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Benedikt Doll: Die Zeit meines Lebens

Ein Jahr harte Arbeit für einen Saisonhöhepunkt – Biathlet Benedikt Doll investiert alles für seinen Sport. Wie er sich motiviert und wie ihn der Biathlonsport berauscht: ein Gastbeitrag.

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1. Ein nicht abschwellendes Runners High

Am schönsten war das Warten. Ein kalter, himmelbauer Februartag in Tirol. Ich stand im Zielbereich von Hochfilzen, dem Austragungsort der Biathlon-Weltmeisterschaft 2017.

Ich war soeben ein perfektes Sprint-Rennen über zehn Kilometer gelaufen. Kein Schießfehler, kein vergeudeter Meter in der Strafrunde. Ich war über die Anstiege geflogen und die Abfahrten hinab gerast. Ich war eins geworden mit meinen Ski und der Loipe.

Mein Brustkorb bebte im Auslauf der Zielgeraden. Meine Lunge hastete nach Luft. Diese Erschöpfung wich rasch einer positiven Aufregung. Ich war schneller als die 81 Läufer vor mir. Und nur noch 20 andere Athleten jagten auf der Strecke nach der Bestzeit. Meiner Bestzeit! Mein Kopf, wieder wach, verstand: eine Medaille ist wahrscheinlich. Es gibt sogar eine Chance auf Gold, auf den Weltmeistertitel. Bei dieser Vorfreude möchte ich am liebsten die Zeit umklammern. Das in Hochfilzen war ein ausdauerndes Runners High.

2. Am Anfang steht die Qual

Mit dem Biathlonsport verdiene ich meinen Lebensunterhalt. Davon hatte ich als Jugendlicher geträumt. Das zu machen, was mir Spaß macht. Jeden Tag Bewegung, Natur und Wettkampf. Ich lebe nicht nur meinen Traum. Ich lebe den von vielen talentierten Sportlern.

Trotzdem kostet dieser Beruf im Sommer sehr viel Leidenschaft, Kraft und Motivation. Alle zwei Wochen trainiere ich vierzehn Tage alleine im Schwarzwald. Mindestens zwei Einheiten pro Tag. Mindestens 23 Stunden in der Woche – nur für das Ausdauertraining.

Ich stehe auf Rollerskiern, ich jogge im Gelände, ich fahre Rennrad und Mountainbike. Alles sowohl extensiv als auch intensiv. Ausreden gibt es nicht.

Zum Ende der Trainingswoche ist es ein Kampf gegen den inneren Schweinehund. Die Muskeln brennen. Die Knochen wiegen schwer. In meinem Kopf gären manchmal Müdigkeit und Zweifel. Mir fehlen die Kollegen, der Zusammenhalt und das gemeinsame Wetteifern. Ich vermisse die Loipe und den Schnee. In diesen Situationen frage ich mich: „Warum tue ich das eigentlich?”

Wegen der wahnsinnigen Gefühle, die mir der Biathlonsport schenkt!

Es berauscht mich jedes Mal, wenn ich an den Schießstand gleite. Nur ich, mein Gewehr und die Scheiben. In diesen Momenten kämpfe ich nicht gegen andere, sondern nur gegen mich selbst und die Witterung. Voller Fokus.

Wenn sich die schwarzen Ziele weiß färben, jeder Schuss trifft, dann schüttet der Körper in diesem Augenblick der Erleichterung unglaublich viel Adrenalin und jede Menge Glückshormone aus. Der Körper wird von einer neuen Energie getragen.

Ich fühle mich beinahe schwerelos. Dieses Gefühl kann süchtig machen. Gerade am Ende eines Rennens, wenn ich weiß, dass es um Siege oder Podestplätze geht. Die einen biegen in die Strafrunde, und du selbst hetzt Richtung Ziel. Ab diesem Moment pumpt mein Herz die letzten zwei, drei Kilometer auf Maximalpuls. 174 Schläge die Minute.

Benedikt Doll visiert beim Schießen die Zielscheibe an
Voller Fokus: Benedikt Doll visiert die Scheiben an. © NordicFocus

3. Wenn die Pulskontrolle über Siege entscheidet

In all den Jahren haben sich die meisten Abläufe vor dem Schießen automatisiert. Schon beim Gleiten zur Schießmatte kontrolliere ich die Windfähnchen und bereite mich auf die Bedingungen vor.

Das Abnehmen und Laden der Waffe. Das Ansetzen und Fixieren. Das kontrollierte Atmen, um Puls und Körper zu beruhigen, damit die Hände nicht zu sehr zittern. All das geschieht unterbewusst.

Doch kein Training der Welt kann dich auf ein turbulentes Schießen im Rennen vorbereiten. Dabei versuchen wir Biathleten vieles, um etwaige Unwägbarkeiten zu simulieren. Im Training erzeugen wir künstlichen Stress. Wir schießen beispielsweise in besonders schmalen Zeitintervallen.

