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Michael Scharnagl: Beinahe im Blindflug

Skifahrer Michael Scharnagl liebt den Wintersport, besonders weil dieser für ihn nicht mehr selbstverständlich ist. Eine Beeinträchtigung schränkt ihn im Alltag stark ein. Warum er dank Teamwork trotzdem über die Pisten brettern kann, verrät er im Interview.

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Fokussiert wartet Michael Scharnagl am Start. Ein piepsendes Signal, und schon prescht er mit kräftigen Schüben auf die Piste. Der Schnee knirscht unter seinen Skiern. Der Wind pfeift um seine Ohren. Michael nimmt Geschwindigkeit auf. Schlängelt sich um Tore und gleicht Bodenwellen aus. Mit bis zu 100 Kilometern pro Stunde rast er die Strecke hinab. Ohne dass der Österreicher die Piste vollständig erkennen kann.

Michael leidet an einer degenerativen Augenkrankheit, die sein Sehvermögen immer mehr beeinträchtigt. Er ist beinahe blind. Für Michael ist das kein Grund, auf Sport zu verzichten. Der 32-Jährige spielt Darts, springt an Bungee-Seilen von Brücken und verfolgt seine große Leidenschaft – den Ski Alpin. Für den österreichischen Skiverband tritt der Behindertensportler im Ski Alpin an. Im Interview spricht Michael über sein Leben mit der Krankheit und was ihn dennoch zum Sport motivierte.

Michael Scharnagl beim Bogenschießen
Seine Augenerkrankung ist für Michael kein Grund, auf Sport zu verzichten. © Michael Scharnagl

#BeatYesterday.org: Du lebst mit einer Sehbehinderung. Wie stark ist dein Sehvermögen beeinträchtigt?

Michael Scharnagl: Mittlerweile beträgt meine Sehstärke nur noch knapp unter fünf Prozent. Das war nicht immer so. Ich leide an der juvenilen Makuladegeneration Morbus Stargardt, das ist eine degenerative Krankheit. Mein Sehvermögen nimmt zusehends ab und ich habe blinde Flecken, an denen ich gar nichts sehe. Das fing schon in der Grundschule an. Da konnte ich selbst in der ersten Reihe nichts an der Tafel lesen. Da war klar, dass etwas nicht stimmte.

#BeatYesterday.org: Wie bewältigst du deinen Alltag mit der Krankheit?

Michael: Wenn ich allein unterwegs bin, beispielsweise beim Einkaufen, frage ich die Mitarbeiter*innen. Manchmal habe ich Freund*innen dabei, die mich fahren und mir helfen. Bei einigen Artikeln fotografiere ich das Produkt und zoome ran. Wenn ich die Augen nah genug ans Handy rücke, kann ich Preise und Inhaltsstoffe erkennen. E-Mails oder Nachrichten diktiere ich meist in mein Smartphone. Beim Tippen würde ich zu viele Fehler machen. Außerdem kann ich mir viele Dinge gut merken. Das hilft bei der Orientierung.

#BeatYesterday.org: Menschen, die komplett erblindet sind, hören oder riechen häufig besser. Wie ist das bei dir?

Michael: Vermutlich ist mein Gehör nicht so stark ausgeprägt, dass ich mich allein damit orientieren kann. Aber ich höre besser als viele Menschen. Das merke ich, wenn ich mit Kolleg*innen oder meiner Freundin unterwegs bin. Mir fallen viele Geräusche auf, die sie erst hören, wenn sie die Augen schließen und sich darauf konzentrieren. Außerdem fühle ich besser und kann viele Dinge in meinem Alltag ertasten.

#BeatYesterday.org: Durch deine Beeinträchtigung musst du viele alltägliche Dinge anders angehen als andere. Auch das Skifahren. Woher stammt deine Motivation für den Sport?

Michael: Ich habe schon als Kind gern und viel Sport gemacht. Ich bin auf dem Land an einem Berg aufgewachsen. Wir waren immer in Bewegung, fuhren mit dem Fahrrad oder gingen Klettern. Im Winter standen wir natürlich auf Skiern. Sie begleiten meinen Bruder und mich seit unserer Kindheit. Direkt vor unserem Haus war der Sessellift und der Skiraupen-Fahrer war ein guter Freund unserer Familie. Er zog uns jedes Jahr eine Spur in den Schnee, auf der wir nach der Schule üben konnten. Später trieb ich etwas weniger Sport, weil ich noch nicht wusste, welche Möglichkeiten im Behindertensport existieren. Seit 2018 bin ich wieder voll dabei.

