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Jost Kobusch: Mehr Angst wagen

Als Kind scheiterte Jost Kobusch am 3-Meter-Turm, heute besteigt er die höchsten Gipfel des Planeten auf den gefährlichsten Routen. Ein Interview mit einem Mann, der zunächst seine Angst und dann die Welt entdeckte.

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Wenn der Berg kalbt, verschwimmt die Welt zu einem gefährlichen Ort. Gewaltige Eisblöcke brechen aus dem Gletscher und rasen tosend in die Tiefe. Eis und Stein prasseln auf die Bergsteiger*innen nieder. Lawinen können folgen. Selbst die Besten müssen auf ihr Glück vertrauen und der aufbegehrenden Furcht widerstehen.

Jost Kobusch scheint ein Mann ohne Angst zu sein. Der 28-Jährige eroberte bereits in jungen Jahren unzählige Gipfel. Als Top-Athlet verzichtet er auf zusätzlichen Sauerstoff, der in eisigen Höhen vieles leichter machen würde. Für ihn als Profi wäre das wie Doping.

Dabei ist Jost kein natürliches Bergtalent. Er begann erst spät mit dem Klettern. Im Teutoburger Wald, nicht in den Alpen. Und noch verrückter: Als Kind traute er sich nicht, vom 3-Meter-Turm zu springen. Die Furcht lähmte ihn zu sehr.

Im #BeatYesterday.org-Interview spricht der Top-Alpinist über Angst, die Kraft gibt, seine Anfängerfehler und warum er gerne solo unterwegs ist.

Jost Kobusch beim Aufstieg auf einem schneebedeckten Berg
Jost Kobusch ist einer der besten Alpinisten der Welt. © Daniel Hug

#BeatYesterday.org: Jost, du hast schon mit Mitte zwanzig viele Gipfel erklommen, wagst dich dorthin, wo bislang nur sehr wenige Menschen waren. Wie bist du so früh so mutig geworden?

Jost Kobusch: Ich war als Kind überhaupt nicht mutig. Das beste Beispiel ist der Schwimmkurs in der Grundschule. Dort ging es um das silberne Schwimmabzeichen. Um das zu bekommen, musste ich vom 3-Meter-Turm springen. Das habe ich mir aber nicht zugetraut. Ich hatte zu viel Angst.

#BeatYesterday.org: Wie wird aus jemandem, der auf dem 3-Meter-Turm schlotternde Knie bekommt, jemand, der Achttausender attackiert.

Jost: Mich haben schon immer die Dinge fasziniert, vor denen ich mich am meisten fürchtete. Ich wollte mich meinen Ängsten stellen. An ihnen wachsen. Deshalb habe ich mich der Kletter-AG in der Schule angeschlossen. Wir kletterten in der Turnhalle nebenan. Das machte mir nach Startschwierigkeiten rasch sehr viel Spaß.

#BeatYesterday.org: Du bist in der Nähe von Bielefeld groß geworden. Keine Region, die bekannt ist für ihre Berge. Wie wird man dort zum Alpinisten?

Jost: Ich bin mitten im Teutoburger Wald aufgewachsen. Da gibt es ein paar Anhöhen, aber als Gebirge kann man sie nicht bezeichnen. Die nächstgelegene Kletterhalle war 30 Kilometer entfernt. Für mich als 12-Jähriger war es kompliziert, Klettergebiete zu finden, und auch dort hinzukommen. Mit 16, als ich mobiler wurde, verbrachte ich dann viel Zeit mit dem Felsklettern. Es wurde zu einer Leidenschaft. Ich habe nichts lieber gemacht.

Jost Kobusch beim Felsklettern
Wie Spiderman erklettert Jost steile Anstiege. © Daniel Hug

#BeatYesterday.org: Andere Bergsteiger wie Michi Wohlleben standen in diesem Alter schon auf richtigen Berggipfeln.

Jost: Mein erstes echtes Hochgebirgs-Abenteuer habe ich als Heranwachsender in Afrika erlebt. Unsere Schule hatte ein Austauschprogramm initiiert. Auch einige Kletterer aus der AG kamen mit. Ich fragte bei den Organisatoren an, ob es nicht möglich wäre, dass ich zwei Wochen später abreise. Flüge waren damals teuer. Ich habe fünf Schwestern, das Geld war knapp zu Hause. Da wollte ich die Gelegenheit für meinen ersten Berg vor Ort nutzen.