Aber egal, wie wir uns mühen: Der Nervenkitzel eines Wettkampfs bleibt untrainierbar. Spätestens, wenn Windböen an der Waffe reißen oder sich Schneeflocken auf das Visier legen, steht man da, ein bisschen aufgeschmissen und allein mit der Welt. So wie im schwedischen Östersund bei der WM im vergangenen Jahr, als der plötzlich los peitschende Wind die Medaillenentscheidung in eine Lotterie verwandelte. Und ich kein Sieger dieses Glücksspiels sein sollte.

Ich habe daraus gelernt. Mit den Jahren bin ich kein besserer und sicherer Schütze geworden, sondern ein erfahrener. Ich weiß mittlerweile, dass es häufig mehr Zeit kostet, alle fünf Scheiben erkämpfen zu wollen, als einen Fehler hinzunehmen. Mit jedem Rennen werde ich schlauer und kann schnellere Entscheidungen treffen. Im Biathlon entscheiden manchmal die Sekunden des Zögerns über den Ausgang eines Rennens.

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4. Ernährung für Körper und Geist

Bei all der physischen und psychischen Kraft, die eine Biathlon-Saison verschlingt, ist eine Sache besonders wichtig: regelmäßige Belohnungen. So etwas wie Wanderungen oder Radtouren in meiner Heimat, im Schwarzwald, ganz ohne Leistungsdruck. Oder die Tage in der Hochschule, dort, wo ich nicht der Biathlet Benedikt Doll bin, sondern einfach nur Benni.

Und ich esse wahnsinnig gern. Im Nationalteam bin ich der Manager für Kaffee und Kuchen. Es gibt für mich kein wichtigeres Ritual. Wenn wir in Trainingscamps weilen, auf Lehrgängen sind oder Wettkampforte bereisen, recherchiere ich für das Team die besten Lokale.

Viele glauben, dass das Leben eines Leistungssportlers zwangsläufig mit kulinarischen Entbehrungen einhergeht. Das stimmt, aber nur vor den Rennen. Da essen wir vor allem schnell verdauliche Kohlenhydrate wie Kartoffeln und Nudeln, leichte Soßen, etwas Fleisch und wenig Fett. Ansonsten sind wir Sportler fast immer in guten Hotels untergebracht mit tollem Essen. Das weiß ich als Privileg zu schätzen.

Ich will meinem Körper alles anbieten und halte wenig von eintöniger Ernährung. Ich esse ausgewogen, achte auf die natürliche Aufnahme von Mikro- und Makronährstoffen. Nahrungsergänzungsmittel vermeide ich bis auf wenige Ausnahmen wie Proteinshakes direkt nach dem Rennen. Gemeinsam mit meinem Vater, ein fitter Sportler und Koch, betreibe ich einen Foodblog und habe ein Kochbuch geschrieben.

„Dolls Küche” heißt der Food Blog von Benedikt Doll und seinem Vater Charly. Das Vater-Sohn-Gespann bringt regionale und leistungsorientierte Schwarzwaldküche auf den Tisch. Lecker und gesund soll es sein. Gemeinsam schrieben sie auch ein Kochbuch. „Doll´s Schwarzwaldlust” ist hier erhältlich.

Buchcover “Doll´s Schwarzwaldlust”
Benedikt Doll beim Skilanglauf
Ski an Ski: Der Biathlonsport fesselt Millionen TV-Zuschauer. © NordicFocus

5. Die finalen Sekunden von Hochfilzen

Als Biathlet lebe und trainiere ich fast das komplette Jahr für Weltmeisterschaften oder Olympische Spiele. Tausende Stunden Training, Reisen, Ernährung und Materialpflege für einen Saisonhöhepunkt am absoluten Limit meiner Leistungsfähigkeit. Bei diesem enormen Aufwand sind die Marginalitäten, die über Siege und Niederlagen entscheiden, beeindruckend und gleichzeitig beängstigend.

In Hochfilzen betrug die Schwelle zwischen dem Weltmeistertitel und der Silbermedaille nur 0,7 Sekunden.

Wie wenig Zeit das ist? Das Zielen und Abgeben eines Schusses dauert pro Scheibe etwa drei Sekunden, wenn wir rasch schießen. Ein einziger Strauchler beim Skilanglauf kostet ähnlich viel Zeit. Zwischen dem Norweger Johannes Thingnes Bø und mir lagen am Ende nur Winzigkeiten, die wir mit dem Auge gar nicht erfassen können. Bø gewann Silber. Ich wurde Weltmeister.

Damals in der Februarsonne hatte ich also auf einen der größten Erfolge meines Lebens gewartet. Das war die Belohnung für Zehntausende Trainingsstunden. Dieser Moment wird mich noch viele Jahre motivieren.

 

protokolliert von Hannes Hilbrecht.

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