Eishockey-Torhüter fristen ihr sportliches Dasein am Ende der Nahrungskette. Auf sie wird mit einer Hartgummischeibe bis zu 60-mal in einem Spiel scharf geschossen. Manchmal fliegen die Pucks 150 km/h schnell. Die sogenannten Goalies müssen eine schwere Ausrüstung tragen und sich trotzdem verbiegen können wie eine Ballerina. Wenn das Spiel verloren geht, sind sie oft verantwortlich. 60 Minuten mentaler Dauerstress und körperliche Schwerstarbeit – das schlaucht.
Nicht ohne Grund empfehlen viele Torwarttrainer ihren Schützlingen Yoga-Übungen. Die sind gut für die Gelenkigkeit und den Muskelaufbau, zudem wirken sie stresslösend und beruhigen strapazierte Nerven. Wer Yoga praktiziert, lernt durchzuatmen. Top-Athleten wie Eishockey-Torfrau Jenni Harß schwören auf die indische Lehre.
Weltweit setzen Fitnesstrainer immer häufiger Yoga als Trainingsmethode für Spitzensportler ein – besonders bei Männern. Sogar die deutsche Fußballnationalmannschaft arbeitet mit einem eigenen Yoga-Guru. Doch im Breitensport sträuben sich viele Herren vor dem Gang ins Yoga-Studio. Dabei würden besonders ambitionierte Freizeitsportler wie Läufer und Radfahrer von diesen ergänzenden Trainingseinheiten profitieren, weiß Claudia Martin. Die Yoga-Lehrerin aus Höhenkirchen bei München bietet separierte Kurse für Männer an. Warum, erklärt sie im #BeatYesterday.org-Interview.
Schon als Teenager kam Claudia Martin zum Yoga. Später gab sie für ihre Leidenschaft sogar eine leitende Stelle auf und machte sich stattdessen mit dem Yoga-Studio „Your Timeout“ selbstständig. In Höhenkirchen bei München lehrt sie nicht nur verschiedenste Yoga-Praktiken, sondern auch vielfältige Entspannungstechniken. Um Männern einen leichten Einstieg ins Yoga zu ermöglichen, bietet sie Kurse exklusiv für Herren an.
Anatomische Unterschiede
#BeatYesterday.org: Claudia, was ist der große Unterschied zwischen normalem Yoga und der Variante für Männer?
Claudia Martin: In einem üblichen Yoga-Kurs ist das Geschlecht egal. Beim Männer-Yoga sind die Herren unter sich. Die Yoga-Lehrerin ist dann die einzige Frau im Raum.
#BeatYesterday.org: Warum diese strikte Trennung?
Claudia: Manche Männer entmutigt es, wenn sie sehen, wie viele Kursteilnehmerinnen bestimmte Bewegungen und Stellungen vermeintlich besser beherrschen als sie selbst. Sie wollen sich nicht blamieren, beginnen sich mental zu stressen und versteifen dann gegebenenfalls noch mehr. Doch beim Yoga ist es wichtig, nur bei sich zu sein und sich nicht mit anderen zu vergleichen. Das fällt vielen Menschen ohnehin schon sehr schwer. Männern in einem gemischten Kurs aber besonders.
#BeatYesterday.org: Warum sind Frauen beim Yoga talentierter?
Claudia: Es hat nichts mit Talent zu tun, eher mit unseren anatomischen Grundlagen. Die Muskulatur und das Bindegewebe von Frauen sind viel weicher, bei Männern dagegen von Natur aus fester. Das erschwert zunächst einige Dehnübungen. Wir erklären den männlichen Teilnehmern im Kurs, dass eine stabile muskuläre Struktur aber durchaus ihren Nutzen hat und uns vor Überdehnung und dem Ausleiern des Gewebes schützt.
#BeatYesterday.org: Wie kommen Herren damit klar, wenn eine Frau sie anleitet?
