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Teichmann wandert #3: Orientierung suchen, Heimat finden

Auf seinen Wanderungen durch Deutschland ließ sich Andreas Teichmann treiben. So entdeckte er unbekannte Orte und lernte Spontanität zu schätzen. Teil #3 seiner Wander-Kolumne: Orientierung.

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Ort: Rasdorf
Bundesland: Hessen
Koordinaten: 50°43’24.1″N, 9°55’59.3″E

Wir Deutschen neigen angeblich zum besonders ausschweifenden Planen. Alles muss vorbereitet sein, am besten ein halbes Jahr im Voraus. Die Frage, die mir nach meinen beiden Deutschlandwanderungen über 50 und 51 Etappen am häufigsten gestellt wird, kommt daher wenig überraschend: Du, Andreas, wie hast du dich eigentlich vorbereitet und die Strecke abgesteckt?

Nun, ich habe sie gar nicht abgesteckt, antworte ich dann. Tatsächlich orientierte ich mich bei meinen beiden Wanderungen längs und quer durch Deutschland nur anhand eines Punktes – dem Endziel meiner jeweiligen 50-Tage-Reise. Beinahe jede Etappe entstand komplett spontan. Am Abend nach einer Tour gab ich in meine Navigation immer wieder aufs Neue den Zielort meiner großen Reise ein. Anschließend schaute ich, wo ich für den nächsten Tag, etwa 24 Kilometer weiter, einen Schlafplatz finden würde. Meist rief ich noch abends in der Herberge an und reservierte ein Zimmer für den kommenden Abend. Dann stand die Etappe. Vorher nicht.

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Der Grund, warum ich spontan plante, ist simpel. Ich wollte das Land unverblümt kennenlernen, mich treiben lassen, wirklich etwas Neues sehen. Nicht das erkunden, was ich schon kenne oder bekannte Wanderführer empfehlen. Hätte ich die Reise minutiös geplant, hätte ich einen der interessantesten Orte Deutschlands wahrscheinlich gar nicht entdeckt. Point Alpha, 50°43’24.1″N, 9°55’59.3″E.

Zwei Wachtürme und ein Kirmesbaum

Am Point Alpha verlief nicht nur die innerdeutsche Grenze zwischen BRD und DDR, auch die Ideologien beider Machtblöcke stießen hier zusammen. Die zwei Wachtürme der russischen und amerikanischen Grenzer beäugen sich noch heute mit Sicherheitsabstand. Näher als hier, wo sich Hessen und Thüringen in der bezaubernden Rhön aneinanderschmiegen, kamen sich die Kontrahenten im Kalten Krieg nie. Dass ich überhaupt am Point Alpha ankam, hatte ich einem Mann zu verdanken, den ich auf meinem Weg traf. Er sagte zu mir, dass ich bestimmt zur Gedenkstätte wolle. Dabei hatte ich noch nie von einem Mahnmal in der Nähe gehört. Wikipedia schloss meine Wissenslücke und ich pilgerte kurz entschlossen los.

Fast noch faszinierender als die beiden Wachtürme war der Kirmesbaum, der sich an der heutigen Landesgrenze 30 Meter in den Himmel streckte. Ketten hielten den Festschmuck kerzengerade. Als ich den amerikanischen Wachturm bestieg, kam mir das prächtige Ungetüm direkt vor meinen Augen noch riesiger vor. Er passte perfekt ins Panorama aus Wald, Wiesen und den zarten Hügelketten. Die Rhön war früher eine arme Region, die Menschen hatten es nicht leicht, sie lebten im Randgebiet zweier Länder, fernab von Wirtschaftswunder und neuem Wohlstand. Sie haben trotzdem das Schönste draus gemacht. Der Baum nur ein Beweis dafür.

Orientierung dank der Fremde

Anders als viele andere Orte auf meiner Reise, die nur sporadisch besucht waren, an denen ich Ruhe in der Einsamkeit fand, wimmelte es auf der ehemals westdeutschen Seite von Menschen. Besonders viele Amerikaner waren damals zu Besuch. Ehemalige Grenzsoldaten zeigten Kindern und Enkeln ihren einstigen Einsatzort. Auch ich lernte viel. Zum Beispiel, dass Kirmes nicht gleich Kirmes ist.

Als mir gesagt wurde, dass der Landschaftsschmuck „Kirmesbaum” heißt, hatte ich an einen Jahrmarkt gedacht. Kirmes ist für mich, als Kind des Ruhrgebiets, ein Ort, wo Karussells rasen, Lampen blinken und laute Musik dröhnt, während es überall nach gebrannten Mandeln und Zuckerwatte duftet. In der Rhön steht der Begriff für eine Art Kirchweihe. Mitglieder der Kirmesgesellschaften, sogenannte Kirmespaare, tanzen um den Baum. Die Menschen auf beiden Seiten der Grenze, Geisa in Thüringen und Rasdorf in Hessen, feierten zum 30-jährigen Einheitsjubiläum erstmalig an diesem Ort in großer Eintracht. Das, was eins getrennt war, ist zusammengewachsen. Die Einheimischen trinken und tanzen ein ganzes Wochenende, und sie tun das – in corona-freien Zeiten – glücklicherweise endlich gemeinsam.

Orientierung hieß auf meiner Reise, dass ich nicht nur für mich neue Wege gegangen bin, sondern ich es zuließ, dass mich die Begegnungen und Gespräche mit fremden Menschen von Ort zu Ort führten. Es bedeutete auch, mich mit den Eigenheiten und Traditionen der Menschen dieses Landes zu beschäftigen. Ich lernte, dass ein und dasselbe Wort wie Kirmes unterschiedlichste Bedeutungen haben kann. Ich habe mich auf dieser Reise möglichst wenig orientiert – und doch habe ich durch das Wandern sehr viel mehr Orientierung gefunden. Verstehen und verstanden werden: Das ist Heimat.

Der Wandertipp:

Bei aller Spontanität: Vor dem Start einer jeden Tagesetappe sollte die Unterkunft am Zielort stehen. Andere Wanderer erzählten mir, wie sie abends noch mit dem Taxi auf Hotelsuche in Nachbardörfer fuhren. Teuer und unnötig stressig.

Techniktipp: Ich navigierte meine Touren sowohl über mein Handy mit Komoot, als auch über meine Garmin-Uhr. So kam ich nicht nur dort an, wo ich ankommen wollte, sondern dokumentierte gleichzeitig meine Wanderungen für die Nachwelt.

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Über diesen Artikel

Autor Andreas Teichmann

Autor:in:

Andreas Teichmann

Andreas Teichmann arbeitet als Fotojournalist für Medien wie Geo oder Der Spiegel. Teichmann lebt und …

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