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Nasenspray: Mit kleinen Spritzern in die Sucht

Mehr als 52 Millionen Packungen Nasenspray werden pro Jahr in Deutschland verkauft. Das Medikament bietet schnelle Hilfe – birgt aber auch Risiken. Eine HNO-Ärztin klärt auf.

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Zwei kleine Spritzer – durchatmen. Jeder kennt das „atemberaubende” Gefühl einer Erkältung. Der Hals kratzt, die Glieder schmerzen und die Nase ist komplett verstopft. Ein schneller Griff zur kleinen Flasche und schon kannst du frei atmen – vorerst. Denn Nasenspray wirkt nur temporär. Nach einigen Stunden endet der Effekt und das Atmen wird wieder zur Last. Der erneute Griff zum Spray liegt nahe.

Doch Nasenspray ist nicht so harmlos, wie es scheint. Rund 120.000 Deutsche sind laut einer Schätzung der AOK Bremen/Bremerhaven abhängig vom kleinen Sprühstoß in die Nase. Die Sucht kann schwerwiegende Folgen für den Körper haben. Die Greifswalder HNO-Fachärztin Dr. Carmela Koch behandelt Betroffene und erklärt, wie die Sucht entsteht und zu welchen Mitteln du wie oft bei einer Erkältung greifen solltest.

Dr. med. Carmela Koch führt mit ihrem Team ihre eigene HNO-Praxis in Greifswald. Sie ist Fachärztin für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Allergologie, Naturheilverfahren und Neurootologie. Außerdem erwarb sie 2016 die Zusatzqualifikation der Ernährungsmedizin. In ihrer Praxis behandelt sie oft Patienten, die abhängig von abschwellend wirkenden Nasensprays sind. Sie weiß, wie häufig die Sucht auftritt, bemerkt aber auch, dass sich immer mehr Betroffene an einen Arzt wenden.

Dr. Med. Camela Koch
© Heike Truckenbrodt

#BeatYesterday.org: Frau Dr. Koch, Sie behandeln häufig Patienten, die unter einer Nasenspraysucht leiden. Nasenspray – das klingt doch harmlos?

Dr. Carmela Koch: Die Abhängigkeit von Nasenspray ist eine ziemlich verbreitete Erkrankung. Sie ist eine Form der Nasenschleimhautentzündung, die durch Medikamentanwendungen herbeigeführt wird. Wir bezeichnen sie auch als Rhinitis medicamentosa.

#BeatYesterday.org: Wie entsteht diese Abhängigkeit vom Nasenspray?

Dr. Koch: Zumeist entwickelt sich die Abhängigkeit vom abschwellend wirkenden Nasenspray nach einem Infekt der oberen Atemwege. Dieser geht typischerweise mit verstopfter Nase und Schnupfen einher. Die in den Nasensprays vorhandenen Substanzen wirken über die sogenannten Alpharezeptoren der Nasenschleimhautgefäße. Gelangen die Wirkstoffe durch den Sprühstoß an diese Rezeptoren, werden die Schleimhautgefäße verengt. Dadurch sinkt die Durchblutung und die Schleimhäute schwellen in der Folge ab. Warum es zur Gewöhnung an die Wirkstoffe und damit zur „Sucht“ kommt, ist noch nicht vollständig geklärt.

#BeatYesterday.org: Gibt es Vermutungen?

Dr. Koch: Es existieren zwei geläufige Theorien, die erklären könnten, wie die Abhängigkeit entsteht. Eine These besagt, dass durch die regelmäßige Benutzung die Empfindlichkeit dieser abschwellenden wirkenden Alpharezeptoren abnimmt und eine Art Gewöhnung einsetzt. Dadurch lässt das Ausmaß und die Dauer der Abschwellung mit der Zeit nach. Das führt dazu, dass die Sprays häufiger angewendet und höher dosiert werden müssen, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. Wir wissen, dass das Suchtpotenzial mit der Anwendungsdauer steigt. Deshalb sollte die Nutzungsdauer nicht länger als maximal zehn Tage betragen.

#BeatYesterday.org: Das ist die eine Variante, sie klingt plausibel. Ist der andere Erklärungsansatz ungewöhnlicher?

