Bike

Pierre Bischoff: „Ankommen - die Reise meines Lebens”

Pierre Bischoff ist erfolgreicher Ultra-Radfahrer. Dabei geht es ihm nicht mal um das Gewinnen. Er will erleben und ankommen. Für #BeatYesterday schreibt er über die Tour seines Lebens, von Wladiwostok über Malaga nach Duisburg.

Teilen

Der Russe hatte Knieschmerzen. Und davon war ich genervt. Ich machte stets die Führungsarbeit, fuhr im harten Ostwind, was sehr anstrengend ist. Der Russe, Vladimir Gusev, ein ehemaliger Profi, half nicht mehr mit. Kein bisschen. Er leistete keinen Beitrag, hielt nichts von Teamwork und gönnte mir keine Sekunde Windschatten. „Die Knie”, sagte er.

Ich fuhr Schlangenlinien, um ihn zu nerven. Er fuhr in Schlangenlinien hinter mir her. Ich zielte auf jedes Schlagloch, das ich in Sibirien finden konnte, doch Gusev folgte mir trotzdem. Er holperte stöhnend durch die Pampa. Irgendwann gab er auf. Die Knie.

Was heißt eigentlich gewinnen?

Ich bin eigentlich gar nicht der Typ für diese Sperenzien. Ich will nicht unbedingt gewinnen. Manche werfen mir vor, dass ich nicht wie ein Sieger denke und fahre. Aber muss man Rennen gewinnen, um ein Sieger zu sein? Und was heißt eigentlich „gewinnen”?

Für mich bedeutet gewinnen, dass ich etwas erleben, mit Kollegen ankommen und die Zeit auf dem Fahrrad genießen will. Normalerweise bin ich bekannt dafür, auch für meine vermeintlichen Rivalen zu arbeiten. Ihnen zu helfen, ins Ziel zu kommen. Ich spende gerne Windschatten. Eigentlich.

Doch Gusev war arrogant. Er dachte, dass er uns als ehemaliger Profi über die 9.100 Kilometer von Moskau nach Wladiwostok locker abhängt. Manche Straßenradfahrer halten leider nicht viel von uns Ultraradfahrern. Für sie ist das, was wir machen, kein richtiger Radsport. Gusev war so ein Typ und teilte uns das auch unterschwellig mit.

Ultra-Rennen schweißen die Fahrer zusammen wie damals die Beatles – John, Paul, Ringo und George. © Denis Klero / Red Bull Content Pool
Ultra-Rennen schweißen die Fahrer zusammen wie damals die Beatles – John, Paul, Ringo und George. © Denis Klero / Red Bull Content Pool

Es stimmt ja, dass die Profis von der Straße sehr viel schneller fahren können als wir. Sie sind Ferraris. Aber wir sind Lokomotiven mit einer schier unendlichen Reichweite. Wir gehen nicht einfach kaputt, sind robuster als jeder Sportwagen. Das wollte ich Gusev zeigen. Das sollte er lernen. Das Red Bull Trans-Siberian Race 2018 war für mich aber auch abseits dieser Fehde ein erfolgreiches Rennen. Ich habe es gewonnen, das war ein bedeutender Sieg für mich.

60 Tage durch Russland

Am Ende des Rennens war ich doppelt im Ziel. Auf dem Siegerpodest und endlich wieder in Wladiwostok, am japanischen Meer. Da wollte ich hin. Denn nach den 9.100 Kilometern (verteilt auf 15 Etappen und 25 Tage) sollte mein eigentliches Abenteuer erst noch beginnen. Anders als bei meinem ersten Trans-Siberian-Race nahm ich für den Rückweg nicht das Flugzeug, sondern mein Rad und einen Anhänger. Ich fuhr 60 Tage durch die Wildnis Russlands und die kleinen, zwischen den Feldern und Wäldern vertröpfelten Ortschaften. Das Abenteuer meines Lebens.

Erster! Pierre Bischoff erreicht das Ziel in Wladiwostok. 9.105 Kilometer saß er zuvor auf dem Fahrrad. © Pavel Sukhorukov / Red Bull Content Pool
Erster! Pierre Bischoff erreicht das Ziel in Wladiwostok. 9.105 Kilometer saß er zuvor auf dem Fahrrad. © Pavel Sukhorukov / Red Bull Content Pool

Russland-Reisen: Sie geben alles

Was das Schöne an Russland ist? Es ist genauso, wie man es aus den Fernseh-Dokumentationen oder niedergeschriebenen Reiseberichten kennt. Die Menschen sind gastfreundlich. Sie haben wenig und geben doch fast alles. Über die Strava-App oder Facebook, wo meine weitere Reise von Radsportfans verfolgt wurde, fragten mich wildfremde Frauen und Männer, ob ich einen Schlafplatz brauche und Hunger habe. Sie luden mich ein. Einfach so. Ich traf eine Hochzeitsgesellschaft am Straßenrand und musste anhalten. Sie wollten einen Wodka mit mir trinken. Einfach so. Erst war ich für die Menschen ein Fremder. Dann ein Mann, der nur sein Rad hatte und Hilfe brauchte. Und wie sie halfen!

