ActiveFitness

Esport: Was ein Gamer können muss

E-Sportler trainieren nicht nur an der Konsole, sondern auch auf der Laufbahn und im Fitnessstudio. Warum professionelle Gamer immer fitter werden müssen. Ein Gespräch mit dem E-Sport-Trainer Swen Müller.

Teilen
0

E-Sport ist einer der großen globalen Unterhaltungstrends. Spieler treten in Hallen oder in Livestreams gegeneinander an, wetteifern an Computer oder Konsole um Meisterschaften. Tausende schauen dabei zu, wie andere zocken. Swen Müller gilt als einer der führenden E-Sport-Experten in Deutschland. Unter anderem betreut er als E-Sport-Coach die E-Basketballer des FC Bayern München. Müller arbeitet und lebt in Mülheim an der Ruhr.

#BeatYesterday.org: Swen, du trainierst E-Sportler, unter anderem bei den E-Basketballern des FC Bayern München. Wie gestaltet ihr den Trainingsalltag?

Swen Müller: Wir müssen unterscheiden. Es gibt E-Sportler, die nichts anderes machen, als zu spielen. Das sind absolute Vollprofis. Sie haben Arbeitsverträge bei ihren Teams oder Sponsoren, werden gut bezahlt. Mental-Coaches, Ernährungsexperten und Fitnesstrainer betreuen und beraten die Spieler in sogenannten Gaming-Häusern. Das sind professionelle Trainingszentren für E-Sportler. Was mir machen, unterscheidet sich davon erheblich. Bei NBA 2K, einer Basketball-Simulation, leben die wenigsten ausschließlich von diesem Sport. Es ist eine professionelle Leidenschaft mit wachsendem Potenzial.

#BeatYesterday.org: Wie trainiert ihr als semiprofessionelles Team?

Swen: Auch wir trainieren sehr professionell. Nur gehen unsere Spieler tagsüber zur Arbeit, in die Universität oder zur Schule. Wir spielen abends, meist zwischen 19 und 22 Uhr. Drei bis vier Spiele stehen dann auf dem Plan. Meistens spielen wir Fünf gegen Fünf, jeder steuert einen Spieler und trainiert seine Fähigkeiten. Es gibt aber auch individuelle Einheiten. Beim E-Basketball funktioniert es wie im richtigen Spiel: Es braucht Athleten, die gut werfen können, und andere, die körperlich dominant sind und Rebounds holen. Diese Skills muss bei uns jeder im Team für sich persönlich ausbauen und weiterentwickeln.

#BeatYesterday.org: Es existiert das Klischee, dass E-Sportler nächtelang durchzocken. Da überrascht die Angabe „drei bis vier Spiele”. Sind diese Trainingsumfänge normal?

Swen: Gering ist der Trainingsaufwand nicht. Ein Basketballspiel dauert beim E-Sport zwischen 25 und 30 Minuten. Basketball ist im normalen Leben ein sehr schnelles Spiel. In der virtuellen Simulation ist das nicht anders. Es braucht die volle Aufmerksamkeit, die komplette Konzentration. Und zwar weniger auf das ganze Spiel, sondern mehr auf den direkten Gegenspieler, den jeder in einem Match hat. Was die anderen machen, ist fast nebensächlich, das lenkt nur ab. Die Spieler starren die ganze Zeit auf einen Punkt. Das ist extrem fordernd, wenn man das über zwei Stunden machen muss. Wir sagen den Sportlern daher eher, dass sie nicht so viel spielen sollen. Das ermüdet nur und führt irgendwann nicht mehr zu einer Leistungssteigerung.

Das Team von E-Sport-Trainer Swen Müller beim Trainieren
E-Sportler brauchen die volle Konzentration, und das über Stunden. Beim Basketball kann eine Match-Serie weit über zwei Stunden andauern. © Swen Müller

#BeatYesterday.org: Mannschaften, die Sport im „echten Leben” betreiben, also auf dem Rasen oder auf dem Parkett stehen, trainieren im direkten Kontakt. Wie muss man sich das Training bei euch räumlich vorstellen?

