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Epigenetik: Speiseplan für gesunde Gene?

Mit Epi-Food zu besseren Genen? Das verspricht ein neuer Ernährungstrend. Ob mehr als ein Mythos dahintersteckt, liest du hier.

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Am Modell „Pax“ verzweifelten schon viele Menschen. Der beliebte wie verhasste Kleiderschrank eines schwedischen Möbelherstellers verspricht Ordnung im Klamotten-Chaos. Wäre da nicht dieser verflixte Aufbau. Erschwert von einer Anleitung, die mehr verwirrt als erklärt. Und am Ende bleiben fünf Schrauben übrig. Oder noch schlimmer: es fehlt eine.

Deinem Körper gelingt der Aufbau komplexer Strukturen für gewöhnlich besser. Denn auch er besitzt Anleitungen – und zwar für deine Gene. In der Fachsprache wird das als sogenannte „Epigenetik“ bezeichnet. Sie regelt die Aktivität deiner Zellen und hat damit enormen Einfluss auf deine Gesundheit – im Positiven wie im Negativen. Mit deinen Mahlzeiten kannst du diese Anleitungen beeinflussen. Doch gibt es dafür Beweise?

Was ist Epigenetik?

Zur Erklärung der Epigenetik hilft ein kurzer Exkurs in den Biologieunterricht. Gene sind der Bauplan deines Körpers. Als DNA (Desoxyribonukleinsäure) bestimmen sie zum Beispiel deine Augenfarbe oder Körpergröße. Unterschiede entstehen durch verschieden angeordnete Basenpaare in der DNA.

Doch Gene allein sind nicht alles. Wie anfällig du beispielsweise für Typ-2-Diabetes bist, hängt nur zu 30 Prozent von deiner genetischen Veranlagung ab. Größeren Einfluss haben Faktoren wie Umwelt, Lebensstil, Stress, Schlaf – und deine Ernährung.

Genau hier setzt die Epigenetik an. Die Bedienungsanleitung deiner Gene reguliert, welche Teile aktiv sind und welche nicht. Die sogenannte Genexpression. Denn obwohl alle Zellen nahezu gleich aufgebaut sind, unterscheiden sie sich stark in ihrer Ausprägung. Äußere Faktoren verändern nicht die Gene selbst, sondern ihre Aktivität.

Was heißt das nun? Epigenetik lässt sich gut an eineiigen Zwillingen veranschaulichen: Eineiige Zwillinge besitzen fast identisches Erbgut. Dennoch können sich ihre epigenetischen Muster deutlich unterscheiden. Das kann sich in der Persönlichkeit äußern, bei den Vorlieben oder bei der Krankheitshäufigkeit. Denn Epigenetik ist keine starre Anleitung. Sie lässt sich beeinflussen.

Genetik ist wie die Hardware, und Epigenetik wie die Software. Oder Genetik sind die Wörter und Epigenetik die Grammatik. Sie sind also beide wichtig.

Janine LaSalle, Professorin für Medizinische Mikrobiologie und Immunologie

Gute Gene durch Ernährung?

Epi-Food soll den Körper vor negativen Einflüssen schützen. Denn Ernährung liefert nicht nur Energie und Nährstoffe. Sie wirkt auch auf deine Gene. Bestimmte Mikro- und Makronährstoffe wirken als sogenannte epigenetische Modulatoren. Sie sollen an den Schaltern deiner DNA drehen können und so mitentscheiden, welche Anleitung dein Körper nutzt.

Diese drei Mechanismen nehmen Einfluss: 

  1. DNA-Methylierung: Hier heften sich Methylgruppen an die DNA-Base Cytosin – eine epigenetische Markierung. Sie signalisiert dem Körper, bestimmte Gene nicht abzulesen. Diese Gene bleiben inaktiv. Dadurch können aus identischer DNA unterschiedliche Zellen entstehen – beispielsweise Nerven- oder Hautzellen.
  2. Histon-Modifikationen: Histone sind Eiweiße, um die die DNA im Zellkern gewickelt ist. Äußere Einflüsse können diese Proteine verändern und damit festlegen, wie eng oder locker die DNA gebunden ist. Locker gewickelt lässt sie sich leichter ablesen, fest gewickelt bleibt sie stumm – die Genexpression ist also gehemmt. Das beeinflusst zum Beispiel, ob ein Gen für ein Entgiftungsenzym aktiv ist oder nicht.
  3. Micro-RNAs: Sie übernehmen die Feinarbeit. Sie verändern weder die DNA noch ihre Wicklung. Stattdessen entscheiden sie, welche der bereits abgelesenen Gene wirklich in Eiweiße übersetzt werden. Man kann sie sich wie kleine Filter vorstellen, die nur bestimmte Anweisungen durchlassen. Zum Beispiel, ob ein Protein für die Zellteilung tatsächlich gebaut wird oder nicht.
Eine Frau isst aus einer Schale gefüllt mit Gemüse und einem Spiegelei obenauf.
© ArtMarie / E+ / Getty Images

