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Cool bleiben: Tauchen im Gletscherschacht

Apnoetaucher Christian Redl wagt sich ohne Sauerstoffflasche in die Tiefen eines engen Gletschertunnels. Warum er auf seinen Abenteuern im Eis cool bleiben muss, schildert er in einem Gastbeitrag.

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Es ist der 8. November 2019, 9.30 Uhr. Der Tag, an dem ich als erster Mensch auf über 3.000 Metern Höhe einen engen, mit eiskaltem Wasser gefüllten Schacht ohne Sauerstoff durchtauchen will. Ein Weltrekord.

Ich stehe mit meinem Team an der Talstation des Hintertuxer Gletschers im österreichischen Tirol. Ich bin nervös, doch meine Crew ist gut vorbereitet. Sie besteht aus Martin Aigner, meinem Unterwasserkameramann, dem Sicherungsfreitaucher Jaromir Foukal und dem vierköpfigen Filmteam für die Doku. Noch nie zuvor begleitete mich ein Kamerateam und doch sind wir weniger Personen als sonst. Denn der schmale Schacht, durch den wir klettern wollen, bietet kaum Platz.

Bevor wir in das verwinkelte Eishöhlensystem absteigen können, müssen wir die Bergbahn zum Gletscher nehmen. 30 Minuten wird die Fahrt auf 3.324 Meter dauern. Dreimal müssen wir umsteigen, dreimal sämtliches Material umladen. Unser Vorhaben gleicht einer Materialschlacht. Unterwasserkamera, Tauchausrüstung, Kameraausrüstung des Drehteams müssen wir nach den Gondelfahrten noch knapp 500 Meter weit schleppen, um zum Eingang der Höhle zu gelangen.

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Ein atemraubender Aufstieg

Schnee wirbelt auf dem Gletscher umher. Es ist bitterkalt. Die Luft ist deutlich dünner als im Tal. Das Tragen des Gepäcks fällt noch schwerer, wenn man diese Höhe nicht gewohnt ist. Für Unerfahrene wäre es ein Albtraum. Ich konzentriere mich und versuche mit meinem Atem auszuhalten. Den brauche ich noch für den Rekordtauchgang. Dann sind wir endlich da. Durch einen schmalen Einstieg kraxeln wir ins Höhleninnere.

Roman Erler steht im unterirdischen Höhlensystem des Hintertuxer Gletscher.
Roman Erler entdeckte das unterirdische Höhlensystem des Hintertuxer Gletschers. Durch diesen Eispalast müssen Redl und sein Team klettern, um zum Eisschacht vorzudringen. © Zillertal Tourismus / Bernhard Huber

Abseilen in den Eisschlund

Angekommen am Schacht montieren wir ein Seil. 53 Meter hängt es in die Tiefe. Eine Leiter, die im Schacht angebracht ist, nutzen wir nicht. Stattdessen lassen wir uns dieses Mal samt Equipment an einer Seilwinde abseilen. Es ist einfach zu eng, um mit dem Gepäck zu klettern.

Nach knapp zehn Metern erreichen wir, immer noch an der Winde hängend, eine kleine Eisplatte, in der ein Loch gefräst ist. Von dort aus will ich lostauchen. In der Nacht zuvor gab es allerdings eine Verschiebung im Gletscher und das Wasser ist abgelaufen. Wir müssen ungefähr fünf Meter mehr Höhenunterschied zum Loch überwinden als vor ein paar Tagen, als wir uns mit den Bedingungen vertraut machten.

Wir Taucher – mein Sicherheitstaucher, der Kameramann und ich – drängen uns auf der kleinen Plattform, um uns vorzubereiten. Bei einem normalen Tauchgang lege ich Flossen und Maske erst im Wasser an. Das geht unter diesen beengten Bedingungen nicht. Fertig ausgerüstet werden wir weiter bis zur Wasseroberfläche abgeseilt. Ich versuche die Enge auszublenden. Ruhig bleiben. Mich fokussieren.

Blick in ein Eisloch, in das Redl abgeseilt werden muss
Das Eisloch, in das Redl abgeseilt werden muss, um seinen Rekordtauchgang zu starten. © Martin Aigner Photography

Im unerbittlichen Eiswasser

Durch die Winde tauche ich langsam in das Wasser. Ein Schock. Die Kälte kriecht stückweise in meine Glieder. Dieses Gletscherwasser ist eisiger als alle anderen Gewässer, in denen ich bisher tauchte. Normalerweise hat das Wasser unter dem Eis um die zwei Grad Celsius plus.Doch im Schacht sind es gerade einmal minus 0.6 Grad. Eiskristalle schwappen im Wasser.