#BeatYesterday.org: Alleine? In Afrika?

Jost: Ich fragte in der Gruppe rum, ob jemand mitwill. Wollte aber niemand. Also bin ich mit zwei lokalen Begleitern los. Der erste Berg in meinem Leben, sofort mehr als 5.000 Meter. Ich hatte nichtmal ansatzweise die richtige Ausrüstung im Rucksack, keine Erfahrung in dieser Höhe. Ich stieg zu schnell auf und wurde höhenkrank . Mir wurde speiübel, ich hatte Kopfschmerzen, ich glaubte, dass mir der Schädel platzt. Ich dachte, dass das nun mal so sei. Dass das dazugehört. Und dazu kamen noch viele weitere, eher kleinere Fehler. Sonnencreme hatte ich zum Beispiel auch nicht dabei. Ich verbrannte mir die Haut auf dem Berg.

#BeatYesterday.org: Klingt nicht so, als ob du dieses Erlebnis gleich wiederholt hättest.

Jost: Habe ich aber. Der zweite Berg war die Zugspitze, der dritte dann der Mont Blanc. Ich hatte es in Afrika weit nach oben geschafft. Das hatte mich belohnt, motiviert, ich war noch stärker angestachelt. Ich wollte mehr. Und dank Afrika wusste ich, was ich kann.

#BeatYesterday.org: Was hast du im Vergleich zum Abenteuer in Afrika anders gemacht?

Jost: Ich war danach allein unterwegs. Ich brauchte keinen Komfort, also Begleiter, die mein Zeug schleppen. Ich wollte es alleine packen. Und ich habe mich sorgsamer vorbereitet. Bin gewissenhafter aufgebrochen, hatte mich mit Büchern schlaugemacht.

Jost Kobusch klettert mit Ausrüstung einen schneebedeckten Berg hoch
Im Hochgebirge sieht es aus wie auf fernen Planeten. © Jost Kobusch

#BeatYesterday.org: Hast du beim zweiten und dritten Mal weniger Fehler gemacht?

Jost: Nicht dieselben, dafür aber genügend andere. Ich ging aus Dummheit und Unerfahrenheit unglaubliche Risiken ein. Einmal schlug ich mein Zelt zu nah an einer Gletscherspalte auf. Abends rutsche ich plötzlich in Richtung Abgrund. Es war wie in einem schlechten Film. Der Schlund kam immer dichter, ich fühlte mich wie gelähmt. Hab es dann doch noch geschafft, mich in Sicherheit zu bringen. Letztendlich waren Erlebnisse wie diese entscheidend für meine steile Lernkurve. Ich lebte nach dem Motto: Lern oder stirb.

#BeatYesterday.org: Die meisten Einsteiger*innen lernen Schritt für Schritt. Nur nicht zu viel wagen.

Jost: Ich habs anders probiert. Lieber viel vornehmen, vielleicht am Vorhaben scheitern, aber trotzdem weit kommen und lernen, lernen, lernen.

#BeatYesterday.org: Hat der Jost von heute weniger Angst als damals auf dem Sprungturm?

Jost: Ich habe immer noch Angst. Jedes Mal, wenn ich mit dem Gleitschirm fliege zum Beispiel. Da denke ich: Was habe ich hier in der Luft zu suchen? Der Mensch ist nicht zum Fliegen gemacht. Ich bewerte Angst als solche aber nicht grundsätzlich negativ. Im Gegenteil: Sie steigert meine Performance.

#BeatYesterday.org: Inwiefern?

Jost: Wenn die Angst kommt, bin ich voll konzentriert. Jede Bewegung sitzt. Ich erfasse meine Umwelt sehr präzise. Ich bin im Flow. Ich weiß, dass ich keinen Fehler machen darf, und mache daher auch keinen. Angst ist eine Ressource für Kraft. Wenn wir Menschen uns fürchten, wachsen wir über uns hinaus. Ich suche diese Angst manchmal bewusst, weil ich weiß, wie gut sie mir tun kann.