Diese Inhaltsstoffe wirken auf deine Gene

Einige Nährstoffe können epigenetische Prozesse direkt beeinflussen. Aber welche sind das?

Folat, Vitamin B12, Cholin und Betain können vor allem die DNA-Methylierung antreiben. Sie stecken zum Beispiel in:

  • Hülsenfrüchten (Kichererbsen, Linsen, Bohnen)
  • Fleisch (Leber, Huhn, Rind)
  • Eier (vor allem im Eigelb)
  • Fisch (z. B. Lachs, Thunfisch)
  • dunklem Blattgemüse (Spinat, Grünkohl, Mangold)
  • Vollkornprodukten (Hafer, Vollkornreis, Vollkornbrot)

Fehlt es dir an diesen Methylgruppen-Lieferanten, soll das Risiko für Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen steigen.

Pflanzenstoffe wie Polyphenole und Sulforaphan wirken über Histon-Modifikationen und Micro-RNAs. Sie helfen deinem Körper beim An- und Abschalten bestimmter Gene und finden sich zum Beispiel in:

  • Grünem Tee
  • Beeren (Blaubeeren, Himbeeren, Erdbeeren)
  • Brokkoli
  • Blumenkohl
  • Kurkuma (Curcumin)
  • Zwiebeln und Knoblauch
  • Soja-Produkten (z. B. Tofu, Edamame)

Die Polyphenole aus grünem Tee oder Beeren können entzündungsfördernde Gene hemmen. Das in Brokkoli oder Blumenkohl enthaltene Sulforaphan fördert die Aktivierung von Entgiftungsenzymen.

Was weißt die Wissenschaft über den Einfluss der Ernährung?

Mit passender Ernährung zu gesunden Genen? Ganz so einfach ist es nicht. Denn die bisherigen Studien zur Epigenetik sind (noch) nicht sehr aussagekräftig. Oft wurden sie nur an kleinen Versuchsgruppen oder an Tieren durchgeführt. Auch Wechselwirkungen mit anderen Lebensfaktoren lassen sich kaum ausschließen. Dennoch deuten die Ergebnisse Potenziale an.

Eine Übersichtsarbeit der Klinik in Lausanne lässt Effekte auf das genetische Alter erahnen. In den Ergebnissen tat sich besonders die mediterrane Ernährung hervor. Sie konnte die epigenetische Alterung merklich verlangsamen.

Einen weiteren Effekt beobachteten Forschende der Universität in Alabama. In ihrer Studie wirkten epigenetisch aktive Nährstoffe nicht nur auf die Zellalterung. Auch beeinflussten sie ein Gen für die Tumorsuppression. Laut Forschenden könnte das das Risiko für Krebs senken. Sogar genetische Risikomarker einer Krebserkrankung ließen sich in der Untersuchung abschwächen.

Doch nicht nur die Inhaltsstoffe können deine Gene beeinflussen. Auch die Menge scheint entscheidend. Das zeigte eine Studie des Max-Planck-Instituts für Biologie des Alterns. Bei Mäusen verlängerte eine um 40 Prozent reduzierte Kalorienzufuhr die Lebensspanne um 30 Prozent. Grund dafür soll ein angeregter Fettstoffwechsel sein, der Ablagerungen im Alter verringert.

„Weniger zu essen kann teilweise gegen durch das Altern ausgelöste Veränderungen im Methylierungsmuster schützen und dabei gleichzeitig den Fettstoffwechsel ankurbeln. Das scheint vorteilhafte Veränderungen im Körper auszulösen.“

Oliver Hahn, Doktorand in der Abteilung Partridge am Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns

Epigenetik ist veränderbar – anders als deine DNA

Noch braucht die Epigenetik weitere wissenschaftliche Belege. Fest steht aber: Im Gegensatz zu Veränderungen in der DNA sind epigenetische Modifikationen reversibel. Das bedeutet: Ungünstige Entwicklungen durch beispielsweise schlechte Ernährung lassen sich korrigieren. Denn du veränderst deine DNA nicht, du passt nur ihre Funktion an. Das eröffnet neue Möglichkeiten zur Behandlung von Krankheiten und kann sogar vorbeugend wirken – die sogenannte epigenetische Prävention.

