In der Schachtel war ich in diesen Stunden gefangen wie auf einem eigenen Planeten. Ich konnte den bohrenden Gedanken nicht davonlaufen. Ich musste sie aushalten. Konnte sie nicht mal mit jemandem teilen. Ich war zur Tatenlosigkeit verdammt, bis ich am nächsten Tag mit letzten Kräften heimkehren konnte. Das Wetter hatte aufgeklart, ich konnte wieder einen Weg erkennen. Es ging sich gut aus, ich kam wohlbehalten zurück. Trotzdem bohrten sich einige Gedanken in meinem Kopf fest. Hatte ich es diesmal zu weit getrieben?
Für mich war das Nichtstun in der Biwakschachtel das Schlimmste. So absurd es klingt: Eigentlich liebe ich es, wenn es draußen heikel wird. Wenn die meisten Menschen im Winter die Berge – außer in Skigebieten – meiden, beginnt für mich die schönste Saison. Ich liebe die Kälte, die Rohheit der Natur, das sich Rarmachen der Gipfel. Das Gefühl, dass es auf jede Entscheidung ankommt. Die in mir aufsteigende Gewissheit, dass ich es schon packen werde, wenn ich mich auf meine Erfahrung und mein Können verlasse und ab diesem Moment funktioniere.
Um mich herum gefriert die Welt, und ich taue auf.
Fast wie im Job
Manchmal erlebe ich Momente wie diese sogar in meinem Job. Ich arbeite für Garmin in der IT. Das klingt für manche nicht sonderlich spannend. In der Tat fordert mich der Job sehr. Täglich können komplexe Aufgaben auf mich zukommen, zu denen es noch keine Musterlösung gibt. Ich muss selbst kreativ werden. Etwas ausprobieren, mich an ein Ziel heranrobben. Aber ich weiß: Wenn ich besonnen und klug vorgehe, löse ich das Problem. Mein Schicksal liegt in meinen Händen
Am Berg ist dieses anspornende Gefühl noch viel stärker. Erst neulich war ich mit meinem Bergspezl am Matterhorn in der Schweiz. Ein schöner Tag mit viel Sonne und blauem Himmel, ein ambitioniertes, aber nicht wirklich riskantes Vorhaben, trotz der technisch schwierigen Route die extrem selten begangen wird. Während wir in der Wand hingen, verschlechterten sich die Bedingungen. Das gefürchtete Wetter-Roulette. Am Matterhorn erlebt man an manchen Tagen die vier Jahreszeiten binnen weniger Stunden im Zeitraffer.
Gegen die Wand
In diesem Moment mussten wir uns rasch entscheiden. Durch die Wand traversieren, sie einmal horizontal durchqueren und auf der anderen Seite den Ausstieg versuchen? Ein riskantes Manöver. Aber immerhin eine Möglichkeit mit einer guten Chance. Oder aber versuchen, es doch nach oben zu schaffen und riskieren, die Option der rettenden Traverse zu verspielen?
Am Berg ist es – genauso wie bei IT-Problemen – manchmal wie beim Schach. Ich treffe Entscheidungen nicht nur für den Moment, sondern manchmal für viele Stunden oder noch länger im Voraus. Abwägen. Daten einholen. Die eigenen Erfahrungen abrufen. Beim Sport auf die Smartwatch schauen. Digitale Karten, Höhenmessung, Herzfrequenz – jede Information kann helfen, eine heikle Situation richtig einzuordnen.
Der große Kick
Tage wie diese in großen Wänden oder auf schwierigen Graten, Sommer wie Winter, bei Tag und bei Nacht, bei schönem und extremen Wetter, allein und mit dem Spezl, geben mir den Kick. Ich liebe es, in diesen Lagen unfassbar viel über den Sport, die Berge und vor allem mich selbst zu lernen
Der Adrenalinrausch einer Grenzerfahrung pusht mich viele Tage und inspiriert mich zu neuen Vorhaben. Das Abenteuer steht immer im Vordergrund. Riskante Momente begegne ich mit Erfahrung und Können. Die Liebe zum Extremen gibt mir Ruhe und Besonnenheit. So kann ich teils widrigster Umstände die richtigen Entscheidungen treffen. Ich lauf zu Höchstform auf und „funktioniere“.
