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Bandscheibenvorfall: Wie Training vorbeugt und hilft

Bandscheibenvorfälle quälen Patienten mit starken Schmerzen. Zudem drohen Folgeschäden. Wie Betroffene rechtzeitig reagieren und warum Rumpftraining häufig hilft, erklärt Neurologe Dr. Jörg Mellies.

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Dieser Schmerz haut die stärksten Menschen um. Mal kommt er plötzlich, mal schleichend. Er verbirgt sich im Nacken, im mittleren Rücken, in der Lende, strahlt bis in die Fersen und die Schultern. Im schlimmsten Fall spüren Betroffene ihre Zehen und Finger nicht mehr.

Unzählige Frauen und Männer erleiden jedes Jahr einen Bandscheibenvorfall in der Wirbelsäule. Knapp 100.000 Patienten jährlich unterziehen sich alleine in Deutschland einer Operation. Viele dieser Eingriffe gelten als vermeidbar, andere wiederum sind zwingend notwendig, um Folgeschäden vorzubeugen.

Doch wie können Betroffene einen Bandscheibenvorfall von einem Hexenschuss unterscheiden? Welche Personengruppen sind besonders anfällig und wie äußern sich erste Warnzeichen? Können Sportler einem sogenannten Bandscheibenprolaps vorbeugen und hilft körperliche Aktivität dabei, eine Operation zu vermeiden?

Dr. Jörg Konrad Mellies kennt die Antworten auf diese Fragen. Der Aachener Neurologe und Sportmediziner versteht Bandscheibenvorfälle besser als viele andere. Der begeisterte Läufer und Radfahrer erlitt drei Bandscheibenvorfälle, wurde selbst am Rücken operiert. Jedes Jahr betreut er Hunderte Patienten. Den meisten gelingt eine rasche Rückkehr in einen aktiven Alltag – wenn sie wichtige Hinweise beachten.

Dr. Jörg Mellies praktiziert als Neurologe und Sportmediziner. Der 58-Jährige leitet als Chefarzt die Geriatrische Klinik im Luisenhospital in Aachen, Nordrhein-Westfalen. Der leidenschaftliche Rennradfahrer, Langstreckenläufer und Garmin-Fan (er nutzt unter anderem den Fahrradcomputer Edge) betreut nicht nur Patienten mit Bandscheibenvorfällen, sondern erlitt selbst dreimal die schmerzhafte und langwierige Verletzung. Durch Sport, Disziplin und Leidenschaft konnte er die Vorfälle überwinden – und in einen sportlich aktiven Alltag zurückkehren.

Sportmediziner Dr. Jörg Mellies
Dr. Jörg Mellies betreut als Sportmediziner und Neurologe viele Patienten. © Dr. Jörg Mellies

#BeatYesterday.org: Herr Dr. Mellies, beginnen wir mit einer Grundlagenfrage: Was ist die Funktion einer Bandscheibe?

Dr. Jörg Mellies: Die Bandscheiben liegen zwischen zwei benachbarten Wirbelkörpern. Dort fungieren sie als Stoßdämpfer bei Bewegung, besonders beim Gehen und Laufen. Aufgrund unseres aufrechten Ganges und der Schwerkraft stehen die Bandscheiben unter einer permanenten Belastung.

#BeatYesterday.org: Was passiert bei einem Bandscheibenvorfall?

Dr. Mellies: Die Bandscheiben bestehen aus einem Faserring, der mit einem Gallertkern (Nucleus) gefüllt ist. Wenn der Faserring einreißt, stülpt sich dieser Nucleus in Richtung Wirbelkanal und kann er dort auf die Nervenwurzeln treffen. Tritt der Gallertkern nur in einem geringen Maße aus, bezeichnen wir das als Protrusion, als Vorwölbung. Meist spüren Betroffene keine Beschwerden. Drückt die Bandscheibe hingegen auf die Nervenwurzel, ist das ein Prolaps. Durch diesen kommt es zu ausstrahlenden Schmerzen, Gefühlsstörungen oder gar Lähmungen einzelner Muskelgruppen.

