Outdoor

Mikroabenteuer Waldbaden

Ein Mikroabenteuer im Wald ist nicht nur unfassbar aufregend, sondern auch beste Hygiene für die Psyche. Warum wir mehr nach draußen gehen sollten und besonders das Waldbaden so gut tut – ein Selbstversuch.

Teilen

Dienstag, 4.37 Uhr

Ich sitze eingemummelt im Schlafsack auf Silageballen am Rande eines Waldes. Der Morgen graut und der Dunst kriecht aus den Wiesengräben. Es ist etwas kühl und ganz leise. Nur das Blattwerk der Birken raschelt im seichten Wind. Ich könnte meinen, die Bäume flüstern mir etwas zu. Mein Blick wandert über die Lichtung und ich finde nichts, das sich bewegt. Kein Tier. Kein Auto auf der fernen Allee am Horizont. Vollkommene Ruhe. Die Welt da draußen schläft noch und nur ich bin wach. Bis ein Vogel die Stille mit einem Schrei durchbricht. Wie ein Wecker hallt er aus dem Wald.

1. Ein Mikroabenteuer im Wald

Dass ich nicht weiß, welcher Vogel da ruft, kränkt mich. Ich bin hier in der Nähe von Rostock groß geworden, in einem alten Bauernhaus nur ein paar Kilometer entfernt. Als Kind stand mir diese Abenteuer versprechende Welt offen. Das Hechtloch, ein alter Tümpel, in dem es der Legende nach riesige Fische geben soll. Oder der alte Bahndamm, heute zugewuchert mit Sträuchern und anderem Geäst.

Damals, als ich hier wohnte, saß ich lieber vor der Spielekonsole. Das Draußensein hatte mich nie gepackt. Andere Kinder bauten sich im Wald kleine Unterschlüpfe, ich war ein Stubenhocker.

Mit dem Umzug in die Großstadt begann mein Umdenken. Von meinem Balkon aus sah ich meist keine Sterne mehr, und wenn doch, schimmerten sie nur kränklich blass. Ein Sternenzelt, klar und unberührt, das war für mich früher selbstverständlich. Heute fehlt es mir.

Nach meinem #BeatYesterday.org-Interview mit Dirk Rohrbach hatte mich eine Vorstellung gepackt. Der Reisende erzählte mir, wie seine Sucht nach der Welt in den heimischen Wäldern begann. Ich wollte das auch. Draußen schlafen, wild campen im Wald. Mikroabenteuer nennt man das heutzutage. Genau so eins wollte ich erleben.

2. Wo gilt das Jedermannsrecht?

Im Wald schlafen – das ist gar nicht so einfach. Das von Outdoor-Liebhabern geschätzte Jedermannsrecht gilt in Deutschland nicht. Es ist uns untersagt, einfach im nächstgelegenen Kiefernhain zu biwakieren. Und ja, es gibt gute Gründe für diese Einschränkung: Jäger schießen manchmal daneben und nicht immer stoppen die Bäume das rasende Blei. Auch ist der Umweltschutz ein wichtiger Aspekt. Manche Menschen neigen dazu, schöne Orte mit ihrem Müll zu verschandeln.

Für eine Nacht machen Förster häufiger Mal eine Ausnahme. Man muss nur vorher fragen und ein Versprechen wirklich halten: Alles, was man in den Wald schleppt, wieder mit rauszunehmen. Und natürlich nicht auf die unkluge Idee kommen, ein Lagerfeuer zu machen.

Darf ich in der Wildnis zelten?

In den skandinavischen Ländern (außer Dänemark), Schottland und der Schweiz dürfen die Menschen unter bestimmten Umständen in der Wildnis zelten und Lagerfeuer machen. Das Jedermannsrecht wirkt damit über das in Deutschland geltende Betretungsrecht hinaus.

Ich möchte mein Mikroabenteuer vorbereiten und mache das, was jeder, der etwas Neues wagt, tun sollte: jemanden befragen, der mehr Ahnung hat – wie Sven Linckels, ein Pfadfinder und Outdoor-Experte aus Luxemburg.

