Running

Transalpine Run: Nach jeder langen Nacht ein neuer Morgen

Sein erstes Etappenrennen. Mitten über die Alpen. Mehr als 200 Kilometer Achterbahn. Birger Bösel wagte die große Challenge – und lernte fürs Leben.

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Birger Bösel, Wirtschaftsinformatiker, 48, wirkt oberflächlich wie ein unscheinbarer Mensch. Das Haar etwas grau, der Körper drahtig, straffe Waden. Ein Durchschnittsläufer, könnte man meinen. Jemand, der ein paarmal die Woche sieben, acht Kilometer durch den Park oder über eine Promenade joggt. Wer so denkt, unterschätzt Birger genauso wie früher die Lehrer im Sportunterricht. Dort schnitt der heutige IT-Unternehmer immer mit einer Drei ab. Damals Bankdrücker. Heute Sportskanone. So läuft es, wenn man dem #BeatYesterday-Mantra folgt.

Mittlerweile hat Birger zahlreiche Marathons in den Beinen. Dazu kommen einige Ultras. Birger, so sagt er es selbst, läuft nicht nur mit den Füßen. Auch der Kopf rennt mit. Der war erst kürzlich verdammt wichtig. Denn Birger wagte den Transalpine Run. 266 Kilometer über die Alpen. Ein Berg-und-Tal-Lauf. Eine Achterbahn. Und das nicht nur geografisch.

Auf seinem sportlichen wie mentalen Ritt durch Österreich, die Schweiz und Italien lernte Birger viel über Etappenrennen und Bergläufe. Und nebenbei verstand er, was mit Teamwork alles gelingen kann. Sieben Erfahrungsberichte.

Die Ruhe vor dem Sturm: Am Start ballte sich die Aufregung – auch bei Birger (l.) und Frederic. © Garmin

1. Hirschegg – Lech am Arlberg (31,7 Kilometer): Hilfreiche Nervosität

Birger Bösel: Ich bin ein erfahrener Läufer. Bei 44 Rennen über die Marathon-Distanz (und länger) konnte ich das Ziel erreichen. Seit dem Jahr 2017 laufe ich regelmäßig Ultra. Auch 100 Kilometer und mehr. Mit dem Rennen in den Bergen bin ich vertraut. Erst im Juni wagte ich den Lavaredo Ultra Trail. Eine Strecke, die sich auf 120 Kilometern durch die schroffen Dolomiten Italiens windet. Den Run hab ich geschafft. Das aber mit einem Kollateralschaden.

Während der Langstrecke hatte ich mir früh eine Blase an der Fußsohle gelaufen. Eine fiese Stelle. Ich ignorierte den Schmerz. Was tapfer klingt, war rückblickend blöd. Durch das Laufen in Schonhaltung überlastete ich meine Muskulatur im Bein. Ich kam ins Ziel. Doch bezahlte dafür mit einer beinahe dreimonatigen Pause. Und das unmittelbar vor meinem Jahreshöhepunkt. Dem Transalpine Run.

Schon auf der Fahrt von Schwerin nach Österreich, 916 Kilometer, grummelte die Unsicherheit in meinem Magen. Würde ich das Rennen überhaupt durchstehen können? Was, wenn der Schmerz wieder aufbricht und nicht mehr fortgehen mag?

Dazu war der Transalpine eine mir völlig unbekannte Herausforderung. Noch nie war ich so ein Etappenrennen gelaufen. Über 100 Kilometer am Stück? Okay. Aber mehrere Marathondistanzen hintereinander? In den Alpen?

Dann der Start. Ein Gewusel aus enthusiastischen Teilnehmenden. Ich atmete durch. Alles kribbelte. So aufgeregt war ich lange nicht mehr. Und genau das half mir: Ich hörte in meinen Körper hinein. Ich war konzentriert. Meine Sinne schärften sich. Die aufkeimende Nervosität, die vor so einem Event völlig normal ist, war aber nicht lästig. Sie half mir.