#BeatYesterday.org: Bandscheibenvorfälle gelten als typische Verschleißverletzungen, die vorwiegend ältere Menschen erleiden. Welche Personengruppen sind wirklich am stärksten gefährdet?

Dr. Mellies: Die meisten Menschen trifft ein Bandscheibenvorfall zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr. Auch gibt es Berufsgruppen, die eine besondere Prädisposition besitzen, also als anfälliger für Bandscheibenvorfälle gelten. Das sind Erwerbstätige, die viel sitzen, zum Beispiel im Büro oder im Lkw. Bauarbeiter und Krankenpflegekräfte, die körperlich anstrengende Tätigkeiten in Zwangshaltung verrichten, sind ebenso häufig betroffen. Insgesamt erleiden Menschen mit einem inaktiven Lebensstil eher einen Bandscheibenvorfall als sportliche.

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#BeatYesterday.org: Sind jüngere Erwachsene unter 30 auch gefährdet?

Dr. Mellies: Ein Bandscheibenvorfall kann genauso junge Menschen treffen. Mich hat es im Alter von 23 Jahren das erste Mal erwischt. Am Ende sind manche Schwächen unseres Körpers konstitutionell bedingt. Bei einer Person führt eine Bindegewebsschwäche zu Cellulite an den Schenkeln, bei anderen ist das Gewebe der Bandscheiben besonders anfällig und neigt zu Rissen.

#BeatYesterday.org: Für gewöhnlich trifft einen 23-Jährigen oder eine 23-Jährige kein Bandscheibenvorfall. Wie haben Sie sich den Prolaps damals zugezogen – und später bemerkt?

Dr. Mellies: Bei einem Marathon spürte ich ab Kilometer 35 Schmerzen im linken Gesäß. Ich vermutete zunächst eine Zerrung. Die Probleme verschwanden aber nicht. Später wurde bei mir ein klarer Bandscheibenvorfall diagnostiziert. Ich habe mir diesen wahrscheinlich bei der Arbeit als Altenpfleger zugezogen, als ich mich eine Woche vor dem Marathon bei einem Patienten „verhoben“ hatte. Ein klassisches Hebetrauma.

#BeatYesterday.org: Wieso sind Bandscheibenvorfälle manchmal besonders schmerzhaft und manchmal kaum zu spüren?

Dr. Mellies: Das hängt davon ab, wohin der Faserring sich hinauswölbt. Geschieht das mittig, sind die Nervenwurzeln kaum beeinträchtigt. Je weiter seitlich, wir sagen „lateraler”, desto heftiger wird der Schmerz, weil der Prolaps direkt auf die Nervenwurzel drückt.

#BeatYesterday.org: Sehr schmerzhaft sind auch Hexenschüsse. Sie werden gelegentlich mit Bandscheibenvorfällen verwechselt. Wie können Betroffene richtig unterscheiden?

Dr. Mellies: Ein Hexenschuss ist eine schlagartig auftretende und sehr schmerzhafte Muskelverspannung der Lendenwirbelsäule. Eine falsche Bewegung genügt bereits, um ihn zu verursachen. Mit früher Schmerztherapie mit Ibuprofen, lokaler Wärme und Schonung klingen die Beschwerden rasch ab. Ein Hexenschuss äußert sich anders als der Bandscheibenvorfall ohne ausstrahlende Schmerzen.

#BeatYesterday.org: Wie erkennen Betroffene, dass ein Arztbesuch dringend erforderlich ist?

Dr. Mellies: Hartnäckige, tiefe und bohrend-stechende Schmerzen, die meist einseitig in Schulter und Armen oder in Gesäß und Beinen ziehen, sind definitiv Gründe für einen raschen Arztbesuch. Anders als bei unspezifischen, nicht ausstrahlenden Rückenschmerzen ist hier ein Bandscheibenvorfall als Ursache wahrscheinlich. Wenn Gefühlsstörungen dazukommen, wird es höchste Zeit. Bei Lähmungen besteht schon die Operationsindikation.

#BeatYesterday.org: Viele Menschen fürchten sich vor einem Bandscheibenvorfall, der urplötzlich durch eine falsche Bewegung oder dauerhafte sportliche Fehlbelastung ausgelöst wird. Gibt es Sportarten, die ein besonders hohes Risiko für Bandscheibenvorfälle bergen?