Swen: In den vergangenen Wochen und Monaten hat sich die Gesellschaft an unsere Arbeitsgewohnheiten angepasst. Unsere Spieler kommen nicht nur aus München, sie leben in ganz Deutschland und Europa verteilt. Daher arbeiten wir seit jeher im Homeoffice, konferieren in Zoom-Calls und trainieren virtuell. Manchmal nutzen wir aber die Möglichkeit, uns in einem Gaming-Haus zu treffen. Das persönliche Coaching ist auch im E-Sport wichtig.

#BeatYesterday.org: Ein weiteres Klischee ist die Mär vom dezent adipösen Gamer mit verfilzten Haaren. Dass das nicht stimmt, ist hinlänglich bekannt. Aber wie wichtig ist körperliche Fitness?

Swen: Sie ist ganz entscheidend. Seit Jahren ist in der Wissenschaft unumstritten, dass körperliche Fitness und eine gesunde Lebensweise dabei helfen, die eigene Konzentration zu steigern. Je fitter der Körper ist, desto wacher ist häufig der Kopf. Bei einem E-Sportler ist das ganz genauso. 60 Prozent der Zeit, die für den E-Sport investiert wird, fließen in Bewegung und mentales Training.

#BeatYesterday.org: Ein Sport, der häufig mit E-Sport verglichen wird, ist Darts. Die Spieler, die an der Scheibe stehen, werden augenscheinlich immer fitter.

Swen: Das, was die Wissenschaft sagt, wir also seit Jahren wissen, stößt auf immer mehr Beachtung. Die Spieler achten sehr auf sich und ihre Fitness. Der Dartsport ist prinzipiell ein guter Vergleich. Ich kenne einen Trainer, der einige talentierte Darter in Deutschland betreut. Sein erster Satz zu jedem seiner Schützlinge ist: „Du musst körperlich richtig fit sein, sonst wird das nichts.” Tatsächlich fällt auch mir auf, dass der Anteil der Spieler mit „Kneipenbäuchen“ sinkt.

#BeatYesterday.org: Kneipenbauch ist noch ein Stichwort. Wie ernährt sich ein professioneller E-Sportler?

Swen: Er isst vor den Spielen im Idealfall nichts, das aufbläht. Besser ist schnell verdauliche Kost, die lange Energie gibt. Welche Nahrung es genau sein kann, ist aber sehr unterschiedlich. Was der eine gut verträgt, macht dem anderen Probleme. Eine Roulade mit Rotkraut und Knödeln würde ich trotzdem nicht empfehlen. Kurzfristige Zuckerschocks sind ebenfalls eher hinderlich. Aber jeder muss selbst herausfinden und darauf achten, wie die ideale Ernährung vor einem Event aussieht.

#BeatYesterday.org: Energy-Drinks und Cola stehen dann eher auf der schwarzen Liste.

Swen: Vor einem Match-Abend sind Cola, Energy-Drinks und literweise Kaffee keine gute Idee. Das Koffein wirkt nur kurzzeitig, der aufputschende Effekt verflüchtigt sich rasch. Viel besser: leicht gesüßter schwarzer Tee. Er hält wach und das über lange Zeit.

#BeatYesterday.org: Mit welchen Belastungen muss sich ein E-Sportler arrangieren?

Swen: Die mentalen Belastungen können extrem schwer wiegen. Besonders die bereits angesprochenen Anforderungen an die Konzentration sind auf Dauer nervenzehrend. So eine Serie kann beim Basketball an einem Abend über fünf Spiele gehen. Das sind über zweieinhalb Stunden voller Fokus ohne mentale Pausen. Deshalb ist es wichtig, dass die Spieler körperliche Grundlagen mitbringen. So kommt der Kopf deutlich besser durch die stressigen Phasen. Beim FC Bayern München E-Basketball arbeiten wir zudem regelmäßig mit Mentaltrainern zusammen. Motivation und Konzentration lassen sich trainieren und positiv beeinflussen.

