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Jost Kobusch: Jahrhundertprojekt am Everest

Der deutsche Extrem-Bergsteiger Jost Kobusch will den Mount Everest über den besonders unwegsamen Westgrat besteigen. Allein. Im Winter. Ohne zusätzlichen Sauerstoff. Das hat noch nie jemand geschafft.

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Es ist nicht der erste Versuch.

Bereits vor knapp zwei Jahren wollte Jost Kobusch das Undenkbare möglich machen: Als Solist den Everest besteigen, im Winter, ohne zusätzlichen Sauerstoff. Und das nicht über die populäre Südroute, auf der alpine Tourist*innen sich an befestigten Leitern und Fixseilen entlanghangeln können, sondern über den unbefestigten Westgrat.

Unbekanntes, kaum kartografiertes Gelände; ein fremder Planet auf Mutter Erde. Jost kam auf eine Höhe von mehr 7.350 Metern. Weiter, als viele Experten und Expertinnen prophezeiten. Dann kehrte er um. Freiwillig. „Das Risiko überstieg die potenzielle Belohnung”, sagt Jost.

Teile seiner geplanten Route aus Schiefer, Gneis und Gletschereis waren kollabiert. Er hatte sich eine Bänderdehnung zugezogen. Magenprobleme plagten ihn in eisigen Höhen. Auf seinem Rückweg begann der Berg zu kalben, Lawinen gingen ab. Jost kam durch.

Nun wagt der gebürtige Ostwestfale den nächsten Versuch. Anders als beim ersten Push, als er sich im unbekannten Terrain wiederfand, hat er jetzt einen Rucksack voller Erfahrungen umgeschnallt. Wenn alles klappt, steht er Ende Februar auf dem Gipfel und reiht sich in die Phalanx der Hillarys und Hubers ein, die Großen der großen Bergsteigenden.

Im letzten Interview vor seinem Aufbruch spricht Jost Kobusch über seine Vorbereitung, die Risiken und seinen Traum vom Everest im Winter. Und er verrät das Warum hinter seiner Motivation.

Portrait von Jost Kobusch vor einem Gletscher
Jost Kobusch zählt zu den verwegendsten Bergsteigern in Europa. © Jost Kobusch

#BeatYesterday.org: Jost, warum? Warum allein, im Winter?

Jost Kobusch: Ich komme aus dem eher nördlichen Deutschland, bin im Teutoburger Wald aufgewachsen. Aufgrund des Wohnortes hatte ich es schwer, Seilpartner*innen zu finden. Also habe ich meine ersten Kletterabenteuer in der Welt weitgehend solo erlebt. Das war ganz gut, hat mir Riesenspaß gemacht. Nur habe ich irgendwann bemerkt, dass ich gar nicht so isoliert unterwegs bin, wie ich dachte und hoffte. Es waren immer zuhauf andere Kletterernde am Berg, zum Beispiel an der Annapurna. Also habe ich mir dann zunächst einen Siebentausender wirklich alleine vorgenommen, an einem Tag, an dem kein anderer da war.

#BeatYesterday.org: Beschreib das Erlebnis.

Jost: Ich habe genau das vorgefunden, was ich wollte: die totale Exploration, das Aufbrechen in die absolute Wildnis, den puren Alpinismus. All das in vollumfänglicher Einsamkeit.

Jost Kobusch auf dem Mount Everest
Ein Bild wie aus der TV-Serie Chernobyl: Auf dem Everest findet sich Jost in einer unwirtlichen Umgebung wieder. © Jost Kobusch

#BeatYesterday.org: Was bedeutet es am Everest, allein zu sein?

Jost: Dass ich keinerlei Unterstützung habe, keine Sherpas, keine Partnerin oder Partner. Es heißt auch, und das liegt an der Route, dass ich kaum mit Fixseilen arbeiten werde, die mir den Weg sichern. Zum Verständnis: Auf der Südseite, dem deutlich einfacheren Zustieg, sind mehrere Kilometer Fixseil verlegt. Bei mir werden es insgesamt 130 Meter sein. Ich nutze die Sicherung ausschließlich an den riskantesten Kletterstellen. Alleinsein bedeutet andererseits, dass ich jederzeit die volle Kontrolle habe. Ich bin weniger exponiert für die Fehler anderer. Ich muss nur für meine eigenen Unzulänglichkeiten geradestehen. Ich habe Freiheit. Genau mein Ding.

#BeatYesterday.org: Warum jetzt der Everest?

Jost: Nach meinem ersten richtigen Solo-Erlebnis und dem Glücksrausch, überlegte ich, wie ich aus dieser Vorliebe das eine ultimative Projekt für mich kreieren kann. Welcher Berg bietet mir die Wildnis und das Unbekannte, ist aber zugleich ein Achttausender? Da habe ich das Schwierigste gewählt, was mir spontan eingefallen ist: den Westgrat des Everest.