Claudia: Das funktioniert, wenn sich Männer auf Yoga richtig einlassen. Manchmal kommt es jedoch vor, dass sie sich zu sehr anstrengen und zeigen wollen, dass sie es genauso können wie die Yoga-Lehrerin. In diesen Momenten müssen wir eingreifen und ihnen beibringen, bei sich zu bleiben und nur so weit zu gehen, wie es ihnen guttut. Wir haben unsere Herren übrigens gefragt, ob sie lieber einen männlichen Yoga-Lehrer hätten. Die Antwort war eindeutig. Alles sollte so bleiben, wie es ist.
Vorsichtig bei Spiritualität
#BeatYesterday.org: Wie viele der Männer, die sich ins Studio getraut haben, kehren nach dem ersten Mal nicht wieder zurück?
Claudia: Dass einer sofort verschwindet, kommt so gut wie nie vor. Die meisten versuchen es eine Weile. Alles andere ergibt auch keinen Sinn. Denn Yoga muss man mehr als eine Chance geben. Wenn die Männer irgendwann nicht mehr kommen, liegt es meist nicht allein am Yoga.
#BeatYesterday.org: Woran dann?
Claudia: Wir konnten aufgrund des noch zurückhaltenden Interesses nur eine einzige Männer-Yoga-Einheit pro Woche anbieten. Da viele unserer männlichen Yogis beruflich stark eingespannt sind und sich oft auf Dienstreise befinden, fehlt ihnen schnell die zeitliche Flexibilität. Frauen mit einem ähnlich engen Kalender haben den Vorteil, dass es täglich mehrere Angebote für normale Kurse gibt und das zu unterschiedlichen Zeiten. Wer montags nicht kann, kommt donnerstags. Männer haben diese Optionen nicht. Soweit, einen mit mehreren Männer-Yoga-Stunden gespickten Kursplan anzubieten, sind wir in Deutschland und bei uns draußen auf dem Land noch lange nicht. Zum Glück gibt es Männer, die notfalls die gemischten Kurse nutzen. Manchmal kommen wir sogar auf eine Männerquote von 30 Prozent. Das freut uns sehr. Darf aber gerne noch mehr werden.
#BeatYesterday.org: Wie etabliert ist Männer-Yoga in der Breite? Immerhin ist der Trend im Profi-Sport angekommen – auch bei den Herren.
Claudia: Das Interesse von Männern am Thema Yoga steigt, ist aber immer noch überschaubar. Dabei wurde Yoga ursprünglich von Männern erfunden und war Frauen verboten. Dennoch unterliegen immer noch viele Männer in Deutschland dem Irrglauben, dass es sich um eine reine Frauensache handle. Das ist in anderen Staaten schon wieder ganz anders. Dort haben sie erkannt, dass das überhaupt nicht stimmt.
#BeatYesterday.org: Werden beim Männer-Yoga andere Stellungen geübt als bei den Frauen?
Claudia: Wir fokussieren die Dehnübungen etwas stärker. Auch der Kraftaufbau ist uns ein Hauptanliegen. Wir achten darauf, dass wir die Muskulatur im Brustkorb gezielt ansprechen, um mehr Weite zu schaffen. Generell sprechen wir im Yoga Muskeln und Gewebestrukturen an, die wir mit anderen Methoden nur schwer erreichen. Davon profitieren wir in allen weiteren Sportarten. Wir entwickeln durch eine verbesserte Atemtechnik eine größere Konzentrations- und Leistungsfähigkeit und sind nicht mehr so verletzungsanfällig. Neben dem Körpertraining ist in allen Kursformaten die mentale Arbeit und die Beruhigung des Geistes durch Meditation und Atemübungen von zentraler Bedeutung. Bei den Männern müssen wir mit Spiritualität jedoch sehr sensibel sein. Viele steigen bei diesem Thema schnell aus.
Yoga verbindet Geist und Körper
#BeatYesterday.org: Welcher Typ Mann besucht Ihre Kurse?
Claudia: Zu 60 Prozent sind es sportliche und aktive Männer. Die suchen häufig einen Ausgleich zu einer anderen Sportart. Viele gehen laufen oder fahren Rad. Sie leben definitiv sehr gesundheitsbewusst. Die anderen 40 Prozent kommen aus gesundheitlichen Gründen. Beispielsweise nach einem Bandscheibenvorfall oder andersartigen Rückenverletzungen und immer häufiger wegen eines Burn-outs. Yoga ist dann Teil des Regenerationsprozesses.