Dr. Mellies: Eher nicht. Wir treiben bestimmte Sportarten auch aufgrund unserer körperlichen Konstitution. Wir machen das, was unserer Physis entgegenkommt. Außerdem prägen wir mit den Jahren die passende Muskulatur aus. Der reine sportbedingte Bandscheibenvorfall ist mit Ausnahme des Gewichthebens selten. Problematisch wird es, wenn wir im höheren Alter mit neuen Sportarten beginnen. Dann können wir uns nicht auf die aufgebaute Muskulatur verlassen. Zudem ist unser Körper durch den normalen Verschleiß des Lebens bereits vorbelastet. Die Bandscheiben sind im Alter fast immer degenerativ geschädigt.

#BeatYesterday.org: Haben Sie ein Beispiel für eine konkrete Sportart, in der Spätanfänger Probleme bekommen könnten?

Dr. Mellies: 60-Jährige, die mit dem Golfen beginnen, können aufgrund starker Belastung des Achsenskelettes Bandscheibenvorfälle in der Halswirbel- oder Lendenwirbelsäule ausprägen.

#BeatYesterday.org: Sprechen wir über Patienten, die bereits unter einem Vorfall leiden. Was können Sie gegen die Beschwerden tun?

Dr. Mellies: Besonders junge Menschen, bei denen das Gewebe noch sehr elastisch ist, können mit ausreichender Schonung, den richtigen Schmerzmedikamenten und zielgerichtetem Training einen Bandscheibenvorfall relativ schnell überwinden. Nur haben wir in Deutschland das Problem mit einer oft unzureichenden Schmerzmedikation.

#BeatYesterday.org: Wieso?

Dr. Mellies: Wenn der herauswölbende Faserring auf die Nerven drückt, quälen höllische Schmerzen die Betroffenen. Klassische Schmerzmedikamente wie Diclofenac und Ibuprofen, die Ärzte meistens verschreiben, wirken häufig nicht ausreichend. Besser wäre es, Opiate zu verabreichen, die an den Rezeptor der Nerven andocken und den Schmerz nachhaltig lindern. Wenn wir uns unnötigerweise quälen und dadurch permanent eine Schonhaltung einnehmen, riskieren wir, dass Probleme chronisch werden.

#BeatYesterday.org: In den USA sieht man, wie gefährlich es sein kann, wenn Opiate verschrieben werden. Die Abhängigkeit zu Opiaten ist ein Risiko, in Nordamerika wird sogar von einer Epidemie gesprochen.

Dr. Mellies: Der Einsatz von Opiaten in der akuten Schmerztherapie ist nur mit einem geringen Abhängigkeitsrisiko verbunden. Das Risiko besteht vor allem, wenn wir diese Mittel zur Schmerztherapie bei ängstlichen Menschen mit erhöhtem Depressionsrisiko einsetzen. Diese neigen eher zu chronifizierten Rückenschmerzen, bei denen es zu einer Gewöhnung an Opiate kommen kann. Insgesamt überwiegt der Nutzen in der Schmerztherapie gegenüber den Risiken bei Weitem.

#BeatYesterday.org: In der Medizin ist die Prävention oft das beste Medikament. Wie können Sportler oder Menschen mit einem aktiven Lebensstil Bandscheibenvorfällen vorbeugen?

Dr. Mellies: Sportler sollten immer auch Aufmerksamkeit auf das Training ihrer Rumpfmuskulatur legen. Im Radsport gehören diese Übungen, das sogenannte Core-Training, mittlerweile zum Alltag der Profis. Ich selbst bin seit Jahren leidenschaftlicher Hobbyradfahrer und weiß, dass das Bewusstsein für das Rumpftraining noch jung ist. Meine Erfahrungen als Sportmediziner zeigen: Auch alle anderen Sportler reduzieren durch einen trainierten Rumpf die Anfälligkeit für Rückenschmerzen und Bandscheibenvorfälle. Und: Ein aktiver Lebensstil mit viel Bewegung wirkt immer präventiv.