Außerdem hat man etwas im Büro zu erzählen. Man sieht, wie stark man in diesen wilden Jahren wächst. Man wächst an jeder Tour. Momente wie die Nacht in der Biwakschachtel haben mich, das ist eine Sicht der Story, zu einem besseren Bergsteiger gemacht. Und aufgrund der vielen neuen Erfahrungen auch zu einem besseren IT-Spezialisten.
Bald Bergführer?
Momentan bereite ich mich auf die Ausbildung zum Bergführer vor. Ich habe Respekt vor dieser Aufgabe. Nur die besten Bergsteiger*innen meistern diese Hürde. Nicht allein für sich selbst, sondern auch für andere verantwortlich zu sein – das ist eine völlig neue Anforderung. Ich entscheide nicht mehr einzig über mein Voran- und Zurückkommen. Sondern für das Wohl der gesamten Gruppe. Aus dem Arbeitsalltag weiß ich sehr gut, was ein funktionierendes Team gemeinsam erreichen kann.
Noch bevor ich die Ausbildung antrete, werde ich ein neues Level wagen. Ich will nach Nepal in den Himalaja, gemeinsam mit zwei Spezl den ersten Achttausender angehen.
In den West- und Ostalpen kann ich technisch alles lernen. Die Routen sind teilweise anspruchsvoller als in den Hochgebirgen der Welt. Nur das Gefühl für die dünne Luft können mir die heimischen Berge nicht geben.
Tobi’s hohes Ziel
Begleite Tobias auf seinem Weg nach Nepal und bei seiner Bergführer-Ausbildung. Regelmäßig wird Tobias über die Expedition, seine Vorbereitung auf den Achttausender und das Bergsteiger-Leben für #BeatYesterday.org schreiben.
Der große Plan
Als Trio wollen wir bestmöglich vorbereitet und akklimatisiert einen der 14 höchsten Gipfel unseres Planeten packen. Ohne künstlichen Sauerstoff, ohne Sherpas, allein mit unserer Kraft und unserem Können. Ich denke, dass ich auch diese Erfahrung brauche, um bald ein guter Bergführer zu sein.
Früher war es der Kick der aufregenden Situationen, der mich am glücklichsten machte. Momentan ist es die Planung für dieses Großprojekt. Sie zieht sich über Wochen und Monate. Das richtige Equipment. Das bestmögliche Training. Die Reise an sich. Es gibt viel zu planen.
Nicht nur in den kommenden 30 Minuten muss jede Entscheidung sitzen. Sondern in den nächsten Monaten.
Wie aufregend.
Anfang verpasst? Hier geht es zum ersten Teil der Story!
Fünf Dinge, die du von Tobi lernen kannst
- Das Leben ist kein Glücksspiel. Hoffe niemals darauf, dass es der Zufall beim Wetter gut mit dir meinen wird. Breche erst dann auf, wenn du dir möglichst sicher bist, dass die Bedingungen deine Vorhaben ermöglichen.
- Panik ist in jeder Lebenslage ein schlechter Ratgeber. Mit möglichst viel Ruhe und aufgeräumten Gedanken lassen sich dagegen fast immer valide Lösungsoptionen entdecken.
- Entscheidungen werden niemals nur für den Moment getroffen. Sie haben immer auch eine Nachwirkung. Oder wie es in der Bibel steht: „Bedenke das Ende“.
- Wer gut packt, gewinnt. Das „leichte Reisen“ mag in Mode sein. Im Gebirge oder auf anderen Abenteuertrips entscheidet jedoch häufig das Gepäck darüber, wie sicher eine Reise verlaufen wird. Wer sich für alle erdenklichen Szenarien mit Kleidung und Technik wappnet, gewinnt in Krisensituationen Zeit zum Nachdenken.
- Es gibt kein Scheitern – solange du und deine Mitreisenden sicher zu Hause ankommen. Jeder Rückschlag und jeder kritischer Moment, in dem du richtig entscheidest, lässt dich langfristig wachsen.
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