Sven Linckels liebt Outdoor-Trips.
Sven Linckels liebt Outdoor-Trips.© privat

#BeatYesterday.org: Für eine Nacht im Wald – welches Gepäck ist unerlässlich?

Sven Linckels: Ein warmer Schlafsack und eine ordentliche Isomatte. Die Nacht soll ja auch erholsam sein.

#BeatYesterday.org: In Deutschland dürfen Menschen eigentlich nicht im Wald campen. Wie machst du das?

Sven: Naturschutzgebiete sollte man tunlichst zum Übernachten vermeiden. Auch sonst gibt es eigentlich nicht wirklich legale Wege, um unter freiem Himmel in der Natur zu übernachten. Skandinavien ist dafür ein Paradies dank des Jedermannsrechts. In einigen Teilen Deutschlands findet man wohl sogenannte Naturlagerplätze, diese sind aber eher rar gesät. Hier in Luxemburg kläre ich das einfach mit dem lokalen Förster ab. Dann ist das für eine Nacht auch meist kein Problem.

#BeatYesterday.org: Was sind die No-Gos im Wald?

Sven: Dreck hinterlassen.

#BeatYesterday.org: Ist es nachts im Wald laut?

Sven: Nicht wirklich. Aber man vernimmt in einem ruhigen Waldgebiet jedes Geräusch deutlich intensiver bei Dunkelheit.

#BeatYesterday.org: Was ist dein persönliches Highlight bei jedem Outdoor-Trip mit einer Nacht im Freien?

Sven: Die Ruhe und (bei gutem Wetter) der freie Blick auf den Sternenhimmel wenn man im Schlafsack liegt.

3. Die Packliste

Meine Packliste für den Wald halte ich so kurz wie möglich. Ich bleibe ja nur für eine Nacht, mein Biwak wird kein opulentes Lager.

Ich habe dabei:

  • einen Schlafsack
  • eine zusätzliche Wolldecke
  • drei Liter Wasser
  • Mückenspray
  • etwas kalorienreichen Proviant
  • eine Taschenlampe
  • eine kleine Funzel, die ich als Leselampe nutzen kann
  • mein Lieblingsbuch
  • meine Garmin fēnix

Auch notwendig: der Wetterbericht. Bei Sturmböen und anderen Unwettern ist der Wald kein sicherer Zufluchtsort. Die Prognosen versprechen trockenes Wetter und 16 Grad in der Nacht. Ein bisschen Wind soll wehen.

Mein Handy habe ich zwar dabei, um mein Abenteuer zu dokumentieren. Um mich vor Ablenkungen von außen zu schützen, versetze ich es für den Zeitraum meines Mikroabenteuers aber in den Flugmodus.

Was ist Biwakieren?

Der Begriff Biwakieren kommt aus dem Französischen. Er bedeutet übersetzt: Feldlager oder Nachtlager. Biwakieren – das sagen aber nicht nur Soldaten, sondern auch Bergsteiger, Reisende und Abenteurer. Wir können nicht nur im Freien unter Sternen, in Unterschlüpfen oder in Zelten biwakieren, sondern auch in entlegenen Hütten.

4. Die Lunge unserer Zivilisation

Montag, 17.11 Uhr

Ich bin seit zehn Minuten im Wald, stehe da mit meinem Rucksack, und mich überfällt ein sentimentales Gefühl. An einer Gabelung des Waldweges blicke ich zu den Kiefern. Nadeln säumen den Waldboden. Überall verstreut verstecken sich kleine Krater im Erdreich. Die breitesten haben einen Durchmesser von zwei bis drei Metern.

Schon vor vielen Jahren beäugte ich mit einem Dorffreund dieses einmalige Stückchen Welt. Wir schmiedeten einen Plan, der ein kühnes Gedankenspiel blieb: Wir wollten in einem dieser Löcher ein Biwak aufschlagen. Äste über die Mulden schichten, erst längs, dann quer. Für einen kurzen Moment war ich Abenteuer-Architekt, Dachdecker und Träumer.

Während des Spazierens knie ich mich häufiger nieder und nehme irgendwas in die Hand. Ich will den Wald mit meinen Sinnen erfühlen und erschnuppern. Ahorn duftet besser als Erle. Zapfen liegen so herrlich rau in der Hand.