E-Sport-Trainer Swen Müller mit seinem Team
Ein eingeschworenes und erfolgreiches Team – die E-Basketballer von Swen Müller kommen aus ganz Deutschland und Europa. © Swen Müller

#BeatYesterday.org: Was ist das beste Mittel, wenn man durch zu vieles Spielen immer müder wird?

Swen: Tatsächlich ganz simpel: Pause machen und eine Weile der Konsole oder dem PC fernbleiben. Das empfehlen wir unseren Sportlern. Ruhephasen sind essenziell. Das nächtelange „Daddeln” mit viereckigen Augen hat nichts mit professionell betriebenem E-Sport gemein. Das ist ein völlig verzerrtes Bild, schlicht eine falsche Annahme.

#BeatYesterday.org: Beim Fußballer sind die Knie ramponiert. Eishockey-Spielern fehlen Zähne. Bei Footballern sind Gehirnerschütterungen ein Problem. Drohen beim E-Sport gesundheitliche Spätfolgen?

Swen: In den vergangenen Jahren mussten zwei populäre E-Sportler aufhören. Sie hatten erhebliche Kapselprobleme in den Fingern. Der Verschleiß durch das jahrelange, intensive Training führte dazu, dass sie ihren Sport nicht mehr ausüben konnten. Daher ist auch im E-Sport Vorbeugung wichtig. Wir machen diverse Lockerungsübungen vor und nach Spielen. Die Dosierung der Spielzeit ist hier wieder ein Thema.

#BeatYesterday.org: Wie definierst du deine Rolle als Trainer?

Swen: Ich sehe meine Rolle ähnlich wie ein Arzt. Ich muss den Ist-Zustand genau erfassen. Mich fragen, in welchen Bereichen die Spieler, die ich betreue, Fehler machen, wo sie Optimierungspotenziale besitzen. Nur dann kann ich Tipps geben, die dabei helfen, das Niveau zu steigern. Ich frage zum Beispiel auch, was die Spieler vor einem Match gemacht haben oder wie die Licht- und Belüftungsverhältnisse im Raum sind, in dem sie trainieren. Wir können schon vor dem eigentlichen Spiel an vielen Stellschrauben drehen. Und wir nutzen Spielanalysen, schauen uns gemeinsam vergangene Games an und suchen nach Fehlern.

#BeatYesterday.org: Im Baseball gibt es einige alternative Trainingsmethoden. Zum Beispiel Donuts. Das sind Eisenringe, die sich die Spieler beim Warmmachen über den Schläger stülpen. Wenn es ernst wird, nehmen sie den Donut ab und haben das Gefühl, dass die Keule besser schwingt. Trainieren E-Sportler auf kleinen Monitoren, um im Wettkampf von den größeren Bildschirmen zu profitieren?

Swen: Ob das wirklich was bringt oder nur der Placebo-Effekt ist – ich weiß es nicht. Wenn es aber motivierend und Mut machend wirkt, dann hat das im Sport seine Daseinsberechtigung. Gamer trainieren auf verschiedenen Monitoren. Welcher Bildschirm der richtige ist, das hängt aber von vielen Variablen ab. Wer mit Tastatur und Maus steuert, sitzt nahe am Tisch, da muss der Bildschirm nicht groß sein. Wer weiter weg hockt, profitiert von mehr Zoll. Wer im Liegen spielt, was ich nicht empfehle, braucht noch mehr Bildfläche. Das birgt aber auch immer Risiken.

#BeatYesterday.org: Welche Risiken?

Swen: Die Übertragungsgeschwindigkeit verlangsamt sich mit der zunehmenden Größe des Bildschirms. Im E-Sport, wo in einer Sekunde mehrere spielentscheidende Abläufe passieren können, ist schon die kleinste Verzögerung extrem störend. Gaming-Begeisterten, die sich einen neuen Monitor anschaffen möchten, empfehle ich daher, besonders auf die Verzögerung eines Gerätes zu achten. Diese ist normalerweise bei den Modellen transparent ausgewiesen.

