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André Greipel: Gegen den Berg

Radsportler André Greipel muss sich auf großen Rundfahrten über Berge quälen. Wie ihm das erfolgreich gelingt und was Amateure beachten sollten – ein Gastbeitrag vom „Gorilla”.

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Mein Kopf spielte nicht mehr mit. Mir fehlte der letzte Wille. Vielleicht waren die Berge an diesem Nachmittag einfach stärker. Auf der 12. Etappe der Tour de France 2018 bin ich auf dem Weg nach L’Alpe d’Huez aus dem Rennen ausgestiegen. Das erste und bisher einzige Mal in meiner Karriere kam ich beim bedeutendsten Radrennen des Jahres nicht im Ziel auf der Pariser Champs-Élysées an. Das war eine Enttäuschung. Und doch ein sehr lehrreicher Moment.

L’Alpe d’Huez, eine der berühmtesten Bergankünfte der Tour in den französischen Alpen, hat schon viele Radsportler verzweifeln lassen. In jenem Jahr war der Anstieg aber nur der Gipfel einer ungewöhnlich harten, tagelangen Tortur. Nach der schlauchenden Fahrt nach Roubaix, mit den berühmten Kopfsteinpflasterpassagen, die einen komplett durchschütteln und gerne mal mit Blutergüssen beschenken, und nur einem Ruhetag, waren wir drei Bergetappen hintereinander gefahren.

Über 13.000 Höhenmeter innerhalb von drei Tagen. Ein Pass nach dem anderen. Die Kraft war irgendwann weg. Entschwunden aus den Beinen, vor allem aber aus dem Kopf. Wenn die mentale Fitness nicht mehr da ist, man nicht bei der Sache ist mit den Gedanken, sondern lieber hadert, sollte man sich nicht in hochriskante Abfahrten stürzen. Das weiß jeder Profi-Fahrer. Mein Ausstieg damals ärgerte mich. Er war aber die richtige Entscheidung.

Radprofi André Greipel bei der Tour de France
Greipel erhielt aufgrund seiner kräftigen Statur den Beinamen „Gorilla”. © bettiniphoto

Mentaler Druck am Berg

Als Sprinter, der einiges an Gewicht mitbringt, sind die Bergetappen bei großen Radrennen immer eine sportliche Herausforderung. Sie sind aber vor allem eine mentale Prüfung. Ein Härtetest für Körper und Geist. Selbst wenn wir in diesem Terrain nicht um Siege fahren, zählt für uns Sprinter jede Sekunde. Trödeln kann sich niemand leisten.

Wir müssen eine sogenannte Karenzzeit einhalten. Sind wir auf der Etappe im Vergleich zum Tagessieger zu langsam, droht uns die Disqualifikation. Alle Ziele und Pläne, die man sich für die drei Wochen vorgenommen hat, wären dann innerhalb von einem Tag dahin. Der psychische Druck wirkt schon am Morgen enorm. Wir wissen vor einer Etappe nie, wie anstrengend das Rennen wirklich werden wird. Wir können das nur erahnen.

Geben die besten Berg- und Klassementfahrer an der Spitze permanent Vollgas, attackieren sie sich am Anschlag, wird es für alle anderen deutlich schwieriger, nicht aus der Karenzzeit zu fallen. Über Funk bekommen wir laufend Informationen, wo wir uns im Rennen gegen die Disqualifikation befinden. Reicht es locker? Müssen wir noch mehr drücken? Und geht das überhaupt, kurzfristig an Tempo zulegen?

Wir fahren für unsere Verhältnisse zügig den Berg hinauf und bewegen uns in den Wattbereichen, die wir uns vorgenommen haben. Das Tempo in diesen Situationen zu erhöhen, ist viel leichter gesagt als getan. Zumal es immer Risiken birgt, aus dem gleichmäßigen Trott auszubrechen. Es ist die berühmte Wettfahrt mit der Zeit. Selbst wenn wir die Berge bezwingen, haben wir manchmal erst auf den letzten Metern die Gewissheit, ob wir am nächsten Tagen starten dürfen oder heimfahren müssen.

Richtig anfangen – der Berg beginnt im Tal

Das Training entscheidet wie bei jedem anderen Sportler über Erfolg und Misserfolg. Es ist ein Irrglaube, dass man als Sprinter besonders oft das Sprinten trainiert. Viel wichtiger ist das Grundlagentraining. Tausende Kilometer drücken auf der Straße, im Flachen wie im Bergigen. 90 Prozent des Trainings zahlen auf die Kraftausdauer ein. Das Sprinten ist nur ein überschaubarer Teil in der Saisonvorbereitung. Eine außergewöhnlich hohe Endgeschwindigkeit nutzt wenig, wenn wir zum Ende einer Etappe nicht mehr die Körner besitzen, um sie abzurufen. Oder wenn wir bei der ersten Bergetappe aus dem Klassement fliegen.

Im Radsport sagt man, dass das Bergfahren nicht auf den Pässen beginnt, sondern unten im Tal. Bei den Tausenden Trainingskilometern im Flachland. Mindestens 20 Stunden pro Woche bin ich in der Saisonvorbereitung auf der Straße. Wer sich an die hohen Berge wagen will, braucht viel Erfahrung und noch mehr Kilometer in den Oberschenkeln. Die Verpflegung unmittelbar vor und während des Rennens ist genauso wichtig. Wir Radsportler verzehren ganz normale Sachen, die jeder „im Supermarkt“ bekommt: Reiswaffeln, Gels, Riegel. Damit kann sich jeder Amateurfahrer eindecken.

André Greipel trainiert nach seiner Verletzung im heimischen Keller
Training daheim: André Greipel trainiert nach seiner Verletzung im heimischen Keller. © André Greipel

Das Entscheidende am Berg

Das Einteilen der Kraft ist für Profis und Amateure oft das Entscheidende am Berg. Auch ich habe zu Beginn meiner Karriere dieselben Anfängerfehler wie alle anderen gemacht. Ich fuhr viel zu schnell an, übermotiviert, ohne Plan. Hinten raus fehlte die Kraft, die Steigung zog sich immer länger. Selbst wenn es nach dem Gipfel einige Kilometer bergab geht, dürfen wir in Abfahrten nicht nachlassen. In diesen Bergabpassagen kann man viel Zeit gewinnen oder verlieren.

Ist der Kopf vernebelt, sehen die Augen nicht klar, sind die rasanten Abfahrten lebensgefährlich. Die Beine sind beim Bergauf- und Bergabhetzen nur das eine. Der Kopf muss mitmachen, dafür sorgen, dass wir an die Verpflegung denken. Jeder vergessene Schluck oder Happen kann wertvolle Konzentration und damit Zeit kosten.

Nach meinem Trainingssturz im Februar, bei dem ich mir auf rutschiger Straße die Schulter brach, konnte ich eine Weile nur auf dem Rollentrainer in meinem Keller trainieren. Dort ist es durch das summende Gerät laut, es fehlt die frische Luft. Ich vermisse die Straße, die Natur. Auf dem Rollentrainer wird mir immer wieder bewusst, wie schön auch das Bergauffahren ist. Welches Privileg ich genieße, das beruflich zu tun.

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