Body & SoulHealth

Gefahr durch Sitzen: Sogar Liegen ist gesünder

Dr. Eric Söhngen beschäftigt sich seit Jahren mit den Risiken des Sitzens. Für ihn ist es gefährlicher als Rauchen. Was wir tun können, und warum eine Stunde Sport am Abend nicht hilft, verrät er im Interview.

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#BeatYesterday.org: Eric, du hast ein Buch geschrieben, es heißt „Death by Sitting”. Ein dramatischer Titel. Doch wie gefährlich ist das Sitzen wirklich?

Dr. Eric Söhngen: Sehr gefährlich sogar. Und die Forschung versteht auch erst seit ein paar Jahren, was eigentlich das Problem ist. Die Frage ist: Was passiert auf molekularer Ebene, wenn wir für so viele Stunden jeden Tag inaktiv sind?

Der Mensch hat sich über Millionen Jahre ständig bewegt. Er musste sich bewegen. Jetzt hat sich unsere komplette Welt innerhalb von 200 Jahren so verändert, dass Bewegung optional geworden ist. Jemand, der beruflich bedingt acht oder mehr Stunden pro Tag sitzt, erhöht sein Risiko für fast alle sogenannten Zivilisationskrankheiten dramatisch.

#BeatYesterday.org: Welche Auswirkungen hat das lange Sitzen auf den Körper, also biologisch?

Eric: Sobald wir sitzen, verlangsamt sich der Blutfluss und der Energieumsatz wird erheblich reduziert. Das führt hormonell dazu, dass der Glukose- und Fettstoffwechsel ins Ungleichgewicht gerät und so die Risiken für Diabetes, Herzkrankheiten und sogar Tumorerkrankungen dramatisch ansteigen. Viele assoziieren Sitzen vor allem noch mit Rückenschmerzen. Aber das ist leider nur die Spitze des Eisbergs. Den am häufigsten unterschätzten Einfluss hat das Sitzen auf unser Gehirn. Wer ständig sitzt, ist geistig weniger leistungsfähig, wird häufiger depressiv und erhöht sein Risiko im Alter an Demenzerkrankungen zu leiden. Zusammengefasst kann man sagen: Wenn wir viel sitzen, sind wir kränker, unglücklicher und altern schneller.

#BeatYesterday.org: Ist Sitzen tatsächlich das neue Rauchen? Diesen Vergleich ziehst du unter anderem in deinen Vorträgen.

Eric: Ja und nein. Statistisch gesehen ist es sogar schädlicher als Rauchen, weil es einfach jedes Organsystem betrifft. Der Vergleich schadet aber nicht, weil er die Aufmerksamkeit auf das Thema lenkt. Beim Rauchen hat es leider Jahrzehnte gedauert, bis das Wissen über die Risiken bei allen ankam. Man kann nur hoffen, dass wir uns als Spezies mittlerweile weiterentwickelt haben und gleiche Fehler nicht noch einmal machen. Vor 60, 70 Jahren stand ein Aschenbecher noch auf jedem Tisch – heute unvorstellbar. Mit dem Wissensfortschritt, den wir derzeit erleben, werden künftige Generationen mit einem ungläubigen Kopfschütteln auf uns zurückschauen. Sie werden sich fragen, wie wir nur so viel sitzen konnten.

Kollegen sitzen während der Arbeit.
Bei der Arbeit, beim Essen, abends im Sessel: Viele sitzen pro Tag länger als acht Stunden. Das ist nicht gesund. © iStock.com/Rawpixel

#BeatYesterday.org: Beim Rauchen kennen wir, durch die Warnbilder auf den Zigarettenschachteln, die Folgeschäden. Wie schwierig ist es, die Gefahren des Sitzens zu vermitteln?

Eric: Die meisten Menschen ahnen es intuitiv, dass das Sitzen nicht gesund ist. Aber es ist eben so normal und wird daher selten weiter infrage gestellt, weil es ja alle machen. Man hat Stillsitzen in der Schule ein gutes Jahrzehnt gelernt und nimmt es als gegeben hin. Klassisches Herdenverhalten. Die Wissenschaftler und Mediziner haben daher eine wichtige Rolle in der Wissensvermittlung. Mein Buch „Death by Sitting” versucht auf verständliche Weise die Wissenslücke zu schließen und zu erklären, was eigentlich im Körper vorgeht, wenn wir 70 Stunden pro Woche sitzen. Ich muss mich als Forscher und Arzt häufig selbst fragen, wie unsere eigene Zunft so lange brauchen konnte, um etwas herauszufinden, das eigentlich so banal ist. Aber wir haben auch lange geglaubt, dass die Erde eine Scheibe ist. Man lernt nie aus.

#BeatYesterday.org: Wie viele Stunden sollten wir pro Tag maximal sitzend verbringen und welche Symptome können Hinweis sein, dass wir zu viel „ruhen“?