Neben meiner Neugierde ist es auch immer wieder die Melancholie, die mich stoppt. Ich habe mich, als ich hier lebte, nie mit dem Wald beschäftigt. Das ärgert mich. Ich habe Abitur gemacht und bin halbwegs belesen, doch kann ich nur etwa zehn Bäume sicher voneinander unterscheiden. Und ich bin ein Dorfkind. Wie geht es den Stadtmenschen, den Jugendlichen und Kindern, wissen sie mehr? Der Wald ist ja nicht nur eine Ansammlung von Bäumen, Sträuchern und der Lebensraum von Wildtieren. Er ist die Lunge unserer Zivilisation. Ich habe keine Ahnung, wie dieses Organ funktioniert.

Wie den Wald schützen?

Unserer Lunge geht es nicht gut. Hitze und Trockenheit plagen unsere Bäume. Andernorts auf der Welt werden Wälder abgeholzt. Mit lokalen und globalen Initiativen wie Prima Klima kannst du den Wald unterstützen.

Den Duft von morschem Holz muss man tief einatmen.
Den Duft von morschem Holz muss man tief einatmen. © Jule Fuchs

5. Baden in einer Therme aus Bäumen

Seit Jahren untersuchen Forscher die Heilkraft des Waldes. Mikroabenteuer und Spaziergänge werden von Ärzten sogar als Stress-Therapie empfohlen. Tatsächlich gibt es für die Theorien einige Belege. Das Einatmen der ätherischen Öle, die Bäume abgeben, päppelt nach Erkenntnissen der „Nippon Medical School” unser Immunsystem auf. Auch legen Studien nahe, dass die Zeit im Wald Angstzustände, Wut und Depressionen entgegenwirkt oder zumindest lindert. Durch den Abbau von Stresshormonen erholt sich unsere Vitalität. Kein Wunder, dass in Japan manche Wälder zu anerkannten Therapiezentren aufstiegen.

Montag, 19.23 Uhr

Ich ziehe meine Schuhe aus, weil wir das in einem Spa so machen. Ich nehme ja gerade ein Bad. Ich waldbade in einer Therme aus Bäumen. Dieser Trend kommt aus Japan, es gibt für ihn sogar einen Namen: “Shinrinyoku”.

Meine Füße fühlen sich wohl auf dem Waldboden. Und anders als in der herkömmlichen Therme brauche ich keine Badelatschen. Wie unterschiedlich meine Sohlen die Erde fühlen. Mal ist der Boden kühl und hart und mal so weich und warm, dass ich leicht einsinke. Manchmal piksen Nadeln in meine Zehen.

Fußpflege im Wald. Die feuchte Erde umschmeichelt die Zehen.
Fußpflege im Wald. Die feuchte Erde umschmeichelt die Zehen. © Jule Fuchs.

Ich erreiche mein geplantes Nachtlager. Es ist fast 21 Uhr. Meine Lichtung liegt gen Westen. Die Sonne sinkt stoisch vor mir nieder. Ich überlege eine ganze Weile, von meinem Plan abzuweichen und mir mit den letzten Resten Tageslicht einen richtigen Unterschlupf zu bauen. Aber ich ziehe die Silagepyramide vor.

Silage, das sind Ballen, in denen das Futter für die Tiere gelagert wird. Im dichten Mantel aus Folie fault Gras oder Mais vor sich hin. Kühe stehen auf das Zeug. 30 Silageballen sind hier am Waldrand zu einer leicht grünlich schimmernden Figur aufgestapelt, ich nenne sie die Sphinx.

Silagen riechen manchmal streng, aber ganz oben in der dritten Etage weht einem ein frisches Lüftchen um die Nase. Ich esse meine Snacks, kalorienreiche Zartbitterschokolade und Trockensalami. Danach krame ich in meiner Tasche nach einem Buch. Ich hielt mich an einen weiteren Rat von Rohrbach: Gute Lektüre können Reisende immer gebrauchen.