Dr. Koch: Eine komplexere Hypothese geht davon aus, dass sich in den Gefäßwänden neben den gefäßerweiternden Alpharezeptoren auch die Antagonisten, sogenannte Betarezeptoren, befinden. Sie werden durch die in den Sprays enthaltenen Wirkstoffe ebenso stimuliert. Diese Stimulation bewirkt allerdings eine Erweiterung der Gefäße. Die Durchblutung steigt und die Schleimhäute schwellen stärker an. Diese Wirkung setzt etwas später ein und hält länger an, sie macht sich also dann bemerkbar, wenn der Effekt auf die abschwellenden Alpharezeptoren bereits nachlässt. Es entsteht ein Rebound-Phänomen, das dafür sorgt, dass die Schleimhaut sogar noch geschwollener ist als vor der Anwendung des Nasensprays. Die Nasenatmung verschlechtert sich weiter.

Junge Frau mit Erkältung schnäubt sich die Nase
Nase zu: Gerade in der kalten Jahreszeit sind Erkältungen häufig lästige Begleiter. © seb_ra / iStock / Getty Images Plus

#BeatYesterday.org: Nehmen wir Nasenspray eigentlich, weil wir süchtig nach dem freien Atmen sind oder braucht der Körper die Inhaltsstoffe des Sprays?

Dr. Koch: Es handelt sich dabei nicht um eine psychische Abhängigkeit, wie wir sie zum Beispiel von Drogenkonsumenten kennen. Auch eine körperliche Sucht besteht nicht. Vielmehr ist der Mensch von Natur aus ein „Nasenatmer“, für den die Mundatmung bei verstopfter Nase eher eine Notlösung ist. Vor allem weil die Nase wichtige Funktionen wie das Erwärmen, Befeuchten, Reinigen und Filtern der Atemluft übernimmt. Deshalb sind wir bestrebt, immer durch die Nase zu atmen, und gewohnt, dass das unkompliziert funktioniert. Und so greifen viele schnell zum Nasenspray, sobald diese Atmung beeinträchtigt ist.

Kurz: Die Substanzen der abschwellend wirkenden Nasensprays selbst benötigt der Körper nicht, sondern vielmehr deren Wirkung, um den Wohlfühlzustand der Nasenatmung aufrechtzuerhalten.

#BeatYesterday.org: Wie erkenne ich eine Nasenspraysucht bei mir und wann sollte ich damit zum Arzt gehen?

Dr. Koch: Das Erkennen ist gar nicht schwer. Sich die Abhängigkeit einzugestehen, fällt dafür umso schwerer. Ein leichter Gewöhnungseffekt tritt bereits nach drei bis sieben Tagen ein. Die Abstände zwischen den erforderlichen Anwendungen schrumpfen, es wird häufiger gesprüht. Außerdem verschlechtert sich die Atmung nach der abschwellenden Wirkung des Sprays immer spürbarer.

Wer dann nicht die Notbremse zieht, gerät in einen Teufelskreis. In der frühen Abhängigkeitsphase können Patienten die Anwendung oft noch selber reduzieren. Je länger die Sucht jedoch besteht, umso schwieriger ist es, ohne Hilfsmittel von ihr loszukommen. Die durch die Arzneimittel verursachten, teilweise irreversiblen Schleimhautschäden nehmen zu.

#BeatYesterday.org: Was sind die Folgen von schweren Schleimhautschäden?

Dr. Koch: Die Nase wird häufiger trocken, und es kann zu einer Krustenbildung kommen. Weitere Folgen können Nasenbluten sowie Riech- und Schmeckstörungen sein. Gelegentlich entsteht auch ein Loch in der Nasenscheidewand, das wiederum zu einer Nasenatmungsbehinderung durch Veränderung der Luftströmungen führen kann. Das Problem sollte allerspätestens jetzt bei einem HNO-Arzt vorgestellt werden. Es gilt die Ursache abzuklären und zu therapieren. Nur so kann das Absetzen des abschwellend wirkenden Nasensprays dauerhaft gelingen.

#BeatYesterday.org: Wie fühlen sich Betroffene, die nicht rechtzeitig aufhören konnten?

Dr. Koch: Das Thema Nasensprayabhängigkeit ist immer noch tabuisiert. Die Betroffenen empfinden häufig Scham und erzählen nicht davon. Es sei denn, der Apotheker spricht sie darauf an, wenn sie die Präparate mehrfach aus dem gleichen Geschäft beziehen. Um dies zu vermeiden, wechseln nicht wenige Patienten die Apotheken. Manche bestellen auch im Internet, um unentdeckt zu bleiben.