Morgenroutine mit unerwartetem Besuch. Die Flachland-Tiroler zogen auch das Interesse eines Filmteams an. © Garmin

2. Lech am Arlberg – St. Anton am Arlberg (28,7 Kilometer): Entscheidende Routinen

Birger: Wenn ich in meiner Schweriner Heimat laufe, muss ich die Höhenmeter suchen. Sie verstecken sich auf Wiesen und in Wäldern. Auf normalen Runden kommen kaum welche zusammen. In den Alpen war es dagegen wie auf einer Achterbahn. Hoch und runter. Die ganze Zeit. Nur die Loopings fehlten.

Das Terrain war aber nicht die einzige Schwierigkeit. Ich tat mich schwer damit, meine Routinen zu finden. Wir schliefen zu dritt in einem Van. Das ist Gewöhnungssache. Meist lag ich schon abends um neun in der Koje. Nicht meine Zeit. Normalerweise beginnt dann, wenn der Nachwuchs im Bett ist, das bisschen Freiheit im Alltag.

Morgens früh aufstehen, meist kurz vor oder nach sechs. Kaffeekochen mit dem Gasbrenner auf dem Stellplatz. Kein Sofa, kein bequemer Stuhl, sondern Campinghocker in der Morgenkühle. Erholung geht anders.

Das Finden von (funktionierenden) Routinen war für mich beim Transalpine Run essenziell. Wiederkehrende Abläufe helfen beim Eingewöhnen. Vor dem Schlafengehen sortierten wir stets die Sachen für den nächsten Tag. Den Rucksack packen. Das sparte am Morgen wertvolle Minuten. Nach dem Rennen? Kurzer Mittagsschlaf. Dann mit schläfrigen Augen zur Pastaparty. Kohlenhydrate tanken. Vor dem Einpennen, wenn das möglich war, Social Media und Kontakt mit dem Zuhause. Es ging irgendwie.

Wer nicht nur die Distanz packen will, sondern sportlich ambitioniert läuft, sollte daher in die Infrastruktur investieren. Also Hotels in der Nähe der Zielorte buchen. Komfort macht am Ende vielleicht den Unterschied zwischen einem guten oder aber sehr guten Tag.

3. St. Anton am Arlberg – Galtür (34 Kilometer): Herausfordernde Belohnungen

Birger: Ich dachte, ich kenne alles, ich hätte alles gesehen. Dann kam der Transalpine Run.

Wir mussten in unseren Laufschuhen durch Schneefelder waten, die sich auf der schattigen Nordseite in einigen Scharten gebildet hatten. Dazu – wie bereits angesprochen – die Höhenmeter. Zum Vergleich: Der Zugspitz Ultratrail, bei dem sich die Strecke um den höchsten deutschen Berg schlängelt, geht es auf 100 Kilometern Gesamtstrecke etwa 5.000 Meter nach oben. Das ist viel. Beim Transalpine waren es – umgerechnet – noch viel mehr Höhenmeter auf dieselbe Distanz. Flache Abschnitte zum Erholen gab es selten. Es war alpiner als erwartet. Wir mussten klettern. Richtig klettern.

Auf der dritten Etappe war beispielsweise ein Steig vorbereitet. Der war mit Seilen gesichert, es war kein Free Solo. Wir mussten uns horizontal durch die Wand hangeln. Währenddessen galt ein striktes Überholverbot. Akkurate Sicherheitsvorkehrungen. Dennoch schwankte mein Blick beim Klettern immer wieder in die Tiefe. Mit meinen Kindern wäre ich an dieser Stelle ausgestiegen. Nie im Leben. Zu riskant. In der aktuellen Situation war Kneifen aber keine Option. Ich musste mir etwas zutrauen.

Und das klappte. Konzentriert wand ich mich mithilfe der Seile durch die Herausforderung. Der Berg hatte mich erst mental gefordert – und dann mit Glücksgefühlen überschwemmt.