Wie baust du Epi-Food im Alltag ein?

Konkrete Empfehlungen lassen sich bisher nicht geben. Es fehlen Langzeitstudien, die zeigen, welche Lebensmittel gezielt auf die Epigenetik wirken. Professorin Anette Schürmann vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam erklärt: „Wir können nicht sagen, dass jemand, der viel Brokkoli isst und auf Zucker verzichtet, dadurch fehlregulierte Gene wieder korrigiert. Für gezielte Ratschläge ist es zu früh.“

Sicher ist jedoch: Die allgemeinen Empfehlungen für eine gesunde Ernährung gelten auch hier. Wenig verarbeitete Lebensmittel, viel Obst und Gemüse, ein abwechslungsreicher Speiseplan, Vollkornprodukte und gesunde Fette schaden nicht und sind in jedem Fall sinnvoll.

Bestätigt ist der Einfluss der Nahrungsmenge. So können Fastenphasen die Methylierungsmuster der DNA positiv wandeln. Studien mit Mäusen zeigen, dass die Epigenetik einer dicken Maus nach einem Fastenprogramm der einer dünnen Maus gleicht.

Die Ernährung wirkt aber nicht allein. Auch Bewegung beeinflusst sie. So kann körperliche Aktivität in der Schwangerschaft sogar das Kind später vor Fettleibigkeit schützen.

Ganz wichtig: Erwarte keine sofortigen Effekte. Epigenetische Modifikationen entstehen nicht nach einer Mahlzeit. Laut Forschenden braucht es Wochen oder Monate dafür.

Fazit: Hilfreich ja, Allheilmittel nein

Gene sind kein starres Konstrukt, du kannst sie beeinflussen. Wie stark die Ernährung dabei wirkt, ist jedoch noch nicht genau abzuschätzen. Klar ist nur: Epigenetik ist kein Schalter, den du sofort umlegen kannst. Es braucht Geduld – und eine dauerhaft gesunde Ernährung.

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Quellen
  1. https://www.barmer.de/gesundheit-verstehen/leben/ernaehrung/epi-food-1281956
  2. https://www.mpg.de/11205784/epigenetik-diaet
  3. https://akademie-gkj.de/91-interview-manuel-burzler/
  4. https://www.bbaw.de/mediathek/archiv-2022/epigenetik-die-sprache-der-gene
  5. https://taz.de/Forscherin-ueber-Epigenetik/!5744430/
  6. https://www.falstaff.com/happylife/news/longevity-beginnt-im-alltag-epigenetik-expertin-nike-schroeder-im-interview
  7. https://www.scinexx.de/dossierartikel/identisch-aber-nur-fast/
  8. https://www.simplyscience.ch/teens/wissen/zwillinge-im-brennpunkt-der-gen-forschung
  9. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/30355391/
  10. https://wellness.ucdavis.edu/article/what-does-epigenetics-have-to-do-with-wellness-a-qa-with-dr-janine-lasalle-ph-d/
  11. https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC4286704/
  12. https://www.frontiersin.org/journals/aging/articles/10.3389/fragi.2024.1417625/full
  13. https://de.wikipedia.org/wiki/Epigenetik
  14. https://flexikon.doccheck.com/de/Epigenetik
  15. https://www.biochem.net/de/news/articles/der-maechtigste-methylgruppenlieferant
  16. https://www.mdpi.com/2072-6643/7/2/922
  17. https://genomebiology.biomedcentral.com/articles/10.1186/s13059-017-1187-1
  18. https://www.deutscheklinik.de/deutsche-klinik/forschung-innovation/epigenetik
  19. https://www.infodrog.ch/de/wissen/praeventionslexikon/epigenetik.html
  20. https://flexikon.doccheck.com/de/Histonmodifikation
  21. https://www.umweltbundesamt.de/themen/gesundheit/belastung-des-menschen-ermitteln/epigenetik
  22. https://studyflix.de/biologie/methylierung-2554

Über diesen Artikel

Kevin Berg © Redaktion

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Kevin Berg

Kevin Berg ist seit 2019 #BeatYesterday-Redakteur mit vielen Interessen. Als Journalist wurde Kevin an einer …

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