Heute wage ich gern neue Sportarten. Ob Darts, Bowling oder Bogenschießen – ich probiere alles aus, was mit meiner Beeinträchtigung möglich ist. Dabei merke ich schnell, ob das klappt oder nicht. Außerdem bereitet mir der gemeinsame Sport mit Freund*innen sehr viel Spaß.

Michael Schargnagl und seine Freundin beim Skifahren
Der gemeinsame Sport mit Freund*innen bereitet Michael Freude. © Michael Scharnagl

#BeatYesterday.org: Darts, Bowling und Bogenschießen. In allen Disziplinen kommt es auf das richtige Augenmaß an. Wie meisterst du diese Sportarten?

Michael: Bis auf Krafttraining kann ich die ganzen Sportarten nicht allein machen und brauche immer jemanden, der dabei ist. Sonst würde ich meinen Golfball oder auch die Pfeile nie wieder finden. Aber meine Freund*innen helfen mir. Gemeinsam entwickeln wir Methoden, mit denen sie mich unterstützen können.

#BeatYesterday.org: Wie funktionieren diese Methoden?

Michael: Beim Klettern sagen sie mir beispielsweise, wo der nächste Griff ist und helfen so bei der Orientierung. Beim Bogenschießen darf ich vier Pfeile anstelle der üblichen drei nutzen. Nach dem ersten Schuss justieren wir gemeinsam, ob der Nächste vielleicht etwas mehr nach oben oder weiter nach links muss. Genauso läuft es beim Darts. Bis 2019 spielte ich American Football. Da suchte ich mir eine Position, bei der ich nichts mit dem Ball zu tun hatte. Als Defensive Liner jagte ich den Quarterback des Gegners. Meine Mitspieler und ich hatten spezielle Kommandos, die uns auf dem Feld halfen.

Michael Schargnagl beim Klettern an einer Felswand
Beim Klettern helfen Freund*innen Michael bei der Orientierung. © Michael Scharnagl

#BeatYesterday.org: Der Wintersport ist deine große Leidenschaft. Du trittst bei Abfahrtsrennen für den österreichischen Skiverband an. Wie bewältigst du mit deiner Beeinträchtigung eine Sportart, die viel Geschick und Koordination erfordert?

Michael: Auf der Piste nehme ich den Untergrund detailliert wahr. Der Schnee gibt mir beim Fahren eine Rückmeldung. Das wird komplizierter, wenn ich beim Super-G oder in der Abfahrt höhere Geschwindigkeiten fahre. Dafür mussten sich meine Reflexe verbessern, damit ich mich trotz der fehlenden Sehkraft in kürzerer Zeit auf unvorhergesehene Dinge einstellen kann. Außerdem muss ich schnell auf die Kommandos meines Guides reagieren. Manchmal verdecken meine blinden Flecken die Tore auf der Strecke.

#BeatYesterday.org: Du hast unter fünf Prozent Sehvermögen. Wie funktioniert die Abfahrt mit deiner Beeinträchtigung?

Michael: Ich fahre immer mit meinem Guide Florian und muss mich zusätzlich auf mein gutes Gedächtnis verlassen. Bei der Besichtigung vor einem Rennen präge ich mir den Kurs genau ein. Besonders die Schlüsselstellen zwischen den Toren. Die analysieren wir gemeinsam und beraten, an welchen Stellen ich vorsichtig sein muss. Auf der Piste zähle ich die Tore mit. So weiß ich, wann eine Bodenwelle wartet oder wir Tempo aufnehmen können. Durch meine Sehbeeinträchtigung habe ich für die Streckenbesichtigung 15 Minuten länger Zeit.

Während der Fahrt fokussiere ich meinen Guide. Er leitet mich durch die Tore. Dabei nehme ich die Strecke selbst mit den Augen kaum wahr. Ich achte immer auf seine Ski-Enden und die Kommandos. Wir kommunizieren über Motorrad-Headsets, die auf Geschwindigkeit ausgelegt sind. Deshalb verstehen wir uns auch bei starkem Fahrtwind sehr gut. Ist er jedoch weiter als neun Meter entfernt, sehe ich ihn nicht mehr und muss mein Tempo drosseln. Sonst steigt die Sturzgefahr.

#BeatYesterday.org: Besonders im Winter kann die gleißende Sonne die Sicht enorm beeinträchtigen. Wie ist das bei dir?