Eric: Das kann ich am besten entwicklungsgeschichtlich herleiten. Evolutionär gesehen sind wir eine Spezies, die sich die meiste Zeit des Tages bewegt hat. Man geht davon aus, dass wir im Schnitt 20 Kilometer pro Tag zu Fuß zurückgelegt haben. Als Ausdauerjäger sind wir gehend oder manchmal im leichten Laufschritt hinter Beutetieren hergelaufen, bis diese erschöpft zusammengebrochen sind. Dann konnten sie leicht erlegt werden. Gesessen haben wir sehr wenig, vielleicht zwei bis vier Stunden pro Tag. Das ist natürlich eine gute Richtgröße für heute, da sich vielleicht die Welt um uns herum verändert hat, aber sicher nicht unsere Körper und unser Genom.

#BeatYesterday.org: Ist Liegen eigentlich gesünder als Sitzen?

Eric: Ja, unbedingt! Der menschliche Körper ist nur für zwei Dinge überhaupt nicht gebaut: langes Stehen oder langes Sitzen. Beim Sitzen lastet eine unglaubliche Last auf der unteren Wirbelsäule. Die Organe im Bauch werden komprimiert, das Lungenvolumen drastisch reduziert und die großen wichtigen Blutgefäße abgeklemmt. Das alles ist beim Liegen nicht der Fall.

Frau sitzt beim Arbeiten am Schreibtisch und hat Rückenschmerzen.
Rückenschmerzen sind nur ein Symptom vom ungesunden Sitzen. Zu hohe Sitzzeiten wirken sich auf den ganzen Körper und sogar auf das Gehirn aus. © iStock.com/seb_ra

#BeatYesterday.org: Nun schwanken die Studien, wie viele Schritte am Tag nötig sind für einen gesunden Lebensstil. Wie hoch ist dein Schrittziel, das du mit deiner Garmin-Uhr trackst?

Eric: Die Schrittanzahl ist ein guter Parameter, der in zahlreichen großen vergleichenden Studien herangezogen wurde. Der Zeitpunkt, ab dem die Probanden mit deutlichen Gesundheitsvorteilen rechnen können, liegt bei 17.000 Schritten pro Tag, also wesentlich höher als die viel zitierten 10.000 Schritte, die sich die meisten als Ziel setzen. Aber selbst von denen können viele nur träumen. Der deutsche Durchschnitt liegt bei weniger als 5.000 Schritten pro Tag. Übrigens ist es wichtig, dass wir die Bewegung über den ganzen Tag verteilen.

#BeatYesterday.org: Es gibt viele Büroarbeiter, die vor oder nach der Arbeit viel Sport machen und sich dazu bewusst ernähren. Können wir mit viel Sport und guter Ernährung lange Sitzzeiten ausgleichen?

Eric: Das ist genau der tragische Punkt. Wir denken, dass wir mit einer intensiven Stunde Sport am Abend das lange Sitzen im Büro ausgleichen können. Leider ist das ein völliger Irrglaube. Das Sitzen bleibt genauso schädlich.
Der Sport und die gesunde Ernährung sind gut. Aber damit etwas auszugleichen – das klappt nicht. Das haben wir uns einfach nur so in unseren Köpfen als Entschuldigung zurechtgelegt. Von daher sind auch die ganzen Ratschläge, wie alle 20 Minuten kurz aufzustehen, die Treppe anstatt des Fahrstuhls zu nehmen, einfach nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.

#BeatYesterday.org: Wenn sich das Sitzen nicht vermeiden lässt, zum Beispiel auf langen Flügen, im Stop-and-Go auf der Autobahn oder eben im Büro: Gibt es Sitzpositionen, die „gesünder” sind als andere?

Eric: Nicht wirklich. Es fehlt die Aktivierung der großen Muskelgruppen zwischen Beckengürtel und Beinen. Aber wir können Schadensbegrenzung betreiben. Wenn man ganz gerade sitzt, ist die Belastung auf die Wirbelsäule am größten. Am besten lehnt man sich zurück. Dann sollten wir nur vermeiden, die Schultern nach vorne zu ziehen. So wie man es häufig macht, wenn man am Computer arbeitet. Bleiben die Schultern dort, wo sie hingehören, gelangt mehr Luft in die Lungen. Aber eine Dauerlösung ist das alles nicht.

#BeatYesterday.org: Der größte Sitz-Faktor ist immer noch das Büro. Da kommt dein aktuelles Projekt ins Spiel. Du hast eine Alternative zum „Arbeiten im Sitzen” gefunden und um diese Idee herum das Unternehmen „Walkolution” aufgebaut. Was ist das eigentlich?

Eric: Ein kompaktes, lautloses und motorloses Laufband in attraktivem Holzdesign für das Büro. Zudem bietet das Walkolution einen ergonomischen Schreibtisch und eine Rückenlehne. Die Gehgeschwindigkeit steuert der Nutzer selbst. Man geht, steht ab und zu, lehnt sich an und geht wieder weiter. Alles intuitiv. Das ganze System steht auf Rollen und man kann auch mehrere Walkolutions für „Walking Meetings” zusammenstellen. Beim langsamen Gehen können wir alles machen, was wir normalerweise im Sitzen tun. Wir vermeiden nur die ganzen negativen Folgen. Und wir sind mental leistungsfähiger.