6. Ein unsagbar schöner Ruheraum

Montag, 23.53 Uhr

Das Tagebuch „Arbeit und Struktur”, in dem Wolfgang Herrndorf sein Leben und Sterben mit dem Krebs verarbeitet, hat mich am meisten geformt. Es führte mir die Endlichkeit unseres Seins vor Augen. Und wie schmerzhaft es sein kann, wenn man zu viel Lebenszeit mit dem Zaudern verschwendet und zu lange auf das Machen wartet.

Die Zeilen von Herrndorf verschlinge ich gierig auf meinem Silagehügel. Ich lese viel. Aber in einem Buch zu versinken, so wie früher mit der Funzel unter der Bettdecke im Kinderzimmer – das gelang mir schon ewig nicht mehr. Das Handy bimmelt, die Tür klingelt oder auf Netflix läuft eine neue Staffel der Lieblingsserie. Hier draußen im Wald, da bin ich alleine, mit mir, dem Buch und den Gedanken. Das erste Mal seit Jahren lese ich wieder 200 Seiten ohne eine längere Unterbrechung. Der Wald ist ein unsagbar schöner Ruheraum.

Die einzige nennenswerte Ablenkung ist neben dem Ächzen der Äste das Sternendach. Es ist so bezaubernd, wie es Sven mir versprochen hatte. Noch nicht so klar wie im Winter bei Frostgraden, aber tausendmal unverfälschter als jeder Himmel in der Großstadt. Und mein Gesicht fühlt sich erfrischt an, obwohl ich mich nicht gewaschen habe. Vielleicht liegt es am Waldbaden, vielleicht an der klaren Landluft. Manchmal tastet sich der Wind durch Schlafsack und Wolldecke an meine Beine. Ich muss raus aus den zarten Böen. 16 Grad sind kühler, als ich dachte.

Ich sinke auf dem Silageberg in die zweite Etage herab. Nun habe ich eine Lehne aus Silage hinter dem Rücken und liege weich und sicher gebettet. Die Insekten vom Boden sind weit weg. Ich schließe die Augen, atme tief und lege mich mit einem Gefühl zur Ruhe, das ich sonst habe, wenn ich einen längst vergessenen Song meiner Kindheit mal wieder im Autoradio höre.

Eagle Eye Cherry – Save Tonight.

7. Warum der Wald Zeit schenkt

Dienstag, 4.30 Uhr

Apropos Musik. „Die Nacht war kurz und der Tag wird lang” – das hat der deutsche Songwriter Thees Uhlmann mal gesungen. Wie recht er hat.

Bei jedem kurzen Knacken im Wald schrecke ich aus dem Schlaf. Es ist ermüdend. Nach drei Stunden ohne tiefe Ruhephase setze ich mich wieder auf den höchsten Silageballen und studiere den nahenden Morgen. Dieser Anblick der Morgendämmerung kann süchtig machen.

Eine Nacht im Wald tut wirklich so gut, wie es das Waldbaden verspricht. Ich war nicht mal 24 Stunden hier, und schon atme ich freier und mein Kopf denkt klarer. Trotz Schlafmangel.

Mitten im Nirgendwo mit ganz viel Zeit. Die innere Uhr tickt zwischen all den Bäumen langsamer.
Mitten im Nirgendwo mit ganz viel Zeit. Die innere Uhr tickt zwischen all den Bäumen langsamer. ©Jule Fuchs
Auch Interessant

Fenix 6-Serie

Garmin Wearables
04.09.2019

Entdecke das Beste in dir: Fenix 6 • Fenix 6 PRO • Fenix 6 SAPPHIRE

Geht mit dir durch jedes Abenteuer:

  • zahlreiche Sport- und Outdoor-Apps für alle deine Aktivitäten
  • finde deinen Weg – mit GPS, Kompass, Höhenmesser, Streckennavigation, Trackback
  • mit einer Akkupower, die auch lange Touren mitmacht
  • entdecke smarte Features wie Garmin Pay zum bargeld- und kontaktlosen Bezahlen mit der Uhr
  • edles, robustes Design – und mit den Quickfit-Wechselarmbändern passt du deine Garmin schnell jeder Situation an – zum Sport, beim Meeting oder Dinner

zu Garmin.com
Weitere Themen