Jost Kobusch lacht auf einem Berg in die Kamera
Jost fühlt sich auf den Dächern der Welt zu Hause. © Daniel Hug

#BeatYesterday.org: In dem preisgekrönten Dokumentarfilm Free Solo, der zeigt, wie Alex Honnold den El Capitan im Yosemite-Nationalpark ohne Sicherungsseil hochklettert, wird auch erklärt, dass der Spitzenkletterer eine verkleinerte Amygdala hat. Das ist ein Hirnareal, das unser Angstempfinden steuert. Honnold braucht den Wahnsinn, um Aufregung zu spüren. Ist es bei dir ähnlich?

Jost: Ich bin gerne solo und ohne Sicherung unterwegs. Das klingt absurd, aber ich fühle mich auf diese Weise sicherer. Ich kann mich allein auf mich verlassen. Stürzen ist keine Option und daher kreisen meine Gedanken auch nicht um einen möglichen Sturz. Grundsätzlich gibt es in herausfordernden Situationen zwei Möglichkeiten: die Flucht nach vorn oder den Rückzug. In diesen Momenten ist meine Intuition das wichtigste Werkzeug. Man kann sich das wie in einem riesigen Datennetzwerk vorstellen. Alle Ängste, Erfahrungen und Erlebnisse, all das, was ich bisher lernen durfte, fließt zusammen und prägt mein Bauchgefühl. An dem orientiere ich mich.

#BeatYesterday.org: Gab es trotzdem einen Moment, in dem die Angst gewann?

Jost: Wenn Dinge passieren, auf die ich keinen direkten Einfluss habe, Wetterkapriolen oder Lawinen, dann kann mich die Furcht packen und meinen Autopiloten aktivieren.

#BeatYesterday.org: Du bist die Annapurna hoch. Sie gilt als gefährlichster Berg der Welt. Everest-Helden wie Anatoli Bukrejew blieben dort verschollen. Das ist ein Ort, an dem man über jeden Schritt nachdenken sollte.

Jost: Früher betrug die Todesrate an der Annapurna etwa 33 Prozent. Drei wollten zum Gipfel rauf, nur zwei kamen heim. Es ist krass, wie viel an diesem Berg auf einen runterknallt. Eisschlag, Lawinen, der Berg ist die ganze Zeit am Kalben. Bei meiner Expedition auf die Annapurna habe ich einen sehr wichtigen Moment erlebt. Ich war nervös, der Lärm, die äußeren Bedingungen, die bloße Erscheinung des Berges. Ich verstand in diesem Moment, dass es nicht immer der höchste Punkt sein muss, dass es nicht schlimm ist, umzudrehen. Dass es bereits einmalig ist, überhaupt dort oben zu sein. Ich brauche diesen Gipfel nicht. Schön, wenn ich oben ankomme. Überhaupt nicht schlimm, wenn nicht. Meine innere Erwartungshaltung veränderte sich in dieser Situation. Ich begriff, dass das Risiko, das ich eingehe, immer mit der Belohnung, die oben wartet, übereinstimmen muss. Wenn es sich nicht lohnt, brech ich eben ab. Das hat meine Denke verändert. Ich war auf dem gefährlichsten Berg der Welt und plötzlich fühlte ich mich tiefenentspannt. Dadurch, dass mir der Rückweg immer offen stand, besaß ich die nötige Ruhe. Ich kam mit diesem Mindset entspannt oben an. Der Gipfel ist Bonus – das ist seitdem mein Leitfaden.

Jost Kobusch tanzt vor Freude auf einem Gipfel
Der Gipfel ist für Jost mittlerweile Bonus. © Jost Kobusch

#BeatYesterday.org: Die Annapurna bezwingen. Viel mehr geht nicht. Welche Ziele kommen danach?

Jost: An dem Tag erstiegen auch 15 andere die Annapurna. Das hat mich ähnlich nachdenklich gemacht wie die Erfahrungen am Lhotse, dem vierthöchsten Berg der Welt, ebenfalls in Nepal gelegen. Dort stieg man teilweise über Leitern hoch zum Gipfel. Alles war für Bergtourist*innen präpariert. Ich finde den alpinen Tourismus nicht grundsätzlich schlecht, solange die Menschen die Umwelt achten und sich benehmen. Aber dieser Komfort beim Bergsteigen stört mich. Der nimmt dem Ganzen das Wilde, das Herausfordernde.