Der Mount Everest, den Jost Kobusch imWinter besteigen will
Die Gipfelpyramide des Everest wird Jost alles abverlangen. © Jost Kobusch

#BeatYesterday.org: Was reizt dich an dieser Schwierigkeit?

Jost: Ich bin unglaublich neugierig, ein Terrain zu betreten, das weitgehend unbekannt ist. Von dem ich nicht weiß, ob der Gipfel über diese Route überhaupt möglich ist. Ich möchte herauszufinden, was ich als Bergsteiger und als Mensch leisten kann.

#BeatYesterday.org: Normalerweise wagen die meisten Bergsteigenden im April und Mai den Aufstieg. Was erwartet dich im Winter?

Jost: Die besten Bedingungen für einen Gipfeltag auf dem Everest herrschen im Frühling, präziser um den 25. Mai. Das ist unmittelbar vor dem Monsun. Die Temperaturen sind fast mild, die Windgeschwindigkeit ist niedrig, das Wetter zu der Zeit im Himalaja relativ stabil. Im Winter sind die Bedingungen dramatisch anders. Kälter. Sehr viel kälter. An einem guten Tag liegen die Temperaturen bei minus 40 Grad Celsius, die Windgeschwindigkeiten bei 20 Stundenkilometern. Die Böen sorgen dafür, dass sich die Gegebenheiten noch eisiger anfühlen – man sagt wie minus 70 Grad Celsius. Im Winter kann auch der Jetstream auf den Everest treffen. Dann würde der Wind mit mehr als 120 Stundenkilometern über den Gipfel peitschen.

#BeatYesterday.org: Das sind extreme Bedingungen. Wie lange hast du dich auf diese Reise körperlich vorbereitet?

Jost: Mein ganzes Leben lang.

Der Gipfelsturm-Soundtrack von Jost Kobusch

#BeatYesterday.org: Konkreter: Wie darf man sich die direkte Vorbereitung vor dem Gipfelversuch vorstellen?

Jost: Eineinhalb Monate werde ich mich vor Ort akklimatisieren, mich an die Bedingungen gewöhnen. Ich muss gesund bleiben, darf mir nichts einfangen. Ich achte auf Hygiene und darauf, wie das Essen zubereitet wird. Und vor allem muss ich mich an die Höhe gewöhnen. Mindestens 20 Tage braucht mein Körper in der Höhenluft. Erst dann bildet er mehr rote Blutkörperchen. Nur wenn ich schon vor dem Everest genug Zeit in diesen Sphären verbringe, kann sich mein Körper an die Bedingungen gewöhnen. Und ich überhaupt den Gipfel ohne zusätzlichen Sauerstoff wagen.

Jost Kobusch bei der Akklimatisierung im Gebirge
Während seiner Akklimatisierung bewegt sich Jost wochenlang im Hochgebirge. © Jost Kobusch

#BeatYesterday.org: Die Akklimatisierung ist das eine. Der tatsächliche Gipfelversuch das andere. Mit welcher Strategie willst du das – vermeintlich – Unmögliche möglich machen?

Jost: Ich werde vor dem eigentlichen Projekt einen Sechstausender aus dem Stand anpeilen, um mich an die Belastungen heranzuführen. Der Zustieg zum Everest über den Westgrat ist sehr anspruchsvoll und tückisch. Um auf 8.000 Meter in Gipfelreichweite zu gelangen, brauche ich vier bis fünf Tage. Bei den Bedingungen ist es schwierig, eine Prognose zu wagen. Zumal durch die kalten Temperaturen die sauerstoffreiche Luft ins Tal absinkt und der Luftdruck auf Gipfelhöhe weiter abnimmt. Das Atmen wird dann noch schwieriger, der Körper muss mit sehr wenig Sauerstoff haushalten. Aufgrund der Unberechenbarkeit des Wetters, des Windes und der Temperaturen kann ich nur eine defensive Strategie wählen. Viele kurze Etappen und vier Camps sind vorgesehen.

#BeatYesterday.org: Wie sieht so ein Camp aus?

Jost: In den Camps wartet nichts auf mich. Das sind karge Orte, an denen ich mein Zelt aufschlagen will. Auch mein Basecamp ist äußerst minimalistisch. Kein Duschzelt, kein Speisezelt, nichts von dem, was sonst auf Expeditionen dieser Art üblich ist. Ich will alles so minimalistisch wie möglich halten.

Camp auf dem Mount Everest von Jost Kobusch
Jost lebt im Himalaja in spartanischen Camps. © Jost Kobusch

#BeatYesterday.org: Weil du damit die Schwierigkeit weiter erhöhst, du dir mehr Wildnis bewahrst?