#BeatYesterday.org: Was macht ein Gamer unmittelbar vor dem Wettkampf, wenn er nicht gerade nach der idealen Sitzposition sucht?

Swen: Bei meinen Spielern ist es komplett unterschiedlich. Manchen hilft ein Mittagsschläfchen. Andere müssen sich vor dem Event maximal abschirmen und gehen am besten raus. Auch gibt es Gamer, die Zeit brauchen, um sich am Spielort zu akklimatisieren. Mit den Jahren findet aber jeder heraus, was für einen die beste Vorbereitung vor einem Wettkampf ist.

#BeatYesterday.org: Computerspiele verlangen von den Spielern viele Entscheidungen in Sekundenbruchteilen. Was muss ein guter Gamer können, um E-Sportler zu werden?

Swen: Beim E-Sport braucht es Reaktionsschnelligkeit und eine fantastische Hand-Augen-Koordination. Dafür ist eine gewisse Veranlagung nützlich. Aber wir können uns durch Training in diesen Bereichen erheblich verbessern. Das beginnt schon bei der Sitzposition vor dem Bildschirm. Auch äußere Einflüsse können ablenken. Wenn wir trainieren, suchen wir nach Sekundenbruchteilen. Damit eine gute Entscheidung noch schneller gelingt.

#BeatYesterday.org: Muss man für professionellen E-Sport überdurchschnittlich intelligent sein?

Swen: Wie beim Fußball oder anderen Sportarten sehen wir auch bei E-Sportlern ein gewisses Grundtalent. Das räumliche Sehen ist gut ausgeprägt, oder aber die Spieler kommen schnell in ihren Tunnel und blenden alles andere außer das Spiel aus. Aber einen außergewöhnlich hohen IQ braucht es dafür nicht. Es gibt eben Rollen in einer E-Mannschaft, die verschiedene Stärken verlangen. So ist der Typ Schachspieler, der drei Züge vorausdenkt, am Ende immer abhängig von den Arbeitern, die ihren Job verlässlich erledigen und nicht zu viel grübeln.

#BeatYesterday.org: Was mich zum Abschluss interessieren würde, weil wir oft E-Sport mit klassischen Sportarten vergleichen: Wie steht es um die Belastung – kann man diese messen wie beim Fußballer die gelaufenen Kilometer oder bei einem Radfahrer die Wattzahl?

Swen: Es gab unlängst ein interessantes Experiment. Bei einem Offline-Turnier wurden zwei Spieler medizinisch überwacht. Unter anderem hat man ihre Pulswerte gemessen. Es war eine große Veranstaltung, unzählige Zuschauer, ein Preisgeld in Millionenhöhe war zu gewinnen. Bei der Auswertung kam heraus: Die Aufregung war bei den beiden Spielern so groß wie bei einem Fußballer, der in der Champions League im Elfmeterschießen am Punkt steht. Nur, dass der Gamer mit dieser Anspannung über zwei Stunden sportlich funktionieren musste, nicht nur ein paar Sekunden. Die Belastungen sind im E-Sport vielleicht anders gewichtet als bei klassischen Sportarten, aber sie können genauso gewaltig und fordernd sein.

Auch Interessant

Elevate your game: Instinct Esports

Garmin Instinct esports
12.02.2024

BRINGE DEIN SPIEL AUF DAS NÄCHSTE LEVEL.

  • analysiere deine Gaming-Performance über ein spezielles E-Sport-Aktivitätsprofil
  • streame deine Vitaldaten über STR3AMUP! live im Match
  • trainiere deine körperliche Fitness mit über 30 Sport-Apps und bereite so dich auf intensive Spiele vor

zu Garmin.com
Weitere Themen
Meinungen

Diskutiere über diesen Artikel und schreibe den ersten Kommentar:

Jetzt mitdiskutieren
Keine Kommentare

Diskutiere über diesen Artikel