ich den Alii Drive entlanglaufe und am Ende das Zielbanner hochhalte.

Kai Tutschke: Das richtige Mindset kann wahnsinnig viel bewegen. Manche Sportlerinnen oder auch Sportler setzen auch bei Verletzungen auf die Kraft der Gedanken.

Anne Haug: Sie können Selbstheilungskräfte anregen, den Herzschlag beeinflussen, das vegetative Nervensystem stimulieren. Ich sehe da viel Potenzial.

Kai Tutschke: Konntest du schon mal Heilungsprozesse über deine mentale Stärke beschleunigen?

Anne Haug: Das ist eine gute Frage! Ich hatte dreimal einen Ermüdungsbruch in der Hüfte. Mir wurde gesagt, dass ich eine künstliche Hüfte brauche, wenn ich sie noch mal ohne Krücken belaste. Das hat mich beim ersten Bruch verängstigt. Aber beim zweiten und dritten Mal hatte ich rasch das Gefühl, dass alles wieder verheilt, wenn ich wirklich daran glaube. Das Karriereende war keine Option.

Kai Tutschke: Das Mindset ist klar. Aber was bedeutete die Verletzung für deinen Trainingsalltag?

Anne Haug: Ich musste von vorn anfangen. Ein halbes Jahr mit dem Handbike. Eine Minute gehen, dann die nächste stehen. Wenn die Ziele klar sind und der Wille da ist, lassen sich solche Phasen überstehen.

Kai Tutschke: Macht der Wille am Ende den größten Unterschied zwischen sehr erfolgreichen und etwas weniger erfolgreichen Menschen?

Anne Haug: Ich denke, zu viele sehen eher die Hürden als die Chancen.

Kai Tutschke: Hast du dafür ein persönliches Beispiel?

Anne Haug: Meine damalige Corona-Erkrankung hat meine Bauchspeicheldrüse und Leber angegriffen. Dadurch ist mein Langzeitzucker viel zu hoch. Das ist normalerweise ein Leistungssport-Killer. Denn im Wettkampf kann ich nicht ausreichend Energie aufnehmen. Ich esse zwar während des Rennens, aber der Zucker kommt nicht mehr so schnell wie früher in meinen Zellen an. Für mich war aber auch das am Ende eine Challenge: Jeden Stein umdrehen und rausfinden, wie ich damit leben kann. Es muss eine Möglichkeit geben.

Anne Haug
© Garmin

Kai Tutschke: Manche Menschen haben Angst, sich diesen Herausforderungen zu stellen.

Anne Haug: Wenn man gewisse Ziele hat, muss man die nötigen Risiken eingehen. Das birgt die Gefahr des Scheiterns.

Kai Tutschke: Wie gehst du damit um?

Anne Haug: Ich weiß, dass ich nur außerhalb meiner Komfortzone besser werde. Im Rennen muss ich daher etwas tun, dass auch schiefgehen kann. Manchmal ertappe ich mich selbst und merke, wie mich diese Angst vor dem Versagen auffrisst. Besonders wenn von außen so viel Druck kommt. Das war vor Kurzem beim Challenge Roth der Fall. Alle erwarten, dass man gewinnt, und am Ende versagt man vermeintlich um 12 Minuten.

Kai Tutschke: Hat dich der zweite Platz geärgert?

Anne Haug: Ich habe an diesem Tag alles abgerufen, eine Bestzeit aufgestellt. Aber eine andere Athletin war besser und daher muss ich mir nichts vorwerfen. Daniela Ryf war nicht zu schlagen.

Kai Tutschke: Hast du generell einen Tipp, mit denen Menschen das Verlieren besser annehmen können – und etwas Positives daraus machen können?

Anne Haug: Auch ich sage mir: Wenn man es immer und immer wieder probiert, wird es irgendwann auch klappen. Ich hatte damals eine Krise auf der Kurzdistanz, bin jedes Mal am Schwimmen gescheitert. Da bin ich zu einer Sportpsychologin gegangen. Die hat mir eine Karte gegeben, auf der stand: „Ein Gewinner ist nur ein Verlierer, der es einmal mehr versucht hat“. Genau so ist es. Niederlagen gehören dazu. Es gibt keine Karriere ohne Rückschläge. Sonst sieht man auch keinen Grund sich zu verbessern.

Kai Tutschke: Wie machst du nach einem nicht optimalen Ergebnis wie in Roth weiter?

Anne Haug: Ich nehme als Motivation mit, dass ich mich weiter verbessern kann. Der zweite Platz war das Beste, was ich an diesem Tag erreichen konnte. Klar, das Laufen fuchst mich, aber das war ein Energieproblem.

Kai Tutschke: Kannst du abschließend in einem Satz sagen, warum du – auch nach vermeintlichen Misserfolgen – jeden Morgen um 6:04 Uhr aufstehst?

Anne Haug: Ich liebe das Training. Ich trainiere nicht, weil ich Wettkämpfe so geil finde. Ich liebe das Arbeiten an mir selbst. Das ist das, was mich jeden Tag so früh raustreibt. Ich muss um sieben im Becken sein, obwohl ich das Schwimmen nicht mag. Aber gerade diese Hassliebe treibt mich an.

Was dich sonst noch vorwärts bringt

Optimiere dein Training und hole das Beste aus dir heraus.

Ob Ironman, Marathon, 5 Kilometer joggen oder einfach nur ballern – die Uhren der Forerunner-Serie unterstützen dich dabei, deine Ziele zu erreichen. Kontrolliere dein Tempo mit der Pace. Optimiere dein Training gezielt und behalte deine Fitness immer im Blick.

Entdecke die Forerunner-Serie

Meinungen

Diskutiere über diesen Artikel und schreibe den ersten Kommentar:

Jetzt mitdiskutieren
Keine Kommentare

Diskutiere über diesen Artikel