#BeatYesterday.org: Wie findest du deine Herausforderungen?

Jost: Früher entschieden die Finanzen. Ich hatte nicht viel Geld, musste also günstige Möglichkeiten finden. Zentralasien bot sich da an. Viele Gipfel, geringe Kosten und Wildnis. Heute reizt mich die Wildnis immer noch. Mich reizen Projekte, bei denen ich mir nicht sicher bin, ob sie überhaupt möglich sind. Wo ich Routen begehen kann, die vor mir noch niemand oder nur sehr wenige gewagt haben. Unbestiegene Gipfel, Winterbegehungen, neue Routen.

Der Gipfelsturm-Soundtrack von Jost Kobusch

#BeatYesterday.org: Was ist dein nächstes Ziel?

Jost: Im Dezember will ich auf den Everest. Es ist eine Winterbesteigung, die deutlich anspruchsvollere Wetterverhältnisse bereithält als im Mai, wenn Hauptsaison ist. Außerdem wähle ich eine Route, die seit fast 30 Jahren nicht mehr erfolgreich begangen wurde. Das ist eine sehr große Herausforderung. Weltweit kann man mich bei diesem Vorhaben begleiten. Meine Positionsdaten werden in Echtzeit auf einem Online-3D-Modell abgebildet.

#BeatYesterday.org: Zu Beginn der Karriere bist du, so lässt es sich sicher sagen, naiv an die Sache rangegangen. Wie bereitest du dich mittlerweile auf diese Wagnisse vor?

Jost: Ich weiß sehr genau, was ich tue. Ich plane das Vorhaben Schritt für Schritt, bringe mich über Monate in Form. 30 Stunden körperliches Training in der Woche. Zwei Coaches unterstützen mich dabei. Ich muss körperlich absolut fit sein. Ich bin nicht nur Bergsteiger, sondern auch ein Athlet, der genau weiß, was er zu tun hat. Ich werde den Berg Schritt für Schritt erklimmen. Meinen Körper an die Höhe gewöhnen und immer wieder absteigen, um mich zu erholen. Den finalen Push, also den tatsächlichen Angriff auf den Gipfel, wage ich erst nach einigen Wochen Vorbereitungszeit am Berg.

Jost Kobusch schaut auf seine Garmin Fenix 6 oben auf einem Berg
Die fēnix 6 hilft Jost beim Auf- und Abstieg von Achttausendern. © Jost Kobusch

#BeatYesterday.org: Du wirst den Mount Everest allein besteigen. Dich begleitet am Handgelenk jedoch eine fēnix von Garmin. Warum ist dir die Uhr wichtig?

Jost: Ich liebe die Smartwatch, meine Beziehung zu ihr ist innig. Während der monatelangen Vorbereitung misst sie die Daten und überträgt die Werte auf eine Trainingsplattform. Dort analysiere und steuere ich mit meinen Trainern die Einheiten. Noch wichtiger ist die fēnix oben auf dem Berg. Während des Aufstiegs verändert sich oft das Wetter. Oben angekommen, ist der Rückweg vom Schneegestöber oder Nebel eingehüllt. Die Fähnchen, mit denen ich die Gletscherspalten markiert habe, sehe ich nicht mehr, wenn es schummrig wird. Mit der fēnix kann ich den Rückweg trotzdem finden. Ich gehe Meter für Meter so zurück, wie ich hochgekommen bin. Ich bringe die Smartwatch nach oben, sie mich runter. Das ist der Deal. Ich fühle mich mit ihr am Handgelenk sehr sicher.

Du willst hoch hinaus und mehr über das Gipfelstürmen erfahren? Auf #BeatYesterday.org teilen einige der mutigsten und stärksten Kletterer*innen ihre Erfolgsgeheimnisse und verraten dir, wie du über den Berg kommst. Ihre Beiträge findest du auf dieser Seite.

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