Eine meiner schönsten Begegnungen hatte ich in der Oblast Amur im äußersten Südosten Russlands. Ich war ein paar Tage unterwegs, als ich in einer Kleinstadt einen Schlafplatz suchte. Ich sah am Straßenrand einen Mann vor seinem Haus. Ich fragte ihn, ob ich mein Zelt in seinem Garten aufstellen könnte. Er gab mir zu verstehen, dass er erst seine Frau fragen müsse.

Wenig später kam er raus und sagte: „Du kannst im Schuppen schlafen. Aber nur für Geld”. Da stand seine Frau schon draußen an der Tür, schüttelte mit dem Kopf und rief energisch: „Kein Geld. Du bist Gast. Hast du Hunger?”

Pierre Bischoff (links) traf in Russland besondere Menschen. Immer dabei: der Wodka. © privat
Pierre Bischoff (links) traf in Russland besondere Menschen. Immer dabei: der Wodka. © privat

Camping auf Sofas und in der Wildnis

Ich wurde in das Haus gebeten und mir wurde auf dem Sofa ein herrliches Bett hergerichtet. Der Mann nahm mich mit in den Schuppen und sagte: „Wir kennen uns nicht. Also lass uns Freunde werden. Mit Wodka.” Wir gingen an diesem Tag mehrmals dorthin, um auf unsere Freundschaft zu trinken. Wir sprachen kaum die gleiche Sprache, doch wir verstanden uns. Mit unserer Körpersprache und einem Mischmasch aus Russisch, Englisch und Deutsch. Später erfuhr ich: Mein Gastgeber brannte zuhause Schnaps und versorgte damit seine Nachbarschaft. Wenn kein „Business-Tag” war, hing ein roter Topfdeckel am Gartenzaun. Als ich zu Gast war, hing dieser Deckel da.

Wenn ich nicht bei Fremden schlief, kampierte ich fast jeden Tag in der Natur. Ich fuhr die Feldwege entlang und suchte mir einen schönen Platz für mein Zelt. Meine Faustregel war, mich nie weiter als einen Kilometer entfernt von einer großen Straße niederzulassen. Der Lärm der Autos vertreibt die russischen Bären. Das einzige Tier, was ich hautnah erlebte, war eine Maus, die sich ins Zelt geschlichen hatte und sich an meinen Süßigkeiten verging.

Ein günstiges Reiseland

Russland ist nicht nur ein sehr gastfreundliches Land, es ist auch günstig zum Reisen. Ich aß neben M&Ms und Bounty-Riegeln (Kokos gibt lange Energie) oft in kleinen Cafés. Dort bestellte ich am liebsten Pelmeni, russische Teigtaschen, gefüllt mit Spinat, Frischkäse oder Fleisch. Oder ich hielt an der Tankstelle, direkt an der Straße, und versorgte mich dort mit dem Nötigsten. Obwohl das nicht die billigsten Möglichkeiten sind, um zu essen, lebte ich von sechs bis sieben Euro am Tag. Einmal die Woche nahm ich mir ein günstiges Hotelzimmer, genoss die Dusche und füllte meine drei Powerbanks (20.000 Milliamper) mit Energie. Das Reisen mit Zelt und Fahrrad lehrt einem Sparsamkeit und Pragmatismus.

Diese Reise war aber nicht nur romantisch. Sie war bisweilen auch eine Qual, eine Herausforderung. Ich lernte, dass der russische Herbst kein freundlicher Begleiter ist. Bis auf die letzten Tage im August reiste ich bei widrigen Wetterbedingungen. Es war kühler als erwartet, oft nass, fast immer windig. Mir fehlte der Kontakt zur Familie. Manchmal dachte ich: Hätte ich bloß nicht so eine große Klappe gehabt und diese Reise bei vielen Freunden und Bekannten angekündigt. Jetzt hatte ich keine Wahl. Ich musste mich durchbeißen.

Auch die russischen Straßen können sehr gefährlich sein. Einmal schleuderte mich mein Anhänger (ich hatte das falsche Set-Up gewählt und ihn nicht richtig befestigt) mitten auf eine Verkehrsstraße und mir misslang das Gegensteuern. Nur die Aufmerksamkeit der Fahrzeuge hinter mir verhinderten ein schweres Unglück. Auch lernte ich, dass der Respekt vor Radfahrern auch in Russland abnimmt, sobald es in die großen Städte und Ballungsräume geht.