Jost: Weil Reise und Abenteuer so etwas nachhaltiger werden. Gemeinsam mit zwei Freunden habe ich eine NGO gegründet, sie heißt Mountain Synergies. Wir wollen uns für einen umweltbewussten Alpinismus starkmachen. Meinen Plan haben wir sehr kritisch analysiert und festgestellt, dass ich bei meinen Projekten und dem Thema Umweltfreundlichkeit einen weiten Weg vor mir habe. Ich muss niemandem etwas vormachen: Es ist unmöglich, so ein Abenteuer komplett umweltschonend zu absolvieren. Aber ich kann mich auf das Wesentliche beschränken. Dadurch, dass ich allein bin, spare ich schon sehr viel CO2 ein. Vor der Abreise habe ich Ausrüstung und Verpflegung so ausgewählt und gepackt, dass möglichst wenig Müll entsteht. Und ich will wirklich alles, was ich an den Berg schleppen werde, auch wieder mitnehmen. Sogar meine Fäkalien.

Das wichtigste Gepäck:

In und an einem einzigen Rucksack befindet sich Josts persönliche Überlebensausrüstung:

  • Zelt
  • Schlafsack
  • Isomatte
  • Kocher
  • Brennstoff
  • gefriergetrocknete Nahrung (Wasser entzogen, daher sehr leicht)
  • Kleidung und Isolierschichten
  • Powerbank
  • Ersatzhandschuhe
  • hyperstatisches Ultraleicht-Seil (6 mm dick, zum Abseilen)
  • Garmin inReach mini am Rucksack (Position wird live getrackt, SOS-Signal für Helikopter-Rettung)

Besonders wichtig? Meine fēnix 6 von Garmin am Handgelenk. Mit der kann ich mich im Dunkeln mittels GPS auf Rückwegen navigieren. Genauso hilft sie mir im Falle eines Schneesturms, der meine Spuren verwischen könnte. Auf der Smartwatch folge ich Meter für Meter dem Weg, den ich zuvor schon einmal sicher gegangen bin”, sagt Jost.

Jost Kobusch schaut auf seine Garmin Fenix 6 oben auf einem Berg
Die fēnix 6 hilft Jost beim Auf- und Abstieg. © Jost Kobusch

#BeatYesterday.org: Wie groß ist dein Zeitfenster für den Gipfel?

Jost: Der Winter beginnt meteorologisch am 1. Dezember und er endet kalendarisch am 23. März. Und genau das ist mein Zeitfenster. In dieser Zeit werde ich mich am Everest aufhalten. Würde ich es davor oder danach versuchen, wäre es für mich keine Winterbesteigung.

#BeatYesterday.org: Welches ist der gefährlichste Abschnitt der Reise – und was macht ihn so bedrohlich?

Jost: Der riskanteste Teil der Expedition beginnt nach dem dritten Camp auf etwa 7.500 Meter Höhe. Dann klettere ich Richtung Hornbein-Couloir, einer gewaltigen Steilschlucht. Dort oben bin ich komplett isoliert. Passiert mir etwas, weil ich einen Fehler mache oder Steinschläge mich treffen, was genau in dieser Passage sehr schnell vorkommt, kann nur noch eine Person mich retten: ich selbst. Ich müsste via inReach mini, das sogar dort oben Empfang hat, SOS melden und um Rettung bitten. Und danach auf eine Höhe von 7.000 Metern zurückkrabbeln, damit mich ein Helikopter – und das nur bei guten Bedingungen – mit einer Longline bergen kann. Der Weg dahin wäre eine lange und gefährliche Traverse. Bei der Kälte und dazu körperlich versehrt eine unfassbar schwierige Aufgabe.

Jost Kobusch wandert nachts durch das schneebedeckte Gebirge
Nachts verlässt sich Jost auch auf die GPS-Funktion seiner Smartwatch von Garmin. © Jost Kobusch

#BeatYesterday.org: Wie riskant ist dein Vorhaben?

Jost: Risiko lässt sich genauso wie Reichtum und Glück nicht klar quantifizieren.

#BeatYesterday.org: Wenn dein Vorhaben gelingt: Wie kann man das im Vergleich zu anderen Kletter- und Bergsteigerleistungen einordnen?

Jost: Es ist ein Jahrhundertprojekt. Um das zu schaffen, muss ich eine Jahrhundertleistung erbringen.

Du willst Jost begleiten?

Du willst wissen, ob Jost Kobusch das Jahrhundertprojekt packt? #BeatYesterday wird das Abenteuer von Jost weiter auf allen Kanälen begleiten. Zudem kannst du die Expedition zeitnah über ein GPS-Tracking live mitverfolgen.

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Sven
23.11.2021 | 08:55 Uhr

Schade, dass ihr Messner nicht genannt habt. Sonst ein schöner Artikel.

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Ein Kommentar

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Sven
23.11.2021 | 08:55 Uhr

Schade, dass ihr Messner nicht genannt habt. Sonst ein schöner Artikel.