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Teichmann wandert: Nachts in den Dünen

Der letzte Tag seiner Süd-Nord-Querung verlief für Deutschland-Wanderer Andreas Teichmann anders als geplant. Kolumne 6: Über Rückwege.

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Ort: Sylter Ellenbogen
Bundesland: Schleswig-Holstein
Koordinaten: 55°03’30.2″N 8°24’57.8″E

Diese Kulisse. Die Abenddämmerung am Wasser, ein lila-orangefarbener Himmel, der Sterne trägt. Vor mir die Nordsee. Unbeschreiblich ruhig, unbeschreiblich schön. Womöglich zu schön, um ganz wahr zu sein. Dieses Motiv ist eine optische Täuschung. Sozusagen eine Fata Morgana.

Als ich auf meiner Nord-Süd-Querung an meinem Ziel am Sylter Ellenbogen ankam, war es beinahe stockfinster. Die Linie zwischen Wasser und Himmel, den Horizont, konnte ich nur erahnen. Allein die Sterne leuchteten vom Nachthimmel. Mit intensiver Belichtung konnte ich trotzdem ein würdiges Motiv vom Ende meiner 51-tägigen Wanderung einfangen. Warum war ich nur so spät angekommen?

Barfuß im Sand

Der letzte Morgen hatte sich Zeit gelassen. Ich gönnte mir ein spätes Frühstück. Ich brach erst um zwölf Uhr mittags zur Strandpromenade von Westerland auf und staunte: Selbst Ende September säumten Touristen den Strand. Das Treiben beobachtete ich von einem Platz oberhalb der Promenade. Ich musste mich zum Weiterlaufen aufraffen, weil es so angenehm war, die vielen Menschen einfach an sich vorbeiziehen zu lassen. Der Himmel klarte auf, und die Sonne schenkte mir zum Abschied noch einmal ihre volle Kraft.

Die 20 Kilometer zum nördlichsten Punkt kann jeder barfuß im Sand laufen. Das tut den Füßen ganz gut nach all dem Wandern in Schuhen. Dachte ich. Rückblickend waren das naive Gedanken. Der Finaltag bescherte mir einen mächtigen Muskelkater in den Waden und viele Blasen an den Füßen. Der Sand auf Sylt ist eher locker und weich, was gut zum Sandburgen bauen und am Strand liegen ist, aber schlecht, um darin lange Strecken zu wandern. Mein gesamter Schrittrhythmus veränderte sich beim Barfußlaufen. Ich lief einseitig geneigt, der Untergrund gab unterschiedlich nach, und mein Körper musste das immer wieder sekundenschnell ausgleichen. Ganzkörpertraining.

Einsam im Norden

Je weiter ich nach Norden lief, desto einsamer wurde es. Das hatte mit der fortschreitenden Tageszeit, aber auch mit der Ausgesetztheit des Ellenbogens zu tun, so wie der nördliche Arm von Sylt genannt wird.

Zwei vogelscheuchenähnliche Figuren, aus Strandgut geformt, kündigten meinen Zieleinlauf an. Ein schlichtes Holzschild, direkt daneben, verriet, dass das wirklich der nördlichste Punkt Deutschlands ist. Alles überraschend unspektakulär und – wie gesagt – leider schon sehr dunkel. Selbst Schuld. Nun stand ich da, mühte mich ums Bild, und ließ mich erst danach in den Sand sinken. Und doch: Was ein Moment in schlichter Kulisse!

Diesmal regten sich meine Instinkte rechtzeitig. Zum Ruhen blieb keine Zeit. Würde ich den Rückweg in Dunkelheit überhaupt finden können? Die Route am Meer entlang schloss ich aus. Ein Angler, den ich im letzten Tageslicht getroffen hatte, empfahl den Weg über die Dünen hin auf eine Straße. Die würde in die Stadt List und zum öffentlichen Nahverkehr führen. Diese Passage nahm ich.

Nachts in den Dünen

Plötzlich befand ich mich in einer riesengroßen Dünenlandschaft. Kein Licht von einer Siedlung oder einem Leuchtturm streifte dieses Gebiet. Meine Taschenlampe war im Hotelzimmer mit der anderen Hälfte meines Gepäckes. Also holte ich mein Handy aus seiner Hülle und nutzte es zum Leuchten. Der Akku war schon im Batteriesparmodus. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis ich kein Licht mehr haben würde. Ich leuchtete auf den Weg und erschrak. Vor mir lag kein leicht erkennbarer Pfad. Im weichen trockenen Sand gab es keine Fußspuren, denen ich hätte folgen können. Trat ich in ein Loch, rieselten die Körner sofort zurück. Jeder potenzielle Fußabdruck sah aus wie eine kleine windgemachte Mulde.

Der Wandertipp:

Wer große Strecken wagt und spätabends unterwegs ist, sollte sich schon vor dem Start der Wanderung mit dem Rückweg beschäftigen. Außerdem können eine Taschenlampe und eine Power Bank im Rucksack immer nützlich sein.

Mit dem Licht des Leuchtturms

Nach quälenden 700 Metern traf ich tatsächlich auf eine asphaltierte Straße. Ich erkannte ein entferntes Flimmern. Das musste List sein, der Ort, von dem ich mit dem Bus oder Taxi nach Westerland zurückkommen würde. Das fahle Licht genügte mir. Ich hatte in den Leuchtphasen des Turmes genug gesehen, um die nächsten Sekunden auch komplett im Dunkeln zu laufen. Das muss ein bizarrer Anblick gewesen sein. Wie dieser Mensch, ich, im Stechschritt mit seinen Wanderstöcken zwischen hohen Dünen über die nächtliche Straße läuft, und immer wieder im Lichtschein des Leuchtturmes auftaucht.

Plötzlich hörte ich ein unbekanntes Geräusch. Ich lauschte in den Wind. Da waren Stimmen, junge weibliche Stimmen! Dann sah ich etwa 20 Meter vor mir Silhouetten über die Straße gehen. Ich rief ihnen zu, und sofort verstummten die Stimmen und etliche Handytaschenlampen leuchteten mir ins Gesicht.

Der Schimmelreiter

Ich traf auf einen Deutschkurs eines Gymnasiums, eine zehnte Klasse aus Hannover. Der Lehrer wollte seinem Kurs die Novelle „Der Schimmelreiter“ von Theodor Storm näherbringen, indem er eine Nachtwanderung in die Dünen machte. Was für ein Zufall, mal wieder. Der Lehrer war schon zum wiederholten Mal auf der Insel. Ich begleitete den Kurs in Richtung Jugendherberge. Von dort, so meinte der Lehrer, würde vielleicht noch ein Bus fahren. Als wir um 21:45 Uhr an der Jugendherberge angekommen waren, erklärte mir der freundliche Herbergsvater, dass der einzige Bus von List nach Westerland um 22:23 Uhr gegenüber der Kurverwaltung abfahren würde. Noch mal 30 Fußminuten entfernt. Ich eilte und erreichte den Bus. Das erste Mal nach knapp zwei Monaten saß ich wieder in einem Verkehrsfahrzeug. Eine skurrile Situation. Wie ungewöhnlich Gewöhnliches in kurzer Zeit werden kann.

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