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Vegane Spitzenküche: Sellerie statt Sauerbraten

Mit Ende 20 stirbt Timo Franke beinahe aufgrund seiner ungesunden Ernährung. Der Spitzenkoch lebt fortan vegan und verändert sein Leben. Ein Gespräch über Verzicht, der zu sehr viel Genuss führte.

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„Wo bin ich?“ Diese Frage kann Timo Franke nicht beantworten. Über ihm knien fremde Menschen. Er will aufstehen. Sie lassen ihn nicht. Timo liegt auf dem Boden seiner Küche. Dort, wo Töpfe dampfen, Grills lodern, Salamander glühen, ist ihm ganz kühl. „Was, verdammt, ist passiert?“

Timo war kurz zuvor kollabiert, die Welt um ihn herum hatte sich plötzlich verfinstert. Mehrere Wochen verbringt er danach im Krankenhaus. Der Körper erholt sich nur langsam, der Geist etwas schneller. Der junge Mann, Ende zwanzig, begreift, dass er etwas ändern muss, wenn sein Blick über das Bett und den darauf geborgenen Körper schweift.

Timo ist 1,65 Meter groß, er wiegt etwa 160 Kilo. Eine Ärztin rät, mahnt, bittet, dass er seine Ernährung umstellen muss. Sein Körper könne das Gewicht nicht mehr lange tragen. Der begeisterte Fleischesser beschließt, erst mal zu verzichten. Ein paar Wochen. Vielleicht Monate. So lange, bis sein Gewicht nicht mehr lebensbedrohlich ist.

Mittlerweile lebt der Spitzenkoch seit fast zehn Jahren vegan. Mit seiner Geschäftspartnerin Lili Weber gründete er die Agentur Vegan United und berät Restaurants, Hotels und Firmen in Ernährungsthemen. Mit Gladiator Ralf Möller steht er für Videoprojekte gemeinsam am Herd. Ein Interview über einen Verzicht, der zu sehr viel Lebensglück führte.

#BeatYesterday.org: Timo, sag mal, wann hattest du diesen romantischen Moment: Ey, veganes Essen, ich liebe dich.

Timo Franke: Der kam relativ spät. Da lebte ich schon mindestens ein Jahr vegan.

#BeatYesterday.org: Warum so spät?

Timo: Die Zeiten waren damals andere. Der Trend zum Veganismus wurde lange nicht so ausgelebt. Es gab noch nicht die Auswahl im Supermarkt und in den Restaurants. Noch dazu war ich verwöhnt. Ich hab selber auf Sterne-Niveau gekocht. Das war eine kulinarische Welt, mit der die vegane Community lange nicht mithalten konnte.

#BeatYesterday.org: Tausendmal ist nichts passiert. Und dann hat’s trotzdem Boom gemacht.

Timo: Im Lucky Leek, einem veganen Restaurant in Berlin. Die haben ein sensationelles Sechs-Gänge-Menü angeboten. Das war vegane Küche von einem anderen Planeten. Aber frag’ nicht nach den einzelnen Komponenten. Das konnte ich mir bei all der Begeisterung nicht merken.

#BeatYesterday.org: Fangen wir beim Ansatz an: Seit wann liebst du das Genießen, vor allem das Kochen?

Timo: Das fing bei Oma am Herd an. Hab mir als Kind einen Hocker geschnappt, bin rauf geklettert und konnte stundenlang zugucken. Die Düfte, die Geräusche, der Geschmack. Die Magie des Kochens ergriff mich – und ließ nicht mehr los.

Timo Franke übergießt Pancakes mit Ahornsirup
Auch vegane Pancakes wirken verführerisch. © Vegan United

#BeatYesterday.org: Was ist die Magie des Kochens?

Timo: Da ist ein einfaches Produkt, eine Kartoffel, sehr banal, und durch ein paar Handgriffe wird daraus etwas Hingebungsvolles wie ein Salat oder ein Brei. Natürliche Zutaten mit Gewürzen und Leidenschaft veredeln, aus etwas Normalem etwas Besonderes machen – das ist Zauberei.

#BeatYesterday.org: Großeltern kochen deftig, häufig mit Fleisch. Welchen Klassiker vermisst du von Oma am meisten?