Auf der vierten Etappe quälte sich Birger mit Magenproblemen ins Ziel. Seine Enduro dokumentiert: 7 Stunden 42 Minuten Laufzeit. © Garmin

4. Galtür – Klosters (42,3 Kilometer): Ein leerer Tank ist nicht zu verkraften

Birger: Nach den Höhen kommt manchmal der Fall. Auf der vierten Etappe ging es mir elend. Das hatte mehrere Gründe.

Mein starker Teampartner Frederic Werner war eine Wucht während des Ultras. Er war deutlich schneller als ich, und wir liefen ein Tempo, das ich nicht mehr halten konnte. Ich kam in die Überlastung. Mein Magen rebellierte. Mir war speiübel. Doch übergeben konnte ich mich nicht.

Die Tage zuvor hatte ich mich mit isotonischen Getränken und Energieriegeln versorgt. Jetzt war mir alles über. Ich musste nur an dem Zeug riechen, und mir kroch es den Hals hoch. Ich würgte wieder. Und das vergebens.

Körperlich geschafft sein, nichts essen können, und dann über die Alpen rennen – das ist eine sehr riskante Situation. Eine, aus der ich mich nicht befreien konnte. Mir wich die Farbe aus dem Gesicht. Ich stand vorm Hungerast. Wenn der nicht schon längst da war.

Meine Rettung war eine Suppe. Wie auf Ultras üblich wurde diese auf dem letzten Streckenabschnitt gereicht. Eine genießbare Kraftbrühe mit in Streifen geschnittenen Knödeln. Die Bouillon füllte die Energiereserven zumindest so weit auf, dass ich mit schlaffen Beinen irgendwie ins Ziel trottete.

Dort waren es meine Begleiter, die mich anspornten, jetzt endlich etwas Richtiges zu essen. Ich bockte beinahe wie ein Kind. Sie blieben dran. „Iss doch”. „Na los”. „Du isst jetzt diesen Teller.”

Genervt gehorchte ich irgendwann. Gabelspitze für Gabelspitze kämpfte ich mich durch den Teller. Mein Körper dankte es mir. Am nächsten Morgen war das Leid überstanden. Gut essen, zugreifen, wenn eine Chance da ist, Snacks die man mag, dabei haben – all das klingt ziemlich banal. Das alles nicht zu tun, hätte mir beinahe die Zielankunft gekostet.

Die Strecke des Transalpine schlängelt sich durch die Natur der Alpen. © Juliane Ilgert

5. Klosters Berganstieg (8,47 Kilometer): Teamwork ist harte Arbeit

Birger: Mit Teamwork hatten wir meinen Teller Nudeln besiegt. Mit Teamwork schafften wir es über die Alpen. Das klingt gut. Das stimmt auch. Aber bis dahin war es harte Arbeit.

Frederic und ich kennen uns eine Weile. Aber wir sind keine regelmäßigen Laufpartner. Um ehrlich zu sein: Vor dem Transalpine haben wir kaum zusammen trainiert. Wir organisieren mit dem Schweriner Seentrail eine Veranstaltung gemeinsam, aber sportlich waren wir einander nicht vertraut.

Das sorgte für Probleme. Frederic war, wie bereits erwähnt, superschnell. Anstiege schienen ihm nichts auszumachen. Ein Naturtalent. Ich kam nicht hinterher. Das ist eine schwierige Situation. Er war genervt, weil er gern schneller gewesen wäre. Ich war gereizt, weil ich längst mein Limit überschritten hatte.

Als Team überstanden wir diese kritischen Phasen. Frederic schob mich auch mal motivierend an. Ich konnte ihn mit meiner Erfahrung stützen. Dazu bot die fünfte Etappe willkommene Abwechslung. Das war ein Sprint, es ging „nur“ einen 8,47 Kilometer langen Anstieg mit 810 Höhenmetern rauf. Viele Teilnehmende nannten das Ruhetag.