#BeatYesterday.org: Ich stelle mir so ein Laufband ziemlich laut vor. Gerade wenn sich Kollegen mit Schuhabsätzen darauf bewegen.

Eric: Das kommt ganz auf die Schuhe an. Hohe Absätze hört man. Das Gerät selbst macht absolut keine Geräusche. Viele Unternehmen setzen es in Großraumbüros ein. Universitätsbibliotheken nutzen es mittlerweile in den Lesesälen. Spezielles Schuhwerk braucht es nicht und trägt nicht ohnehin jeder Sneaker? (lacht)

#BeatYesterdayorg: Das Thema Nachhaltigkeit wird – zum Glück – gerade zum Lifestyle. Wie nachhaltig ist das Walkolution in der Produktion?

Eric: Ich lebe nach dem Motto: „Ohne Gesundheit ist alles nichts.“ Das kann ich auch auf das Thema Umwelt übertragen: „Ohne Umwelt ist auch alles nichts.“

Die Katastrophe ist ja schon lange angerichtet, aber man muss es ja nicht noch schlimmer machen. Wir produzieren in Deutschland, in eigener Fertigung und verwenden Hölzer aus einer nachhaltigen und lokalen Produktion. Holz ist übrigens ein super Werkstoff, der nicht nur gut aussieht, sondern auch ganz klare Vorteile gegenüber Stahl oder Plastik bietet. Das natürliche elastische Verhalten des Holzes hilft uns beispielsweise beim gedämpften Auftrittverhalten sehr. Mein Mitgründer Frank Ackermann ist außerdem einer der Pioniere im Bereich der nachhaltigen Fertigungsmethoden in Deutschland. Ich könnte mir keinen besseren Partner vorstellen.

#BeatYesterday.org: Warum ist ein Laufband noch besser als ein Stehtisch?

Eric: Weil das bloße lange Stehen auch nicht besser als Sitzen ist. Es gibt keine einzige Studie, die den Boom von Stehschreibtischen rechtfertigt. Aus kardiologischer Sicht ist ein Stehschreibtisch unvernünftig. Das Blut versackt in den Beinen. Der Kalorienverbrauch im Stehen entspricht fast dem im Sitzen. Wer den ganzen Tag steht, anstatt zu sitzen, verbraucht nur so viele Kalorien, wie in 1,5 Äpfeln stecken. Es gab eine große Studie in Deutschland, die Stehschreibtischnutzer zu ihrem Verhalten und ihrer Zufriedenheit untersucht hat. 70 % der anfänglichen Stehschreibtischbesitzer nutzt die Stehfunktion nicht mehr oder nur sehr unregelmäßig. Das ist paradox, weil viele den Tisch gerade erst aufgrund von Rückenschmerzen verschrieben bekommen haben. Der Wechsel zwischen Sitzen und Stehen ist nicht besser, weil wir von einer schlechten Position in die andere wechseln.

Mitarbeiter beim arbeiten auf den Walkolution Laufbändern.
Meetings nicht mehr im Sitzen, sondern beim Walken. Die Walkolutions kann man für Gespräche zusammenschieben. @walkolution

#BeatYesterday.org: Nun sind Stehschreibtische in den meisten Unternehmen etabliert. Sie kosten viel Geld, das Walkolution ist noch etwas preisintensiver. Für Unternehmen wäre es ziemlich teuer, dieses Gerät anzuschaffen. Mit welchen Argumenten überzeugst du Unternehmen?

Eric: Ich denke nicht, dass es teuer ist. Wir bieten neben Kaufoption ein Mietmodell an. Damit kostet das Arbeiten im Gehen etwa 3 Euro pro Tag. So viel wie ein Café zum Mitnehmen. Dafür bekomme ich als Unternehmen zufriedene Mitarbeiter, die produktiver und gesünder sind, weniger krankheitsbedingt fehlen und abends mit dem guten Gefühl nach Hause gehen können, dass sie zwar den ganzen Tag gearbeitet, aber dennoch etwas für ihre Gesundheit getan haben. Die To-Do Listen der Leute sind doch alle voll. Doch was nützt mir der tollste Titel, ein Dienstwagen und all die Statussymbole, wenn ich meine Gesundheit dabei ruiniere?

Mann arbeitet im Büro und geht dabei auf dem Walkolution Laufband.
Eine Lösung: Das von Eric erfundene Walkolution. Ein Laufband für das Büro. ©walkolution

#BeatYesterday.org: Es steckt ja nicht nur das Wort Walk, also Gehen, in Walkolution, sondern auch „Revolution”. Wie weit seid ihr mit diesem kühnen Anliegen?

Eric: Ich sehe tatsächlich immer noch Menschen, die während der Arbeit auf Stühlen sitzen. Von daher haben wir noch ein bisschen was zu tun. Aber es werden jeden Tag weniger.

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