Timo: Ich vermisse nichts. Oma kocht immer noch. Auch ihre legendäre Grießnockerl-Suppe.

#BeatYesterday.org: Und die ist vegan?

Timo: Früher setzte Oma für das Gericht eine Hühnerbrühe an, jetzt nimmt sie einen Gemüsefond. Ein veganes Rezept für Grießnockerl hab ich ihr gegeben. Die meisten ihrer Enkel ernähren sich pflanzlich, und Oma nimmt das ernst. Mittlerweile gibt es für die meisten meiner ehemaligen Leibgerichte eine vegane Variante. Sogar für Sauerbraten.

#BeatYesterday.org: Sauerbraten. Großartig. Lass uns später noch mal dazu kommen. Warum ernährst du dich überhaupt vegan und brauchst Alternativen zum Rind?

Timo: Ich war zu der Zeit meines Kollapses schwer adipös. Beinahe 165 Kilogramm. Fast ein Kilogramm pro Zentimeter Körpergröße. Viel zu viel. Es war damals kein normaler Infarkt. Mein ganzes Herz-Kreislauf-System ist kollabiert.

#BeatYesterday.org: Welche Erinnerung hast du an den Vorfall?

Timo: Schon morgens fühlte ich mich schlapp. Ich erwog eine Krankschreibung. Aber es war zwischen den Feiertagen, hoher Andrang im Lokal, Kolleg*innen im Urlaub. Ich wollte unsere ausgedünnte Crew nicht hängenlassen. Der Abendservice war stressig. Dazu die Hitze einer großen Küche. Mein Gewicht. Da wurde mir plötzlich schwarz vor Augen.

#BeatYesterday.org: Du hast den Kollaps überlebt, warst aber lange im Krankenhaus.

Timo: So lange auch nicht. Nach 2,5 Monaten wollte ich wieder arbeiten. Im Krankenhaus hatte mir eine Ärztin, der ich vertraute, eine vegane Diät empfohlen. Das mit dem Vegansein begann also nicht aus Liebe oder Überzeugung. Ich musste es tun. Einen zweiten Kollaps hätte ich vielleicht nicht überlebt.

#BeatYesterday.org: Ging das einfach so, wieder arbeiten? Ich meine: Damals, du sagtest es bereits, war die vegane Küche in den Restaurants nicht so verbreitet.

Timo: Ich hab weiter Steaks gebraten und Rouladen geschmort, Soßen angesetzt. Dafür überlegte ich mir eine Strategie, mit der ich auf hohem Niveau kochen konnte, ohne selber zu probieren.

#BeatYesterday.org: Kochen ohne Abschmecken. Das ist unmöglich.

Timo: Das Handwerk hatte ich im Krankenhaus nicht verlernt. Die Konsistenz einer guten Soße erkenne ich mit den Augen. Beim Geschmack hab ich auf einen Fettanteil von etwa 20 Prozent geachtet, der Salzanteil musste bei zwei Prozent liegen. Eine gute Soße basiert nicht nur auf einem Rezept. Sie besitzt eine Systematik, eine Chemie. Mit diesen Grundsätzen konnte ich sehr gut arbeiten.

#BeatYesterday.org: Mittlerweile hast du eine Agentur gegründet, die sich vielseitig für die Verbreitung der veganen Küche einsetzt. Vegan United. Warum hast du es so hart durchgezogen und dich vom fleischliebenden Koch zum veganen Influencer entwickelt?

Timo: Mit der Zeit reifte die Überzeugung, dass ich nicht nur mir, sondern vor allem der Welt Gutes tue, wenn ich kein Fleisch mehr esse. Schon als Kind fand ich einen Gedanken unbequem: Mir wird erst empfohlen, ein Kalb oder ein Lamm zärtlich zu streicheln, und ein paar Jahre später soll ich es essen? Das ergab und ergibt keinen Sinn.

#BeatYesterday.org: Nun wissen die meisten Leute, dass es gut wäre, mal eine Leberkäs-Semmel auszulassen. Der Umstieg ist aber schwer. Es schmeckt gut. Essen ist Familie und Melancholie. Wir erinnern uns mit der Zunge.