Die Suppe setzt sich aus Schmelz- und Regenwasser zusammen. Deswegen erreicht sie diese Minusgrade, diese Anomalie. Während ich im kalten, klaren Nass ausharre, weiß ich, dass die Zeit knapp ist. Der erste Tauchgang muss passen. Ich versuche, mich nur noch auf die Atmung zu konzentrieren, den Puls zu senken, der Körper spart dadurch Energie. Dann tauche ich ab.

Redl in Tauchausrüstung kurz vor dem Abtauchen im Gletscher
Die letzten Sekunden vor dem Abtauchen. Redl füllt seine Lunge bis zum Anschlag mit Sauerstoff. © Martin Aigner Photography

Abtauchen in tiefe Dunkelheit

Unterwasser sehe ich zum ersten Mal das Innere des Schachts. Schon nach einigen Flossenschlägen sehe ich, wie eng es wird. Und dunkel. Hatte das Loch zu Beginn noch einen Durchmesser von rund drei Metern, ist es an einigen Stellen weniger als einen Meter breit. An einer schmalen Schleuse muss Martin, der Kameramann, stoppen. Er passt mit seiner Tauchausrüstung nicht durch.

Mir bleibt keine Zeit zum Zögern. Warte ich zu lange, wird die Luft knapp. Ich durchtauche die schmale Passage. Nach der Engstelle ist es noch dunkler. Nur meine kleine Lampe an der Maske produziert einen winzigen Lichtkegel. Ich weiß nicht, wie eng es noch werden wird. Sicher bin ich mir nur dessen, dass sich der Schacht am Ende wieder ausbreitet. Ich habe also Platz, um mich für den Rückweg zu drehen.

Nach 23 Metern und zwei weiteren extrem engen Passagen erreiche ich mein Ziel. Schleunigst winde ich mich Richtung Oberfläche.

Redl taucht in einem riesigen Eisloch hinab und hält sich am Führungsseil fest
Rekordtaucher Christian Redl orientiert sich mithilfe des Führungsseils in der Dunkelheit. © Martin Aigner Photography

Der Kampf zurück zur Oberfläche

Auch auf dem Rückweg muss ich fokussiert und entspannt bleiben. Tauche ich zu schnell oder gerate in Panik, steigt mein Sauerstoffverbrauch.

Jede Bewegung kostet Energie. Langsam kämpfe ich mich Richtung Oberfläche.Es wird hell. Mehr und mehr Licht durchflutet den Schacht. Ich passiere Martin, meinen Kameramann. Weit kann es nicht mehr sein. Ich spüre jede Muskelbewegung meines Körpers während der Sekunden des Auftauchens. Und schließlich durchbreche ich die Oberfläche. Draußen. Luft. Ich habe den Rekord geschafft.

Redl beim langsamen Aufsteigen im Eisloch
Langsam steigt Redl wieder zur Oberfläche auf. Das Wichtigste dabei: ruhig bleiben. © Martin Aigner Photography

Das Gefühl des Geschafft-Habens

Ich bin damit tatsächlich der Erste, der auf über 3.000 Metern Höhe einen eisigen Kanal durchtauchen konnte. 52 Sekunden hielt ich die Luft an, das erfahre ich nach dem Auftauchen. Ein surrealer Moment. Das Gewusel um mich herum nehme ich nur verschwommen wahr.

Ich friere bis auf die Knochen. Ein Gefühl, das mir in diesem Ausmaß neu ist. Den vermeintlich marginalen Temperaturunterschied vom 2,6 Grad Celsius kalten Eiswasser zum Gletscherwasser spüre ich erst jetzt. Und für die Filmaufnahmen muss ich noch mal rein ins eisig klare Nass. Eine Frage der Überwindung.

Als alles im Kasten ist, weicht die Anspannung dem Gefühl des Geschafft-Habens. Eine schwer beschreibbare Emotion.

Epilog:

Von dem Erfolg muss ich gleich danach für die Kamera berichten. Davor ziehe ich mich aber noch um. Ich hätte nicht sprechen können, so kalt war mir. Nachdem auch das Interview gefilmt ist, packen wir unser Equipment. Wir müssen uns beeilen. Die letzte Gondel fährt um 16.30 Uhr zurück ins Tal. Erneut herrscht Anspannung.

Um 16 Uhr stehen wir wieder vor der Höhle. Ein Schneesturm hat sich inzwischen zusammengebraut. Mein Vordermann wird vom den weißen Gestöber verschluckt. Zur Sicherheit wurde uns ein Pistenbully geschickt. Wir verstauen die Ausrüstung und springen auf. Total fertig vom Tauchgang, von der Höhe, vom Dreh und der Kälte erreichen wir die warme Gondel.

protokolliert von Anna Baldig

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