Michael: Durch meine Krankheit bin ich sehr lichtempfindlich. Deshalb trage ich eine Brille mit orangefarbenen Gläsern. Am meisten beeinflusst mich der Wechsel zwischen Schatten und Sonne auf der Strecke. Diese Stellen merken wir uns und bremsen im Rennen etwas ab. Ein vollständig bedeckter Himmel bietet die besten Bedingungen für mich, weil es keine schnellen Lichtwechsel gibt.

#BeatYesterday.org: Du sprachst es vorhin an: Ein Guide kompensiert deine Sehschwäche. Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit deinem Guide?

Michael: Das hängt von der Disziplin ab. Grundsätzlich gibt mir mein Guide Florian immer ein „Hopp“ als Kommando. Das ist mein Zeichen für den Schwungansatz vor einer Kurve. Ich schaue dann, wo er sich zu diesem Zeitpunkt befand und versuche die gleiche Stelle zu treffen. Andere Kommandos ergänzen oder ersetzen das „Hopp“. Folgt nach einer Kurve beispielsweise eine lange gerade Passage, lautet das Kommando „Hopp Weg“. Im Rennen bestätige ich Florian die Kommandos. Sollte er sich von mir entfernen, lauten meine Anweisungen „bissl“ und „weit“. Er weiß dann, dass er langsamer fahren muss. Ganz wichtig ist, dass wir uns gegenseitig kennen. Unsere Stärken und Schwächen.

Michael Schargnagl mit seinem Guide im Schnee
Auf der Piste ersetzt sein Guide seine Augen und hilft ihm mit Kommandos. © Michael Scharnagl

#BeatYesterday.org: Das klingt herausfordernd. Wie entsteht das nötige Vertrauen zwischen euch?

Michael: Das gelingt über Erfahrung, viele gemeinsame Trainings und Kommunikation. Besonders zu Beginn ist das wichtig. Wenn mein Guide mich noch nicht kennt, erwischt er manche Passagen vielleicht schneller als ich. Wenn ich ihn dann nicht mehr sehe, muss ich langsamer fahren. Das kostet Zeit. Das besprechen wir danach und so lernen wir, wie der andere funktioniert. Außerdem gebe ich ihm immer wieder Feedback, sollte ich ein Kommando nicht verstanden haben. Der Sehbehindertensport ist ein Teamsport. Es kommt auf uns beide an. Unsere Herausforderung ist, gemeinsam eine gute Zeit zu fahren.

Datenwunder als Trainingsbegleiter

Michaels fēnix von Garmin begleitet ihn in jedem Training. In den Sommermonaten trackt er mit der Smartwatch seine Kraft-, Rad- und Laufeinheiten. Die Uhr liefert wichtige Daten und gibt direktes Feedback. Zusammen mit seinem Guide betrachtet er Herzfrequenz, Geschwindigkeit und in welchem Leistungsbereich er trainierte.

Im Winter trägt er seine fēnix beim Skifahren. Sie erfasst alle Daten und zeigt an, wie viele Fahrten er absolviert hat und wie schnell er jeweils war. Über die App Garmin Connect kann Michael gemeinsam mit Guide Florian die Trainingseinheiten auswerten.

#BeatYesterday.org: Wie läuft die Auswahl eines Guides ab?

Michael: Am Anfang fuhr ich mit meinem Bruder. Mit ihm bin ich erst zum Behindertensport gekommen. Aus zeitlichen Gründen ging das später nicht mehr. Ich hatte aber das Glück, dass ich Florian traf. Er nahm sich die Zeit und stellte sich der Herausforderung.

Für einen Guide ist es viel Aufwand, der dem Spitzensport gleicht. Pro Saison haben wir rund 120 Skitage. Und das ist nur der Winter. Deshalb brauche ich einen Guide, der diese Zeit hat und aufbringen möchte. Für das Zusammenspiel ist es wichtig, dass er einen guten Charakter hat. Er braucht Empathie für die Person hinter sich und muss sportlich genug sein, um vorweg fahren zu können. So jemanden findest du nicht leicht.

#BeatYesterday.org: Zum Abschluss: Wie erlebst du die Abfahrt und die Geschwindigkeit? Beschreibe uns das Glück, was du beim Ski Alpin empfindest?

Michael: Ich nehme vielleicht nicht das Visuelle, aber dafür all die anderen Einflüsse wahr. Wie die Natur und der Untergrund auf mich wirken. Der Wind pfeift um die Ohren und zerrt an mir, ich muss körperlich dagegen arbeiten. Ich höre die Strecke. Abschüssige Passagen spüre ich besonders am Start. Darüber freue ich mich, weil wir dann schnell ein hohes Tempo aufnehmen. Ich erlebe viel mehr auf einer Abfahrt als andere.

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