Timo: Den kompletten Umstieg schaffen die wenigsten auf einmal. Man sollte besser sachte beginnen. Ein Veggie-Tag in der Woche ist ein großartiger Anfang. Er ist die Grundlage dafür, dass daraus mal Monate oder Jahre werden können. Allein mit einem Veggie-Tag erreicht man einiges.

#BeatYesterday.org: Was genau?

Timo: Jede*r kann sich ausrechnen, wie vielen Tieren man mit einem Veggie-Tag Leid ersparen kann. Einfachstes Beispiel: KFC. Chickenbox. 12 Wings. Ein Huhn hat aber nur zwei Flügel. Für diese Box mussten sechs Lebewesen sterben. Wer einen Tag auf so was verzichtet, besonders auf dieses Fast Food, der mindert Leid.

#BeatYesterday.org: Wovon rätst du Menschen, die vegan leben wollen, ab?

Timo: Von Ersatzprodukten. Ja, sie sind besser geworden. Aber sie ersetzen Geschmack und Textur nicht eins zu eins. Zudem sind die Produkte chemisch verarbeitet. Es ist gesünder, leckerer und bei der Umstellung auf vegane Kost effizienter, wenn Veränderungswillige auf unverarbeitete Lebensmittel setzen. Und diese dann durch die Magie des Kochens veredeln.

#BeatYesterday.org: Ich denke wieder an Sauerbraten.

Timo: Man kann aus Sellerie eine vorzügliche Sauerbraten-Alternative zubereiten. Ich koche ihn in einer leicht sauren Brühe vor, dann wird er wie ein Sauerbraten gebeizt und schließlich geröstet und geschmort. Es ist beeindruckend, zu was Sellerie fähig ist.

#BeatYesterday: Wie wichtig ist es für Fleischessende, sich einmal richtig von der veganen Küche „flashen“ zu lassen? Braucht jede*r seinen Lucky-Leek-Moment?

Timo: Unbedingt. Essen baut auf Begeisterung. Und wer die vegane Welt mit Genuss entdeckt, wird verstehen, dass Veganismus nicht Verzicht bedeutet.

Timo Franke beim Pancakes machen
Koch, Geschichtenerzähler, Genießer: Timo Frank kocht immer noch auf hohem Niveau – nur fleischfrei. © Vegan United

#BeatYesterday.org: Welche Küchenstile eignen sich am besten zum Begeisternlassen?

Timo: Die asiatische Cuisine ist großartig. Sie wird von pflanzlichen Lebensmitteln geprägt, die Gewürze haben eine einmalige Aromatik. Sie hat sich längst vom Fleisch emanzipiert. Schauen wir uns Tofu an, also fermentierte Sojabohnen. Für uns Menschen in Deutschland ist Tofu genauso wie Seitan ein Fleischersatz. In der asiatischen Küche gehören die Produkte seit Jahrhunderten zur Kulinarik. Das ist dort kein Ersatz, das ist Kultur. Und so werden die Lebensmittel behandelt und in Kompositionen integriert.

#BeatYesterday.org: Asiatisch ist also eine sichere Bank. Was bietet sich in Europa an?

Timo: Die italienische Küche ist sehr variantenreich. Man kann sie ausschließlich mit pflanzlichen Produkten erzählen. Allein die Antipastis sprechen für sich. Momentan liebe ich besonders die Aromen Mittelamerikas. Salsas, Guacamole, die besonderen Gewürze. Da sind einige Experimente möglich.

#BeatYesterday.org: Jetzt mal eine harte Frage. Stell dir vor, ein richtig eingefleischter Barbecue-Fan kommt zu dir. Der Hunger nach südamerikanischen Steaks quillt aus jeder Pore des Gastes. Du hast eine Chance, diese Lust vegan zu befriedigen. Was kochst du?

Timo: Ungarisches Gulasch.

#BeatYesterday.org: Wie bitte?!

Timo: Ich hab eine Weile in Österreich gekocht. Die Menschen lieben ihre Eintöpfe, sie mögen es deftig, bitte Fleisch satt. Da hab ich ein ungarisches Gulasch aus Jackfrüchten ausprobiert. Die Leute waren verrückt danach.

#BeatYesterday.org: Jackfrucht. Nie gehört.

