BeatYesterday (BY): Manche Menschen vergreifen sich schnell im Ton. Wie gehe ich damit am besten um?
Gyde Schmidt (GS): Zuerst einmal solltest du das Verhalten des Anderen nicht persönlich nehmen. Mach dir klar, dass dein Kollege in dem Moment keine Möglichkeit sieht, aus seiner Rolle herauszukommen – ihm fehlt zu diesem Zeitpunkt die Fähigkeit, Ruhe zu bewahren. Er hat sich nicht unter Kontrolle. Die Folge ist: Er drückt sich ungeschickt aus oder verhält sich wie Tarzan ohne Jane.
BY: Was sind klassische Situationen für aggressives Verhalten im Büro?
GS: Aggression hat viele Gesichter. Ein cholerischer Vorgesetzter vergreift sich vielleicht im Ton und wird schnell laut oder beleidigend. Ein gereizter Kollege wirft möglicherweise mit dem Kugelschreiber oder rempelt im Gang. Auch Mobbing ist eine Form von aggressivem Verhalten – und davon gibt es leider unzählige Beispiele und Facetten. Tatsache ist: Das alles sind unschöne Situationen für einen Bürotag, die nicht stattfinden sollten.
BY: Und wie sieht es mit einem wütenden Chef aus? Sollte ich mich bei ihm eher zurückhalten oder ist es umso wichtiger, ihn darauf hinzuweisen, wenn mich sein Verhalten belastet?
GS: Es ist immer wichtig, die eigene Grenze zu ziehen. Das kann nicht jeder. Eine aggressive Situation besteht aus Täter und Opfer – einer greift an, einer lässt es geschehen. Dem Chef ist es möglicherweise nicht bewusst, dass er dich mit seiner Art verletzt. Ich würde abwägen, wie oft es vorkommt und mich hinterfragen, ob ich überreagiere, vielleicht zu empfindlich bin. Das soll aber nicht heißen, dass die Opfer die Schuld bei sich suchen sollen. Sprich vorab mit einer Vertrauensperson darüber. Wenn die Situation für dich klar ist, such das Gespräch. Sag deinem Chef möglichst konkret, was dich belastet: Seine Wortwahl? Seine Lautstärke? Seine Sicht der Dinge? Im zweiten Part geht es darum, was du dir von ihm wünschst. Auch darüber solltest du dir vor dem Gespräch im Klaren sein. Welche Brücke kannst du ihm bauen, anders mit dir zu kommunizieren? Stell deine Forderung freundlich, aber bestimmt aus der Ich-Perspektive – also etwa so: „Ich bitte dich/Sie, in einem normalen Ton mit mir zu sprechen.“ Je klarer du das kommunizierst, desto eher wird er es verstehen oder vor der nächsten Attacke innehalten. Und damit wärst du einen Schritt weiter.
BY: Wer empfindlich auf aggressives Verhalten reagiert, dem wird oft gesagt, er solle sich nicht so anstellen. Ist da etwas dran? Sollten wir uns abhärten?
GS: In dem Moment geht es nicht darum, was andere denken, sondern wie du selbst es wahrnimmst. Es kann sein, dass es empfindlichen Menschen guttäte, sich „abzuhärten“. Ungerechtfertigte Ausbrüche können aber auch die Achillesferse starker Persönlichkeiten treffen. Sicher gibt es Situationen, die sich in der Grauzone befinden – und du ertappst dich selbst beim Hinterfragen: Stelle ich mich etwa an? Bin ich wirklich so schlecht? Reagiere ich über? Es gibt eine kleine Übung, die hilft: Stell dir vor, du säßest als kleiner Vogel auf einem Ast und bekämst diese Situation mit. Nun betrachte das Geschehen emotionslos als Zuschauer. Wie bewertest du die Situation aus der Metaperspektive? Es ist ebenfalls sinnvoll, sich selbst zu betrachten und eine konstruktive Lösung für sich zu suchen. Frag dich, welche Fähigkeit du brauchst, um mit dem Aggressor umgehen zu können.
BY: Und was rätst du Menschen, die schnell mal im Job hochgehen? Wie können sie ihr Temperament zügeln?
GS: Ein Rat wäre der falsche Ansatz. Zunächst sollte geklärt werden, wie reflektiert der Mensch ist. Nimmt er sich selbst als Angreifer wahr? Ist ihm klar, dass er aggressiv ist? Ist ihm seine Wirkung bewusst oder tut er sie ab? Wer den Wunsch hegt, sich anders zu verhalten, weil ihn das Verhalten selbst nervt, ist bereits auf dem Weg zur Besserung. Hier gibt es ganz unterschiedliche Ansätze: Der Aggressor kann es gelernt und übernommen haben. Oder er stellt mit seinem Verhalten ein anderes Bedürfnis sicher, beispielsweise sich selbst gut dabei zu fühlen, indem er andere klein macht. In einem solchen Fall würde man nach Ansätzen suchen, wie sich dieses Bedürfnis ändern lässt. Oder er ist wie fremdgesteuert, wenn die Sicherungen bei ihm durchbrennen. Die Ursachen für aggressives Verhalten sind individuell sehr verschieden.
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