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#BeatYesterday.org: Welche Übungen empfehlen Sie, wenn ein Bandscheibenvorfall bereits eingetreten ist?

Dr. Mellies: Das Aufbauen und Stärken der Rumpfmuskulatur hilft auch in dieser Situation. Außerdem empfehle ich geräteunterstützendes Krafttraining. Das allerdings am besten unter fachlicher Aufsicht, in Physiotherapiepraxen oder in spezialisierten Studios. Es ist wichtig, dass Betroffene geeignete Übungen in der richtigen Abfolge ausüben, die Belastung variieren und nur langsam steigern.

#BeatYesterday.org: Welche Übungen empfehlen Sie Patienten für zu Hause?

Dr. Mellies: Betroffene können selbst geleitete Übungen ohne Maschine mit dem eigenen Körpergewicht durchführen. Einfach eine Matte ausbreiten, sich hinlegen und zum Beispiel Übungen, wie den Seitstütz oder die Standwaage praktizieren. In der Schmerzphase sind sogenannte isometrische Übungen der Bauch- und Rumpfmuskulatur besonders günstig. Hierbei trainieren wir, ohne die Wirbelsäule groß zu bewegen.

#BeatYesterday.org: Viele Menschen mit Bandscheibenvorfall fürchten sich vor einer Operation. Wann ist sie sinnvoll?

Dr. Mellies: Bei jungen Betroffenen sind die Bandscheiben so elastisch, dass die Geschädigten oft um Eingriffe herumkommen. Andererseits können Neurochirurgen besonders jüngere Patienten gut und ohne große Risiken operieren. Diese Operation kann die Schmerzen von heute auf morgen lindern. Es ist aber ratsam, dass junge Betroffene trotz dieser positiven Prognose einen Eingriff umgehen.

#BeatYesterday.org: Wann ist eine Operations alternativlos?

Dr. Mellies: Eine Lähmung, die durch einen Bandscheibenvorfall bedingt ist, sowie die Blasenstörung durch einen großen mittigen Prolaps in der Lendenwirbelsäule sind unstrittige Operationsindikationen. Ein Eingriff ist dann fast unumgänglich. Gemeinhin gilt: Ist die Halswirbelsäule betroffen, was seltener vorkommt, aber gefährlicher ist, sind Operationen eher notwendig. Hier können die ausgetretenen Bandscheiben – anders als in der Lendenwirbelsäule – den Spinalkanal mit unserem Rückenmark einengen. Die Folgen können sehr ernst sein und sogar zu einer inkompletten Querschnittslähmung führen.

#BeatYesterday.org: Wie wahrscheinlich ist dieses Worst-Case-Szenario?

Dr. Mellies: Für die breite Masse der Betroffenen ist die Chronifizierung der Beschwerden eine viel wahrscheinlichere Entwicklung. Zu frühe und zu ausgedehnte Operationen, ohne die konservative Therapie auszureizen, sind Gründe für chronische Schmerzen, Behinderung und Berentung. Dieser Chronifizierung müssen wir durch eine konsequente und früh einsetzende Behandlung vorbeugen. Lange Krankschreibungen sind ein Indiz für einen chronischen Verlauf und eher ungünstig. Es ist eine frühe Wiederaufnahme von Alltagsaktivität, Berufstätigkeit und dosierter sportlicher Bewegung anzustreben. Was das Thema Querschnittslähmung angeht, kann ich beruhigen: Die Wahrscheinlichkeit, im Rollstuhl zu landen, ist sehr gering.

#BeatYesterday.org: Nun fürchten viele Betroffene, dass sie nach einem Bandscheibenvorfall nicht mehr richtig fit werden. Können Sie Mut machen?

Dr. Mellies: Ich hatte drei Bandscheibenvorfälle. Beim ersten Mal bin ich sogar operiert worden. Rückblickend war das unnötig. Durch die richtige Schmerztherapie, konsequentes Training vor, während und nach einer Verletzung habe ich jeden weiteren Prolaps rasch überwinden können. Erst im Sommer habe ich mit dem Rennrad und meiner Garmin fēnix 5S die Alpen überquert. Ich bin mit 58 Jahren noch voll leistungsfähig, und ich bin sicher kein Einzelfall.

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