#BeatYesterday.org: Warum sollte Yoga für mehr Männer eine Alternative sein?
Claudia: Es sollte vielmehr eine Ergänzung sein. Yoga verbindet unseren Geist mit dem Körper. Alleine durch das ruhige, tiefe Atmen können wir körperliche und mentale Anspannungen lösen. Im Yoga arbeiten wir mit dem gesamten Körper, verbessern unser Gleichgewichtsgefühl und damit unsere äußere und innere Balance. Am allerwichtigsten: Yoga entspannt uns. Viele der Männer, die zu uns ins Studio kommen, werden merklich ruhiger in ihrem Alltag. Sie können nach einer Weile mit Stress deutlich besser umgehen. Das sagen sie selbst.
#BeatYesterday.org: Es wurde vorhin schon thematisiert: Durch die Corona-Pandemie sind die Studios momentan geschlossen. Wie können an Yoga interessierte Männer zu Hause den Einstieg finden?
Claudia: Die tiefe Bauchatmung ist ein guter Anfang. Die meisten werden schnell merken, wie beruhigend es ist und dass die Ausdehnung unseres Lungenvolumens auf unseren gesamten Organismus wirkt. Alleine die reine Beobachtung des Atems macht ihn ohne weiteres Dazutun tiefer. Bei den meisten Körperstellungen empfehle ich, diese erst unter einer professionellen Aufsicht zu probieren. In unseren Kursen bereiten wir selbst die Figuren des vermeintlich simplen Sonnengrußes durch einige erste Schritte vor. Wir erwärmen die Muskulatur und sorgen dafür, dass unser Körper gut ausgerichtet ist und die Belastung übersteht. Das ist uns persönlich sehr wichtig. Andere Yoga-Lehrer betrachten diese teilweise komplexe Vinyasa-Übungsabfolge lediglich als Warm-up. Das bewerte ich bei Anfängern kritisch.
Livestreams als Einstiegsmöglichkeit
#BeatYesterday.org: Es gibt bei YouTube mittlerweile viele Angebote. Können sie die Gruppenkurse ersetzen?
Claudia: Aus meiner Sicht nicht. Ich halte Live-Streams im Lockdown für die beste Einstiegsmöglichkeit. Der Fokus ist ein ganz anderer, weil wir uns bewusst zu einem festgelegten Termin Zeit für uns nehmen. Spezifische Bedürfnisse oder körperliche Einschränkungen, wegen der Menschen oft erst zum Yoga kommen, können wir vorher telefonisch oder am Anfang der Stunde abfragen. So wie es im normalen Studiobetrieb üblich ist. Das ist bei kostenlosen Yoga-Videos nicht der Fall. Durch sie steigt auf Dauer das Verletzungsrisiko. Für mich ebenfalls wichtig: Die vergangenen Monate waren für viele kleine Studios sehr schwierig, mancherorts geht es um Existenzen. Wenn diese Orte die Krise nicht überstehen (und viele haben sie schon jetzt nicht überlebt), werden viele Yoga-Anbieter und die wenigen exklusiven Männeryoga-Angebote wieder verschwinden. Egal, ob weibliche oder männliche Interessierte: Ich würde mir wünschen, dass sie die kleinen, lokalen Anbieter stärker unterstützen. Für den Erhalt der Yoga-Kultur wäre das sehr wichtig.
#BeatYesterday.org: Zum Abschluss: Warum sollten sich Männer den Gang ins Yoga-Studio zutrauen?
Claudia: Weil ich aus eigener Erfahrung sagen kann, dass es sich für sie lohnen wird, wenn sie geduldig dabei bleiben. Viele Männer, die bei uns mitmachen, konnten viel für ihren Alltag mitnehmen. Yoga ist gut für den Geist, die Muskulatur und die gesamte körperliche Motorik. Yoga gibt uns – unabhängig vom Geschlecht – im Alltag wie im Sport sehr viel Kraft.
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