Ob in der Wildnis, in Wohnzimmern oder wie hier im Schuppen – jedes Nachtlager war ein Besonderes. © privat
Ob in der Wildnis, in Wohnzimmern oder wie hier im Schuppen – jedes Nachtlager war ein Besonderes. © privat

Heute Moskau, morgen Malaga

Das Nervigste war aber weder das Wetter noch der Verkehr. Es war der Zeitdruck. Einen Monat hatte das Trans-Siberian-Race verschlungen, blieben nur noch 60 Tage meines Russland-Visums. Dann musste ich das Land verlassen. Ich musste also täglich eine Strecke fahren, egal ob ich es irgendwo besonders schön fand und bleiben wollte – oder ob ich mich angeschlagen fühlte und mich nach Rast sehnte. Ich musste einfach fahren.

Meine Reise fand trotz dieses Zwanges nicht das geplante Ende. Ich erhielt eine kurzfristige Nachricht von Red Bull, sie baten um einen Vortrag von mir in Moskau. Ich stieg in einen Bus und fuhr kurz vor dem Ablauf meines Visums 4.000 Kilometer in die Hauptstadt.

Zu diesem Zeitpunkt hatte ich eine Idee. Ich wollte die Strecke, die ich mir vorgenommen hatte, ja fahren. Mit dem Rad. Nicht mit dem Bus. Ich flog nach meinem Vortrag am 90. Russland-Tag nicht nach Hause, sondern ins spanische Malaga. Die Strecke Malaga – Duisburg ist etwa genauso lang wie die Distanz zwischen Moskau und Duisburg. Ich machte also meine Kilometer trotzdem. Nur eben auf der anderen Seite des Kontinents.

Pierre Bischoff gönnt seinen Füßen eine Abkühlung. © Dennis Klero / Red Bull Content Pool
Pierre Bischoff gönnt seinen Füßen eine Abkühlung. © Dennis Klero / Red Bull Content Pool

Eine besondere Reise

Manche werden mich für total bescheuert halten. Aber diese Reise war eben eine Besondere. Sie ist womöglich eine der letzten Reisen meiner Ultra-Karriere gewesen. Im Herbst diesen Jahres ist nämlich Schluss.

In den vergangenen fünf Jahren orientierte sich mein Leben am Ultra-Rad. Ich kündigte einen gut bezahlten Job als Abteilungsleiter im Großhandel und teilte mein Jahr in zwei Hälften. Sechs Monate Arbeit, sechs Monat Sport. Ich arbeitete in Hotels, leitete Restaurants oder kellnerte zuletzt eine volle Saison lang. Ich brauchte viele Stunden, um mein Hobby zu finanzieren. Ich erfüllte mir so einige Träume. Ich durchquerte Amerika von West nach Ost, erschloss mir die sibirische Schönheit Russlands, umfuhr Österreich und bald werde ich auch Irland umrunden. Ja, ich lebte einen Traum. Meinen Traum.

Doch dieser Traum ist teuer, er kostet nicht nur Kraft und Zeit, sondern auch Geld. Alleine die Kosten für das Race Across America betragen 35.000 Euro. Als ich es 2016 fuhr, zahlte ich 7.000 aus eigener Tasche. Den Rest übernahmen tolle Sponsoren.

Ohne die Hilfe von Sponsoren und treuen Freunden wären die Ultrarad-Reiseabenteuer gar nicht möglich. © Denis Klero / Red Bull Content Pool
Ohne die Hilfe von Sponsoren und treuen Freunden wären die Ultrarad-Reiseabenteuer gar nicht möglich. © Denis Klero / Red Bull Content Pool

Mittlerweile bin ich es leid, Klinken zu putzen, wie man sagt. Ich will nicht mehr betteln müssen. Ich habe auf dem Rad mehr erreicht, als ich je erreichen wollte. Ich habe tolle Menschen kennengelernt. Einen Teil der Welt intensiv erkundet. Ich bin zufrieden. Manchmal ist es eben Zeit für eine neue Etappe im Leben.

Mein Mountainbike habe ich bereits gegen einen Hund eingetauscht, einen belgischen Schäferhund. Eine Bekannte hatte zu viele Hunde, sie konnte sich nicht um alle liebevoll kümmern. Sie schielte auf mein Rad. Wir tauschten dann und gewannen beide.

Juri begleitet mich nun bei den großen und kleinen Reisen. Bald werde ich mir wieder einen „normalen“ Job suchen und ein „normales“ Leben führen. Auch das ist Ankommen.

Garmin Edge-Serie

21.11.2018

Ausflug, Tour oder Wettkampf - mit deinem Edge erreichst du dein Ziel

Entdecke die Edge-Serie:

  • bewährte und moderne Technologien, auf die sich jeder Radfahrer verlassen kann – egal ob Tourenradler oder Performancebiker
  • detaillierte Daten zu deiner Leistung und pure Performance mit dem Edge 530 Plus
  • vorinstallierte Karten und GPS-Navigation auf deinen Touren mit dem Edge Explore
  • Geschwindigkeit und Distanz kompakt und benutzerfreundlich abrufen auf dem Edge 130

zu Garmin.com
Weitere Themen