Timo: Das ist eine Frucht aus Sri Lanka. Wer mahnt, die zu importieren, sei nicht nachhaltig, dem sei eins gesagt: Trotz Verschiffung hat das Obst eine positive CO2-Bilanz. Weil die Pflanze sehr viel CO2 aus der Luft bindet. Dazu kommt eine soziale Komponente. Die Jackfrucht gilt vor Ort als Armeleuteessen, sie ist verpönt. Sie fällt vom Baum und vergammelt. Durch die zunehmende Beliebtheit in Europa und den Export bekommen die Menschen durch die Frucht eine Arbeit. Und es werden mehr CO2-bindende Pflanzen angebaut.

#BeatYesterday.org: Wie wird aus einer CO2-Frucht ein schmackhaftes Gulasch?

Timo: Ich trockne die Früchte bei 170 Grad Celsius 30 Minuten im Backofen. Sie bekommen durch die Trocknung die gleiche Textur wie Gulaschfleisch. Dann wird geschmort, mit Schmalz, Zwiebeln, Knoblauch. Tomatenwürfel dazu, Paprika. Eben alles, was in ein ungarisches Gulasch gehört. Dazu klassische Gewürze: Kümmel, Paprikapulver, Pfeffer, ganz wichtig: geriebene Zitronenschale. Das Gulasch mit Speisestärke andicken. Fleischesser*innen werden es lieben. Und keinen Unterschied bemerken.

#BeatYesterday.org: Zum Abschluss: Wie geht es dir nach zehn Jahren Veganismus?

Timo: Bestens, obwohl es Tiefpunkte gab. Als ich im Jahr 2017 mein Restaurant schließen musste, hat mich das mitgenommen. Ich bin ein emotionaler Esser. Geht es mir schlecht, esse ich ungesund und übermäßig davon. In der Phase gab es reichlich Pizza, Burger, Schoki. Vegan bedeutet nicht automatisch kalorienarm. Im Gegenteil: Auch Veganes kann fett machen. Ich wog damals rasch wieder 120 Kilo. Momentan sind es 95. Noch immer zu schwer, aber nicht lebensbedrohlich. Ich sage gerne: Ich bin keine Elfe, aber auf dem Weg dahin.

Das Rezept: Veganes Ungarisches Gulasch

Zutaten für 4 Personen

  • 250 g Zwiebeln
  • 3 Knoblauchzehen
  • 1 kg Jackfruit aus der Dose
  • 50 g Zwiebelschmalz
  • 3 TL Paprikapulver (edelsüß)
  • 2 TL Paprikapulver (Pimentón Picante)
  • Salz
  • 1 TL Kümmel
  • 5 EL Tomatenmark
  • 250 ml Gemüsebrühe
  • 200 ml Rotwein (trocken)
  • 3 rote Paprika
  • Abrieb einer Zitrone
  • Zucker

Zubereitung

  1. Schneide Zwiebeln und Knoblauch in feine Würfel.
  2. Nimm die Jackfruit aus der Dose und spüle sie ab. Lege sie auf ein mit Backpapier belegtes Blech und backe sie bei 170°C Ober-/Unterhitze für 30 Minuten im Ofen.
  3. Erhitze den Zwiebelschmalz in einer großen Pfanne. Dünste Knoblauch und Zwiebeln bei mittlerer Hitze bis die Zwiebeln glasig sind.
  4. Mische beide Paprikapulver zusammen und gib es zu den Zwiebeln hinzu. Rühre die Jackfruit in zwei Schritten unter. Brate sie bei mittlerer Hitze für fünf Minuten. Dabei das Umrühren nicht vergessen. Danach würzt du alles mit Salz und Kümmel.
  5. Verrühre nun das Tomatenmark mit 250 ml kochender Gemüsebrühe und Rotwein. Gib alles zur Jackfuit hinzu. Lasse alles zugedeckt bei mittlerer Hitze für eine Stunde schmoren.
  6. Im Anschluss schneidest du die entkernte Paprika in drei Zentimeter große Stücke und mischst sie unter die Jackfruit. Lasse alles weitere 30 Minuten schmoren.
  7. Schmecke das Gulasch zum Schluss mit Zitronenabrieb, Salz und einer Prise Zucker ab.
  8. Nun kannst du dein ungarisches Gulasch genießen. Dazu passen Salzkartoffeln.
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20.11.2018

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