Der Zwang, als Team in einer 2-Minuten-Spanne zu laufen wie auf den anderen Passagen, galt an diesem Tag nicht. Frederic konnte den Berg in seinem Tempo hoch galoppieren. Ich in meinem. Wir waren Einzelkämpfer. Dieser Abschnitt kam genau zur rechten Zeit.

Ein gutes Team zu sein bedeutet nicht, dass keine zwischenmenschlichen Krisen passieren. Die sind alltäglich. Ein gutes Team findet sich aber immer wieder zusammen und weiß, wann es Zeit ist, einander zu stärken. Das haben wir jederzeit geschafft.

Trotz allem wurde mir klar: Wer die Berge zusammen bezwingen will, wer mehrere Tage miteinander verbringt, bis zu 24 Stunden am Stück, der sollte darauf achten, sich nicht nur menschlich zu kennen. Sondern auch sportlich. Das macht vieles leichter und beugt falschen Erwartungen vor.

Garmin Enduro beim Transalpine Run 2021
Die Enduro von Garmin half Birger über die Berge – und analysierte die Leistungen nach den Etappen. © Garmin

Die beste Begleitung auf dem Trail: Die Enduro von Garmin

Die Smartwatch begleitet Laufende dank des starken Akkus und der integrierten Solartechnik ausdauernd durchs Gebirge. Zahlreiche Sicherheitsfunktionen, die verlässliche GPS-Navigation und Live-Informationen zum Streckenprofil unterstützen dich auf jedem Trail.

6. Klosters – Scuol: Auch auf die Technik kommt es an

Birger: Ausdauernde Begleiter*innen sind wichtig. Ich hatte sogar zwei dabei. Nicht nur Frederic hatte mehr Kondition als ich. Auch meine Smartwatch hielt stark durch. Erst vor der siebten Etappe – die durch die Absage in Italien zur letzten wurde – musste ich nach einer Woche Dauertracking die Enduro laden. Und über das „Muss” lässt sich streiten. Sie hatte eigentlich noch genügend Akkulaufzeit. Aber sicher ist sicher. Ich wollte keine Sekunde auf sie verzichten.

Die Enduro half mir über alle Rampen. Eine der wichtigsten Funktionen war die Darstellung der Anstiege. Die Smartwatch zeigt in Echtzeit an, wie weit es noch bis zum Gipfel ist. Ohne diese Information fühlt man sich manchmal verloren. Die Höhenmeter zählt man nicht mit. Für das Kopfrechnen fehlt vor Anstrengung die Kraft.

Dadurch, dass ich immer wusste, wie weit es noch bis oben ist, dosierte ich mein Tempo durchdacht. Entweder lief ich schneller, um mich rascher bergab erholen zu können. Oder ich nahm das Tempo raus, damit ich den Gipfel überhaupt trabend erreiche. Mit der Enduro navigierte ich mich durch das Rennen. Sie war Ansporn. Wegweiser. Stratege.

Der süße Geschmack des Zieleinlaufs belohnte Frederic (l.) und Birger für ihr Teamwork. © Garmin

7. Scuol – Prad am Stilfserjoch (44 Kilometer): Eigenverantwortung ist die Basis für den Teamerfolg

Birger: Der Transalpine Run hat mir vieles beigebracht. Zum Beispiel, dass auch nach einer langen, finsteren Nacht, in der man sich ausgelaugt fühlt, der Mut verblichen ist, immer ein neuer Morgen kommt. Auf jeden schlechten Tag kann ein außergewöhnlich guter folgen. Beim Etappenlaufen ist das eine der wichtigsten Lehren. Sie gilt auch für unser alltägliches Leben.

Für mich taugen Events wie der Transalpine Run als Vorbild für unsere Gesellschaft. Denn die Veranstaltung zeigt, wie wir als Team über uns hinauswachsen können. Dass dafür aber jede*r das Beste für sich und den anderen geben muss. Beim Transalpine ist der eigenverantwortliche Einsatz die Basis für den gemeinschaftlichen Erfolg. Diesen Eindruck nehme ich mit nach Hause. Ich möchte ihn mit meinen Mitmenschen teilen.

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