Jeden Tag behandle ich mehrere Patienten, die abhängig von solchen Sprays sind. Nicht alle wünschen sich eine Therapie. Ich gewinne allerdings zumindest in meiner Praxis den Eindruck, dass gerade jüngere Patienten nach dem Outing des Rappers Sido, der zugab, selbst süchtig nach Nasenspray zu sein, tatsächlich offener mit dem Thema umgehen und einen Arzt konsultieren. Das ist erfreulich, da es keinen Grund gibt, nicht über das Problem zu sprechen. Die Betroffenen sind häufig erleichtert, wenn ich erzähle, dass ich früher selbst einmal für einige Wochen abhängig war und aufhören konnte.

Frau mit Schnupfen inhaliert
Inhalieren oder Salzwassersprays sind Alternativen zum Nasenspray, aber nicht so wirksam. © Ijubaphoto / E+ / Getty Images Plus

#BeatYesterday.org: Wie kann die Nasenspraysucht behandelt werden?

Dr. Koch: Die Pflege der Schleimhäute ist das Wichtigste. Dazu kann die Nase mit wässrigen oder öligen Sprays, Tropfen oder Salben befeuchtet werden. Die abschwellende Wirkung können wir im Rahmen der Spray-Entwöhnung auf vielfältig Weise unterstützen.

#BeatYesterday.org: Können Sie diese Möglichkeiten näher beschreiben?

Dr. Koch: Eine Möglichkeit ist die Nasendusche. Je nach gewählter Salzkonzentration kann sie pflegend, reinigend oder sogar abschwellend wirken. Ich nutze sie gern zur Behandlung verschiedenster Schleimhauterkrankungen der Nase und des Nasenrachens. Sie ist eine Art „Basistherapie“. Weiterhin gibt es auch Tabletten, die eine direkte schleimhautabschwellende Wirkung besitzen. Diese können synthetisch hergestellte Wirkstoffe enthalten oder pflanzlicher Natur sein, beispielsweise Bromelain-haltige Substanzen. Das sind abschwellende Enzyme, die in der Ananas vorkommen. Sie werden häufig nach verschiedenen Operationen angewandt. Diese Mittel sollten wir aber eher kurzfristig zur Überbrückung von schweren Beschwerden einsetzen.

Abschwellende, sogenannte hyperosmolare Salzwasserprays können ebenfalls helfen. Deren abschwellende Wirkung ist deutlich geringer als die der hier thematisierten Sprays. Sie können bei der langsamen Dosisreduktion helfen, indem man sie alternierend mit diesen anwendet.

#BeatYesterday.org: Wie verläuft die weitere Behandlung, wenn diese Mittel in der sanften Behandlung nicht funktionieren?

Dr. Koch: Ein kortisonhaltiges Nasenspray bildet dann den Hauptansatz der Therapie. Vom HNO-Arzt verordnet wirkt es bei regelmäßiger Anwendung langfristig abschwellend und hilft, das Rebound-Phänomen zu durchbrechen. Dadurch können die Betroffenen die abschwellend wirkenden Substanzen reduzieren.

Hilft das alles nicht, und die Nase ist medikamentös nicht mehr erfolgreich zu behandeln, können wir verschiedene operative Techniken nutzen. Das kann von einer ambulanten, schonenden Verkleinerung der unteren Nasenschwellkörper mit dem Laser bis hin zu einer vollständigen Begradigung der inneren und/oder äußeren Nase reichen. Das hängt von der Ursache und Schwere des Problems ab. Generell gilt: Je rascher wir die Abhängigkeit vom abschwellend wirkenden Nasenspray behandeln, umso besser und schneller können sich die Schleimhäute erholen.

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Claudia M.
07.12.2020 | 04:52 Uhr

Ich habe meine Sucht durch ätherische Öle bekämpft. Deren Einsatz hat ohne Abhängigkeit meine Nase wieder frei gemacht, so dass ich nahezu völlig auf Nasenspray verzichten kann.

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Ein Kommentar

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Claudia M.
07.12.2020 | 04:52 Uhr

Ich habe meine Sucht durch ätherische Öle bekämpft. Deren Einsatz hat ohne Abhängigkeit meine Nase wieder frei gemacht, so dass ich nahezu völlig auf Nasenspray verzichten kann.